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Älteste Kultstätte der Menschheit entdeckt?  
  Norwegische Archäologen haben in Botswana einen sechs Meter langen Felsen entdeckt, der wie eine überdimensionale Schlange aussieht. Das Objekt dürfte vor 70.000 Jahren als Kultstätte geschaffen worden sein: Sollte sich das bestätigen, handelt es sich bei dem Fund um die bislang ältesten Spuren ritueller Handlungen.  
Das berichtet ein Team um Sheila Coulson von der Universität Oslo. Die bisher ältesten Hinweise auf menschliche Riten stammen aus dem Nahen Osten und sind rund 50.000 Jahre alt.
"Berge der Götter"
Im Sommer dieses Jahres begab sich Sheila Coulson in die Wüste Kalahari, um die Ursprünge der San - auch Buschleute genannt - zu untersuchen, die im Nordwesten Botswanas, in Ngamiland leben.

In dieser Region findet sich eine Gruppe von Erhebungen, die so genannten Tsodilo-Hügel, in denen die San tausende Felsenanstriche geschaffen haben. Für die San sind die Hügel ein heiliger Ort, weswegen sie in ihrer Sprache auch "Berge der Götter" und "flüsternde Felsen" genannt werden.
->   San - Wikipedia
Schlangenfelsen in der Höhle
 
Bild: Sheila Coulson

Als Coulson mit drei ihrer Studenten ein Höhle im Norden der Tsodilo-Hügel untersuchte, fiel ihr ein sechs Meter langer und zwei Meter hoher Felsen auf, der eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Schlange aufwies: "Man konnte Mund und Augen erkennen und Vertiefungen, die aussahen wie Schlangenhaut. In der Nacht, im Lichtschein der Kerzen, hatte man sogar den Eindruck, die Schlange würde sich bewegen", so Coulson (Bild oben).

Das ist insofern bemerkenswert, als Schlangen - im speziellen der Python - im Schöpfungsmythos der San eine wichtige Rolle spielen. Diesem Mythos zufolge stammt der Mensch ursprünglich vom Python ab, der im Übrigen auch die Topologie des Landes verändert haben soll: Die San interpretieren die ausgetrockneten Flussbette im Umkreis der Region als Spuren der Schlange, die sie bei ihren endlosen Wanderungen auf der Suche nach Wasser hinterlassen hat.
Werkzeuge identifiziert
 
Bild: Sheila Coulson

Coulson und ihr Team gruben daraufhin an der Basis des Schlangenfelsens - und wurden fündig. Sie entdeckten 13.000 Artefakte, darunter jene Steinwerkzeuge, mit denen die Vertiefungen an dem Felsen hergestellt wurden.

Letztere konnten deswegen eindeutig identifiziert werden, weil die Archäologen auch ein von der Felswand abgesplittertes Felsstück fanden, das genau die gleichen Bearbeitungsspuren wie die Werkzeuge aufweist.

Laut Angaben der Forscher sind einige der Artefakte 70.000 Jahre alt - mithin die ältesten Spuren ritueller Handlungen der Menschheitsgeschichte. Zum Vergleich: Der Neandetaler starb erst 40.000 Jahre später aus.

Bild oben: Der Schlangenfelsen bei Tag. Rechts: Detail der "Schlangenhaut" - die künstlich hergestellten Vertiefungen.
Fachkollegen mit leiser Skepsis
Die Funde könne man zwar durchaus als Hinweise auf Riten interpretieren, bestätigt Alexandra Krenn-Leeb vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Wien, merkt aber an: "Zweifelsfreie Belege für einen rituellen Hintergrund liefern andere Fundstücke, beispielsweise Rötelspuren, Pollen, Blüten und Schmuck als Grabbeigaben. Werkzeuge haben hingegen oft einen profanen Hintergrund." Zwingend sei die Deutung daher nicht.

Christine Neugebauer-Maresch, Grabungsleiterin jener Begräbnisstätten in Wachtberg bei Krems, an denen kürzlich Aufsehen erregende Funde zu Bestattungsritualen gelangen, sieht das ähnlich. Nachdem die norwegischen Archäologen bisher noch keine genauen Angaben über ihre Datierungsmethode(n) machten, müsse man den Wert von 70.000 Jahren zunächst mit Vorsicht genießen.

Sollte sich dieser jedoch bestätigen, wäre das in der Tat Rekord. "Denn die bisher ältesten Hinweise auf Riten kennt man von Grabbeigaben aus dem Nahen Osten. Und die sind rund 50.000 Jahre alt", so die Archäologin von der Akademie der Wissenschaften. Für die rituelle Deutung spreche indes die Symbolik: "Die Schlange hat in fast jeder Kultur etwas mit Schöpfung zu tun", sie sei so etwas wie eine symbolische Universalie.
Die Stimme aus dem Hintergund
Hinter dem Schlangenfelsen fanden die norwegischen Archäologen außerdem eine geheime Kammer, von der Coulson vermutet, dass sie Schamanen als Versteck gedient haben könnte:

"Die Schamanen, die auch heute noch in der San-Kultur eine wichtige Rolle spielen, hatten von Innen einen guten Überblick über die Höhle, blieben jedoch für andere verborgen. Es ist denkbar, dass sie in ihrem Versteck sprachen und damit den Anschein erweckten, dass die Stimme tatsächlich aus dem Inneren der Schlange kommt." Womit vermutlich geklärt ist, warum die Tsodilo-Hügel "flüsternde Felsen" heißen.

Robert Czepel, science.ORF.at, 1.12.06
->   University of Oslo
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01.01.2010