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Rezepte gegen die "Akademikerebbe"  
  Österreich hat im internationalen Vergleich sehr wenige Akademiker: ein Defizit, dessen Wurzeln bereits in der schulischen Ausbildung liegen, meint der Hochschul-Experte Hans Pechar. Er hält nicht nur eine grundlegende Reform der Schulbildung für nötig, sondern auch Obergrenzen in überfüllten "Massenfächern" an den Unis. Dies würde zu einem "Umlenken" der Studierenden in Fächer führen, in denen es mehr Plätze und bessere Berufschancen gibt, schreibt Pechar anlässlich einer Veranstaltung in einem Gastbeitrag.  
Hochschulabsolventen statt Opernfans und Skikanonen
Von Hans Pechar

Jeden Herbst, wenn die OECD die neuen Bildungsindikatoren veröffentlicht, wird die Öffentlichkeit einige Schrecksekunden lang damit konfrontiert, dass Österreich bei der Akademikerquote knapp vor der Türkei liegt und das Schlusslicht der entwickelten Industrienationen bildet.

Die Opposition beschwört die Zustände eines Entwicklungslandes; Regierung und Verwaltung beschwichtigen und behaupten, die Statistik der OECD vergleiche Äpfel mit Birnen. Dann wartet man auf die Indikatoren des nächsten Jahres.
Verantwortung der Ministerin für Ausbildungsdefizit
Heuer war die Kontroverse etwas lauter als sonst. Schließlich war Wahlkampf. Die scheidende Bildungsministerin lief zu später Höchstform auf. Österreich würde in der Statistik um vieles besser dastehen, meinte sie, würde man etwa die angehenden Kindergärtnerinnen, die anderswo eine tertiäre Ausbildung genießen, auch bei uns zu den Hochschulabsolventen zählen.

Nun ist die "hätti-wari"-Attitüde an sich kein ernsthafter Zugang zur Interpretation von Statistiken. Im konkreten Fall ist sie allen Maßstäben vernünftigen Argumentierens entrückt. Seit Jahren gibt es nämlich Bemühungen, die Ausbildung für Kindergärtnerinnen den internationalen Standards anzugleichen und auf Hochschulniveau zu heben.

Die Bildungsministerin hat dies wiederholt abgelehnt, ist nun aber darüber erbost, dass das faktische und von ihr zu verantwortende Ausbildungsdefizit in den Bildungsquoten sichtbar wird.
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Veranstaltungs-Hinweis
Das Hochschulpolitische Forum unter dem Titel "Mehr Uni-Absolventen - aber welche?" wird vom IFF - Abteilung Hochschulforschung (Uni Klagenfurt), Ö1 Wissenschaftsredaktion und "Die Zeit" veranstaltet.

Zeit: Donnerstag, 29. November 2006, 18:00 Uhr
Ort: ORF KulturCafe, Argentinierstraße 30a, 1040 Wien
->   Mehr zu der Veranstaltung
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Sozialstatus der Eltern in Österreich entscheidend
Schönreden lässt sich die niedrige Akademikerquote nicht. Aber erklären. Ein wichtiger und besorgniserregender Faktor ist die ständische Verkrustung unseres Bildungssystems. Die frühe Verzweigung in AHS und Hauptschule bewirkt, dass die Bildungslaufbahn stärker als in anderen Ländern vom Sozial- und Bildungsstatus der Eltern abhängt.

"Schuster bleib bei deinen Leisten" lautet die Botschaft, die an die bildungsfernen Schichten ergeht. Weil dies in der Wissensgesellschaft nicht nur ein Gerechtigkeitsdefizit, sondern auch Nachteile für den Wirtschaftsstandort bewirkt, tritt neuerdings auch die Industriellenvereinigung in ihrem Programm "Schule 2020" für einen einheitlichen Schultyp bis zum 14. Lebensjahr ein.

Experten und Sozialpartner sprechen sich also für eine grundlegende Reform der Sekundarstufe I aus.
"Gut ausgebaute" Sekundarstufe der Bildung ...
Weniger klar ist, wie die gut ausgebaute Berufsbildung im Sekundarbereich zu bewerten ist, die ebenfalls zum Nachhinken bei der Akademisierung beiträgt. Viele Qualifikationen, die anderswo im Tertiärbereich vermittelt werden, erwirbt man in Österreich in den berufsbildenden Zweigen der Sekundarstufe.

Falls man diese Ausbildung als gleichwertig betrachtet, kann man trotz geringerer Hochschulabschlüsse von einem ebenbürtigen Qualifikationsstand ausgehen - mit dem Vorteil einer kürzeren Ausbildungsdauer.

