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Chinas Aufstieg im Spiegel einer Geschichts-Doku  
  Die wirtschaftliche, politische und militärische Bedeutung von China ist in den vergangenen Jahrzehnten stark angestiegen. Als Gradmesser für das dabei neu entstandene Nationalbewusstsein wird von Experten eine TV-Dokumentation gesehen, die vor kurzem im nationalen chinesischen Fernsehen ausgestrahlt wurde und den historischen "Aufstieg von Supermächten" unter die Lupe genommen hat.  
Nicht von ungefähr glauben Beobachter, dass es sich dabei um eine Art Blaupause handelt, mit der China für seinen eigenen Aufstieg aus der Geschichte lernen und etwaige Fehler vermeiden möchte: Immerhin scheint der ursprüngliche Impuls für die TV-Dokumentation direkt aus dem Politbüro der chinesischen Kommunistischen Partei zu stammen.
"The Rise of the Great Powers"
Insgesamt zwölf Folgen von "The Rise of the Great Powers" wurden im November im zweiten staatlichen Fernsehen gezeigt und mit großem Interesse von der chinesischen Öffentlichkeit verfolgt.

Neun Großmächte der Vergangenheit und Gegenwart standen dabei im Mittelpunkt - Portugal, Spanien, die Niederlande, Deutschland, Frankreich, Russland, Japan, Großbritannien und die USA.
Eigener Blickwinkel auf Nationalgeschichten
Die Fragen, die mit Hilfe prominenter Experten und Historiker beantwortet werden sollten: Wie haben es die jeweiligen Länder zu ihrer weltbedeutenden Rolle geschafft - und wie haben sie sie wieder verloren?

Dabei sind für Beobachter zwei Dinge von besonderem Interesse: auf der einen Seite die Darstellung der jeweiligen Nationalgeschichte aus dem chinesischen Blickwinkel, und auf der anderen die Rückschlüsse, die sich daraus für die aktuelle Situation Chinas ziehen lassen.
->   Video von "The Rise of the Great Powers" (Youtube, längere Ladezeit)
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Vorbild: Paul Kennedys Buch von 1987
Inspiriert haben sich die chinesischen Produzenten der TV-Dokumentation an dem Buch "The Rise and Fall of the Great Powers". Der US-Historiker Paul Kennedy beschrieb darin 1987 die Geschichte von Supermächten in den vergangenen 500 Jahren und prophezeite u.a. China einen fulminanten Aufstieg. Auch für das aktuelle Projekt des chinesischen Fernsehens wurde Kennedy interviewt.
->   Paul Kennedy: The Rise and Fall of the Great Powers (Wikipedia)
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USA: Nationale Einheit und Staatsinterventionen
Beim Aufstieg der USA zur Supermacht wird Abraham Lincolns Rolle bei der nationalen Einigung während des amerikanischen Bürgerkriegs betont, wie die "International Herold Tribune" berichtet.

Und bei Präsident Franklin Roosevelt streichen die chinesischen Programmmacher den "New Deal" in den 1930er Jahren hervor - den stärkeren Eingriff des Staates in die Marktwirtschaft nach der großen Depression.

Beides Themen, die in China nicht gerade unaktuell sind - Stichwort "gelenkter Kapitalismus" und Verhältnis zum "abtrünnigen" Taiwan.
Deutschland: Bismarck statt Marx
Oder Deutschland: Nicht Karl Marx und Klassenkampf, sondern Bismarck steht bei der chinesischen Betrachtungsweise im Mittelpunkt, wie die "FAZ" diese Woche nicht ohne Schadenfreude vermeldet hat.

Positiv erwähnt werde bei der Darstellung des preußischen Kanzlers sein Glauben an die Wichtigkeit militärischer Stärke, die Relativierung der Bedeutung des Parlaments, aber auch Besonnenheit, Bildungs- und Sozialpolitik.

Während der Nationalsozialismus kaum und die DDR gar kein Thema der Dokumentation seien, werde Bismarck als zentrale Gestalt der deutschen Geschichte gezeigt.

Er habe "das Entwicklungsmodell für spät entwickelnde Länder gefunden, wie sie die vorausgegangenen Länder übertreffen können", übersetzt die FAZ einen chinesischen Kommentar der Serie, der auch auf die aktuelle Situation Chinas passen könnte.
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Historiker Winkler gegen Bismarck-Verklärung
Für die Serie wurde auch der Historiker Heinrich August Winkler interviewt. Gegenüber der FAZ meinte er, dass die chinesischen Fragesteller keine strategischen Hintergedanken erkennen ließen. Der Historiker wandte sich gegen ein verklärendes Bismarck-Bild, denn dieser habe zwar "eine Teilmodernisierung Deutschlands herbeigeführt durch seine Nationalstaatsgründung, aber seine 'Revolution von oben' stellte zugleich eine schwere Hypothek dar, weil Deutschland in seiner inneren Gestaltung hinter den westlichen Demokratien weit zurückblieb."
->   FAZ-Interview mit Winkler
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TV-Serie folgt Schulung des Politbüros
Die westlichen Kommentatoren von der FAZ über die "International Herald Tribune" bis zur kanadischen "Globe and Mail" vermuten nun, dass sich hinter der TV-Serie eine politische Absicht der kommunistischen Führung verbirgt: die eigenen Ambitionen, bald eine Weltmacht zu sein, zu unterstreichen, und ihre Landsleute in die Diskussion mit einzubeziehen, was das bedeutet.

Dafür spricht, dass es vor drei Jahren eine Art Schulung des Politbüros über die Geschichte von Weltmächten gegeben hat unter Leitung des Pekinger Historikers Quian Shengdan. Dieser war nun auch als Berater für die TV-Dokumentation tätig.
Offizielles China sieht keine Kursänderung
Offizielle Vertreter Chinas wiegeln derweilen ab. So meinte der Vize-Außenminister He Yafei, dass er persönlich nur zwei Folgen gesehen habe, und dass die Sendung prinzipiell kein Signal aussenden soll für eine Kursänderung seines Landes.

Gegenüber der "International Herald Tribune" betonte er den noch immer gültigen Status von China als "Entwicklungsland".

Wie auch immer: Dass sich China auf dem Weg zur wirtschaftlichen, politischen und vermutlich auch militärischen Weltmacht befindet, wird von kaum einem Experten bezweifelt.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 15.12.06
->   Offizielle Homepage der Doku "The Rise of the Great Powers" (chinesisch)
Ausgesuchte Beiträge zu dem Thema:
->   Chinas Deutschlandbild: Der alte Preuße, das ist der Mann (FAZ)
->   Self-confident China sees its own star rising (Globe and Mail)
->   China opens public discussion of its rising power (International Herold Tribune)
->   TV docu stimulates more open attitude to history, China, the world (People's Daily Online)
->   Sun Bin: Weblog zu China-Polit-Strategien
 
 
 
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01.01.2010