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Balzan-Preise 2006 in Rom verliehen  
  Der Balzan-Preis ist eine der wichtigsten Auszeichnungen in der Welt der Wissenschaft, zumal in den Geisteswissenschaften. Am vergangenen Freitag überreichte der italienische Staatspräsident Giorgio Napolitano die mit je einer Million Schweizer Franken (ca. 630.000,- Euro) Preise ausschließlich an Männer: an die Astrophysiker Paolo de Bernardis und Andrew Lange, die Pflanzengenetiker Christopher Somerville und Elliot Meyerowitz, den Musikwissenschaftler Ludwig Finscher sowie den Historiker und Philosophen Quentin Skinner.  
Würdiger Rahmen, auch Galilei dabei
Der geschichtsträchtige Rahmen war dem feierlichen Anlass angemessen. Der Festakt zur Verleihung der Balzan-Preise 2006 fand in der Accademia Nazionale dei Lincei in Rom statt, der ersten privaten Institution zur Förderung der modernen Naturwissenschaften überhaupt.

Ihr berühmtestes Mitglied war der 1611 beigetretene Galileo Galilei, der von einem der Bilder des Festsaals auf die noblen Gäste und die Preisträger herabblickte.

Schließlich wurden Auszeichnungen im Wert von insgesamt vier Millionen Schweizer Franken (rund 2,5 Millionen Euro) an die insgesamt sechs Laureaten überreicht. Die Hälfte des Preisgelds müssen sie allerdings an Nachwuchswissenschaftler weitergeben, deren Projekte sie betreuen.
Vermessung des Unermesslichen
"Messen, was messbar ist. Und messbar machen, was es noch nicht ist." Das ist einer der Galilei zugesprochenen Leitsprüche der modernen Naturwissenschaften, der auch auf die preisgekrönte Arbeit der Astrophysiker Paolo de Bernardis und Andrew Lange perfekt zutrifft.

Der Italiener und sein US-amerikanischer Kollege erhielten den Balzan-Preis 2006 nämlich für ihr so genanntes BOOMERanG-Experiment, bei dem sie 1998 einen Ballon mit einem Mikrowellenteleskop von der McMurdo-Station in der Antarktis 38 km hoch steigen ließen und damit völlig neue Messdaten über das Universum gewannen.

Damit wiederum konnten sie zeigen, dass die Expansion des Weltalls mittlerweile - nach rund 13,5 Milliarden Jahren - so weit fortgeschritten ist, dass es im Wesentlichen flach ist. Oder dass nur etwa vier Prozent der Energie und der Masse des Universums in uns bekannter Materie vorhanden sind.
->   BOOMERanG (Caltech)
->   BOOMERanG (Uni Rom)
Jährlich neue Preiskategorien
Lange und de Bernardis erhielten ihren Preis in der Kategorie "Beobachtende Astronomie und Astrophysik". Die drei anderen Themenfelder, in denen heuer Balzan-Preise vergeben wurden, waren die Molekulargenetik der Pflanzen, Geschichte der abendländischen Musik seit 1600 sowie Geschichte und Theorie des politischen Denkens.

Anders als beim Nobelpreis, der seit seiner ersten Verleihung 1901 fixe Kategorien hat, legt das 20-köpfiges Komitee des Balzan-Preises jedes Jahr vier neue Bereiche fest, für die dann die besten Fachvertreter gesucht werden.
Auch für Geisteswissenschaftler und Künstler
Zwei der vier Auszeichnungen sind außerdem für Sozial- und Geisteswissenschaftler bzw. Künstler reserviert, was einen weiteren wichtigen Unterschied zu seinem erklärten schwedischen Vorbild (der erste Balzan-Preis 1961 ging an die Nobel-Stiftung in Stockholm) bedeutet.

