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Private Kunstsammler in der Sowjetunion  
  Die erste Gesamtdarstellung privater Kunstsammlungen in der UdSSR kommt aus Österreich. Das Material zeigt, wie die unterdrückte private Sammlergemeinde die Sowjetzeit "überlebte" und so kulturelles Erbe sicherte.  
Gefördert wurde das Buchprojekt der Grazer Historikerin Waltraud Bayer im Rahmen einer vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Hertha-Firnberg-Stelle.

Die Absicht der Autorin war es, nicht nur ein umfassendes Bild von privaten Kunstsammlern in der ehemaligen Sowjetunion von der Revolution bis zur Perestrojka zu zeichnen, sondern auch mit gängigen Mythen aufzuräumen.
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Waltraud Bayer: "Gerettete Kultur: Private Kunstsammler in der Sowjetunion, 1917-1991". Turia+Kant, Wien 2006, ISBN 978-3-85132-463-1
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Verbotener Kunstbesitz
Die Russische Revolution im Jahr 1917 brachte ein Verbot von Privateigentum mit sich, wodurch auch privater Kunstbesitz weitgehend unmöglich wurde. Nicht alle Kunstsammler ließen sich abschrecken und fanden Wege, einer Verfolgung zu entgehen. So entwickelte sich ein privater Sammlermarkt, der offiziell nicht existierte.

Der Großteil der Kunstsammler gehörte zur intellektuellen Schicht. Vor allem das einstige Bildungsbürgertum und der Adel sammelten entgegen verbreiteter Annahmen anfangs unter widrigsten Bedingungen weiter.
"Schutzurkunden" bei politischen Wohlverhalten
Ab den 1930er Jahren wurden sie von einer neuen sozialen Schicht abgelöst. "Der Prototyp des sowjetischen Kunstsammlers war der gut ausgebildete Wissenschaftler oder Kulturschaffende, der über das erforderliche Know-how, die einschlägigen Kontakte zu Mittelsmännern und Parteibürokratie, ausreichend finanzielle Mittel und reichlich Zeit verfügte", so Waltraud Bayer in einer Aussendung des FWF.

Das Buch räumt auch mit dem Mythos einer ständigen Konfrontation zwischen privater Sammlergemeinde und Staatsapparat auf. Das Quellenmaterial zeigt, dass die beiden Kontrahenten sogar wiederholt zur Zusammenarbeit bereit waren: Die wenigen übrig gebliebenen Kunstsammler kooperierten oftmals mit dem sowjetischen Regime und erhielten bei politischem Wohlverhalten "Schutzurkunden".
Gerettete Kultur
Gesammelt wurden vor allem jene Kunstobjekte, die in den Augen der offiziellen Kulturpolitik als "Müll" galten und tabuisiert wurden. Dadurch erwiesen sich die Sammler als Retter von Kulturerbe.

"Im gleichgeschalteten System der Sowjetunion stellten die Privatkollektionen ein wichtiges Korrektiv zum offiziellen Kunstverständnis dar, da dieses viele kulturelle Strömungen ausklammerte", meint die Autorin. So wurden nicht nur wertvolle Stücke aus Moderne, Avantgarde oder Ikonenmalerei, sondern auch das historische Gedächtnis bewahrt.
Späte Anerkennung
Mit Beginn der Perestrojka wurde dieses Verdienst der Sammler schließlich auch gewürdigt. Die öffentliche Anerkennung zuvor verborgener Kunstwerke führte zu einem Boom an Ausstellungen.

Einheimische Sammler, die zu Sowjetzeiten vor allem durch kulturelles Fachwissen und gute Kontakte profitierten, konnten diese neuen Bedingungen jedoch nicht lange nutzen. Denn plötzlich wurden hohe finanzielle Mittel immer wichtiger. Nicht selten übernahm eine neue ökonomische Elite ganze Kollektionen.
Großräumige Recherche
Für das Buch waren aufwändige Recherchen in staatlichen wie privaten Archiven, Bibliotheken, Sammlungen und Museen nötig. Recherchiert wurde dabei erstmals nicht nur in den kulturellen Zentren Moskau und St. Petersburg, sondern auch in vielen anderen Teilen der ehemaligen UdSSR.

Darüber hinaus wurden auch konkrete Einzelfälle auf der Grundlage von 100 Kurzbiographien und Interviews untersucht.

[science.ORF.at, 19.12.06]
->   Waltraud Bayer
->   FWF
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Russische Kunstförderung unter der Hand (17.8.01)
 
 
 
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01.01.2010