Das war bis vor wenigen Jahren die dominante Sichtweise. Die sekundäre Berufsbildung galt als das Schmuckkästchen des Landes. Mittlerweile mehren sich die Zweifel, und das nicht nur von Seiten derer, die den Eigenwert der Bildung betonen. Handelt es sich wirklich um eine gleichwertige Ausbildung?
... nicht mehr auf der Höhe der Zeit?
Das WIFO spricht in seinem kürzlich publizierten "Weißbuch" von einem Defizit in der Zahl der Tertiärabschlüsse. "Die österreichische Industriestruktur ist geprägt von Low-, Medium- und Medium-High-Tech-Branchen, die eine niedrige bis mittlere F&E-Intensität aufweisen."

Darauf sei die Qualifikationsstruktur mit ihrer starken Betonung von Sekundärabschlüssen zugeschnitten, die - so das WIFO - nur in der Phase des Aufholens von Technologiedefiziten Vorteile bringe.

Mittlerweile müsse man aber in forschungs- und wissensintensive Branchen vordringen, um die Wachstumschancen zu erhöhen. "Mit höherem Einkommensniveau und der Notwendigkeit, in der höchsten Qualitäts- und Technologiestufe präsent zu sein, bestimmt die Position bei Tertiärabschlüssen immer stärker die Wettbewerbsfähigkeit."
Bachelor macht Ausbildung flexibler
Die Akademikerarbeitslosigkeit, die von Skeptikern ins Treffen geführt wird, ist kein gutes Argument gegen einen weiteren Ausbau des Tertiärbereichs. Mit etwa zwei Prozent macht die Arbeitslosenquote bei Hochschulabsolventen ein Drittel des durchschnittlichen Wertes aus. Außerdem handelt es sich überwiegend um Einstiegs-, nicht um Langzeitarbeitslosigkeit.

Eine "angemessene Akademikerposition" kann in der Tat niemandem garantiert werden. Darauf stellen sich fast alle Absolventen nach einer gewissen Suchphase ein. Die Einführung des Bachelor reduziert im Übrigen das Risiko von Beschäftigungsproblemen in einem expandierenden Hochschulsystem.

In Kombination mit Weiterbildung führt eine verkürzte Studiendauer zu einer Flexibilisierung der Ausbildung und beugt einer Fehlspezialisierung vor. Das ignorieren die Gegner des Bologna Prozesses, in deren Augen der Bachelor ein "Schmalspur Akademiker" ist, der nur der Schönung der Statistiken diene.
Zugleich Unter- und Überfüllung der Unis
Aber was werden die Zugangsbeschränkungen bewirken, die im Anschluss an das EuGH Urteil zum Hochschulzugang eingeführt wurden? Die Befürchtung, die Abschaffung des offenen Zugangs werde zu einer noch geringeren Absolventenquote führen, ist nicht plausibel.

An den österreichischen Universitäten gibt es ein Nebeneinander von dramatischer Überfüllung (zumeist in Fächern mit mittleren bis schlechten Beschäftigungsaussichten) und Unterauslastung (häufig in Fächern mit guten Beschäftigungsaussichten).

Die Akademikerquote muss gesteigert werden. Obergrenzen in den überfüllten Massenfächern bewirken vor allem eine Reduktion des Dropouts, der hier besonders hoch ist. Begrenzungen bei den Massenfächern könnte die studentische Nachfrage in Richtung der unterausgelasteten Fächer lenken, was sich positiv auf die Beschäftigungschancen der Absolventen auswirken würde.

Es gibt keinen Grund, weiterhin das Schlusslicht zu spielen. Wenn Österreich die vom WIFO skizzierten Wachstumschancen realisieren will, muss es Reformen einleiten, die eine Expansion tertiärer Bildung begünstigen. Sonst werden wir bei der Akademikerquote demnächst auch von der Türkei überrundet.

[23.11.06]
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Über den Autor
Hans Pechar ist Leiter der Abteilung Hochschulforschung der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) an der Universität Klagenfurt.
->   Abteilung Hochschulforschung (IFF)
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Weitere Gastbeiträge von Hans Pechar in science.ORF.at:
->   Teilzeitstudium gegen hohe Abbrecher-Quote (11.10.06)
->   Fünf Jahre Studiengebühren - eine Bilanz (14.6.06)
->   Hochschulzugang: Eine Chance zur Normalisierung (4.10.05)
->   50 Prozent Drop-out sind keine Lappalie (13.3.02)
 
 
 
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01.01.2010