Für die Vertreter der "soft sciences" ist diese italienisch-schweizerische Auszeichnung - neben dem Kyoto- und dem Prinz von Asturien-Preis - damit der wichtigste Preis überhaupt.
Genetiker-Preis an Schaumkresse-Forscher
Der andere naturwissenschaftliche Balzan-Preis wurde dieses Jahr für Molekulargenetik der Pflanzen verliehen und die Laureaten waren die beiden US-Pflanzengenetiker Christopher Somerville und Elliot Meyerowitz, die mit ihren Arbeiten dem Leitspruch Galileis ebenfalls Genüge taten:

Die beiden waren nämlich hauptverantwortlich dafür, dass Arabidopsis - die Schaumkresse - in den vergangenen 25 Jahren zum wichtigsten pflanzlichen Modellorganismus und damit zur best erforschten Pflanze überhaupt wurde, inklusive ihrer Sequenzierung.

Dafür stellten die beiden, wie sie im Interview anmerkten, 75 Millionen US-Dollar auf - und die einschlägigen Daten sowie ihr eigenes Buch über die Pflanze gratis ins Internet.
->   Arabidopsis Information Resource
40 Bewerbungen für "Theorie des politischen Denkens"
Sehr viel schwerer mit Messungen aller Art tun sich naturgemäß die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften. Das gilt im Übrigen auch für die Bestimmung der Besten in ihren jeweiligen Forschungsfeldern.

Denn anders als in den Naturwissenschaften ist da die bibliometrische Erfassung von Publikationen und Zitierungen noch nicht allzu weit fortgeschritten. Deshalb spielt gerade in dem Bereich das hochkarätig besetzte wissenschaftliche Komitee des Balzan-Preises die entscheidende Rolle bei der Auswahl.

Zum Beispiel aus den mehr als 40 internationalen Bewerbungen, die in der Kategorie "Theorie und Geschichte des politischen Denkens" eingegangen waren.
Klare Geschichtsbetrachtung von Quentin Skinner
Gleichsam als öffentliche Überprüfung der Wahl müssen sich die Preisträger am Tag vor der eigentlichen Verleihung einem akademischen Auditorium stellen, das sich in der Aula von Roms Universität La Sapienza einfand.

Da erläuterte der prämierte englische Ideengeschichtler Quentin Skinner von der Universität Cambridge seinen kontextualisierenden Ansatz der Geschichtsbetrachtung. Und war dabei um einiges klarer als jener Kollege, der seine Arbeit eigentlich vorstellen sollte.
->   Quentin Skinner (Cambridge)
Bescheiden und prämiert: Musikhistoriker Finscher
Der deutsche Musikhistoriker Ludwig Finscher, der den Preis für seine Geschichte der abendländischen Musik seit 1600 erhielt, erklärte seine Karriere sympathisch bescheiden aus einer Kette von Zufällen.

Umso beeindruckender allerdings das Werk, das er bis jetzt geschaffen hat, inklusive der Edition der 25-bändigen Monumentallexikons "Die Musik in Geschichte und Gegenwart".

Die Diskussionsbereitschaft des Publikums hielt sich nach den Reden der Preisträger und der Vorstellung ihres Werks durch Mitglieder des Balzen-Preiskomitees allerdings doch etwas in Grenzen.
->   "Die Musik in Geschichte und Gegenwart"
Die Macht des Rituals
 
Bild: Balzan Stiftung

Die Preisträger: Ludwig Finscher, Quentin Skinner, Paolo de Bernardis, Staatspräsident Napolitano, Andrew Lange, Elliot Meyerowitz und Christopher Somerville

Dass man der Wahl der Jury und den Leistungen der Preisträger Glauben schenken kann, hängt bei Wissenschaftspreisen nicht zuletzt von den Ritualen der Verleihung ab. Auch da erweist sich der Nobelpreis als unerreichtes Vorbild, dessen hoch ritualisierte Festlichkeiten insgesamt eine Woche lang dauern und in der Überreichung der Preise durch den König ihren Höhepunkt finden.

Auch beim Balzan-Preis in Rom wurde einiger Aufwand getrieben, wenngleich man sich auf zwei Tage beschränkte - und auf eine republikanische Preisübergabe.

Unter dem Bild von Galileo Galilei war es immerhin der italienische Ministerpräsident Giorgio Napolitano persönlich, der die Preise überreichte. Und ihnen in der alterwürdigen Accademia Nazionale dei Lincei ihre besondere Bedeutung und Würde verlieh.

Klaus Taschwer, 28.11.06
->   Alle Preisträger 2006
->   Balzan Stiftung
 
 
 
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01.01.2010