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Auch stressfreie Tiere können Stress bekommen  
  Die Tiere auf den Galapagos-Inseln lebten die längste Zeit ohne natürliche Feinde und somit ohne Stress. Wie Forscher nun herausgefunden haben, fehlt ihnen nachweislich die natürliche Stressantwort - sie kann aber schnell wiederhergestellt werden.  
Dagegen nimmt die Fluchtdistanz nicht in ausreichendem Maße zu und begrenzt die Fähigkeiten von Meeresechsen mit neu eingeführten Räubern fertig zu werden, wie ein Wissenschaftlerteam um Thomas Rödl vom Max-Planck-Institut für Ornithologie berichtet.
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Die Studie "Tameness and stress physiology in a predator-naive island species confronted with novel predation threat" ist online in den Proceedings of the Royal Society B (DOI: 10.1098/rspb.2006.3755; Dezember 2006) erschienen.
->   Abstract der Studie
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Millionen Jahre langes Faulenzen
 
Bild: Silke Berger, Universität Ulm

Eine Gruppe von Meeresechsen auf den Galapagos-Inseln

Über Jahrmillionen waren die Meeresechsen auf den Galapagos keiner Bejagung durch natürliche Beutegreifer ausgesetzt. Im Laufe der Evolution haben sie daher jede Scheu verloren. Hunderte von Reptilien dösen auf dem dunklen Lavagestein und strecken dabei bedenkenlos alle Viere von sich.

Die Wissenschaftler um Thomas Rödl wollten laut einer Aussendung der Max-Planck-Gesellschaft nun herausfinden, inwieweit sich die Tiere aus unterschiedlichen Populationen und mit unterschiedlichen Erfahrungen mit Jägern in ihrer Stressantwort und in ihrem Verhalten unterscheiden.
Tiere wurden "belästigt" und Stress-Hormon gemessen
Sie führten dazu so genannte Harassment-Experimente durch: Dazu wird von einem Tier die ursprüngliche, "naive" Fluchtdistanz gemessen und dieses dann 15 Minuten lang von einer Person verfolgt - immer bis zu dem Punkt, an dem die Meeresechse wieder ausweicht und eine kurze Strecke flieht.

Am Ende des Experiments wird das Tier eingefangen und eine Blutprobe zur Bestimmung der Kortikosteron-Konzentration entnommen.

Wenn die Tiere die Situation als bedrohlich, also stressvoll empfinden, dann steigt die Konzentration des Hormons Kortikosteron im Blutplasma innerhalb weniger Minuten an.
Unterschiedliche Körper-Reaktionen
Zwischen den verschiedenen Inselpopulationen, die die Forscher untersuchten, gab es signifikante Unterschiede: Meeresechsen, die keinen Feinddruck kennen, ließen eine Annäherung bis auf ein, zwei Meter zu und zeigten auch bei anhaltender Verfolgung keinen Anstieg in der Stressantwort.

Bei Meeresechsen, die Beutegreifer zwar kennen, aber einem geringerem Risiko ausgesetzt sind, führte erst das Einfangen zu einem Anstieg in der Kortikosteroid-Konzentration, und die Fluchtdistanz nahm nur bei jenen Tieren zu, die bereits einmal gefangen worden waren.

Dagegen reagierten Meeresechsen, die mit akutem Feinddruck leben, auf ein Harrasment-Experiment sofort mit einem Anstieg in der Kortikosteroid-Konzentration.
Funktion im Prinzip erhalten
"Unsere Fangversuche zeigen, dass die Tiere ihre Fluchtdistanz steigern und die Kortikosteroid-Antwort aktivieren können", erklärt Thomas Rödl.

Die Funktion der Stressachse ist also offenbar auch über lange evolutionäre Perioden ohne den Druck von Beutegreifern erhalten geblieben und kann ihre Aktivität sofort zurückgewinnen, wenn diese wieder auftauchen.
Aber Fluchtdistanzen zu klein
"Aber die Änderung in der Fluchtdistanz ist zu klein und reicht nicht aus", sagt Rödl. "Wir konnten dieselben Tiere in vier Wochen bis zu sechsmal wieder einfangen."

Und so wundert es nicht, dass die eingeführten Hunde und Katzen auf einigen Inseln die Population der Meeresechsen drastisch reduziert haben - auf San Cristobal wurde die lokale Population sogar nahezu ausgelöscht.

Hier finden die Mitarbeiter der Nationalparkverwaltung auch immer wieder Tiere, die Bisswunden von Hunden davon getragen haben. Selbst wenn diese nicht tödlich sind, so führen sie doch oftmals zu sekundären Infektionen, an denen die Tiere schließlich sterben.
Fitnessvorteil für die Fluchtfaulen
Meeresechsen können also offenbar zwar lernen, was ein Beutegreifer ist, sind aber nicht in der Lage, ihre Fluchtdistanz effizient zu steigern. Das heißt, die Fähigkeit sich auf neue Beutegreifer einzustellen, wird nicht durch das physiologische System begrenzt, sondern durch die Einschränkungen im Verhalten.

"Eine lang anhaltende Flucht kostet das Tier Kraft. Im Zuge der Evolution bei Fehlen jeglicher Beutegreifer hat somit die Selektion möglicherweise dazu geführt, dass vor allem Tiere, die auf eine solche kostenintensive Flucht verzichtet haben, einen Fitnessvorteil hatten", spekuliert Rödl.

[science.ORF.at/MPG, 11.12.06]
->   Max-Planck-Institut für Ornithologie
->   science.ORF.at-Archiv zum Thema Stress
 
 
 
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01.01.2010