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Urzeitfund: Echse mit zwei Köpfen  
  Ein französisch-chinesisches Forscherteam hat im Nordosten Chinas ein fast 150 Millionen Jahre altes Fossil gefunden, das wohl einen Fixplatz im biologischen Kuriositätenkabinett bekommen wird. Die Echse hat zwei vollständig ausgebildete Köpfe.  
Ob das Tier aus der frühen Kreidezeit auch dauerhaft überlebensfähig war, ist indes nicht bekannt: Bei dem Fund handelt es sich nämlich um ein sieben Zentimeter langes Jungtier.

Das berichtet ein Team um Eric Buffetaut vom Centre National de la Recherche Scientifique in Paris.
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A two-headed reptile from the Cretaceous of China von E. Buffetaut et al. erscheint demnächst auf der Website der Zeitschrift "Biology Letters" (20. Dezember 2006; doi: 10.1098/rsbl.2006.0580).
->   Studie (sobald online)
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Kleine Änderungen - große Wirkung
Mutation ist nicht gleich Mutation. Es gibt solche, die nur unscheinbare, kaum erkennbare Veränderungen bewirken, und solche, die Lebewesen mit einem Schlag grundlegend umgestalten.

Beispielsweise gibt es eine Mutante der Fruchtfliege, die ein verdoppeltes Bruststück aufweist und daher auch zwei Flügelpaare trägt. Bei Mäusen wurden etwa Erbänderungen beobachtet, die zur Ausbildung eines Brustwirbels inklusive Rippe anstelle des vordersten Lendenwirbels führen. Und in Kanada fand man vor einigen Jahren eine Kröte, die ihre Augen nicht auf dem Kopf, sondern in der Mundhöhle trug.

Um diesen bizarren Sonderformen von Erbänderungen Rechnung zu tragen, prägte der russische Insektenforscher Yuri Filipchenko im Jahr 1926 die Begriffe "Mikro-" und "Makromutationen". Mit ersteren meinte Filipchenko jene, die man im klassischen Darwinismus für graduelle Anpassungen über lange Zeiträume verantwortlich macht. Letztere hingegen fallen durchaus aus dem konzeptuellen Rahmen - sie erinnern wohl weniger an Darwin denn an Hieronymus Bosch.
Hopeful monsters?
In welchem Ausmaß Makromutationen für die Naturgeschichte von Bedeutung sind, ist durchaus umstritten. Der deutsche Genetiker Richard Goldschmidt (1878 -1958) war etwa der Meinung, dass in der Evolution neue Baupläne immer sprunghaft entstehen - eben durch die kreative Kraft der Makromutationen.

Bekannt wurde seine Theorie durch den Begriff der "hopeful monsters", den er für die Träger solcher Mutationen einführte. Das Gros der Evolutionsbiologen nahm diese Überlegungen zwar nicht gerade mit Wohlwollen auf, das gilt aber nicht für alle:

So sympathisierte etwa der im Jahr 2002 verstorbene US-Paläontologe Stephen Jay Gould zeitlebens mit Goldschmidts Gedanken und entwickelte seinerseits ein aktualisiertes Konzept der sprunghaft verlaufenden Evolution.
->   The Return of Hopeful Monsters - Stephen Jay Gould
Zweiköpfige Echse aus China
 
BIld: Eric Buffetaut et al./Biology Letters

Ob es sich bei Goldschmidts "hopeful monsters" nicht doch eher um "hopeless monsters" handelt, sei dahin gestellt. Faktum ist, dass die Natur tatsächlich immer wieder monströse Neuschöpfungen hervorbringt. Ein Beispiel dafür ist eine Entdeckung, die kürzlich ein französisch-chinesisches Forscherteam in der Yixian-Formation im Nordosten Chinas machte.

Die Paläontologen stießen auf ein rund sieben Zentimeter großes, zweiköpfiges Neugeborenes der Urzeitechse Sinohydrosaurus lingyuanensis, die als erwachsenes Tier rund einen Meter Körperlänge erreichte (Bild oben).

Ursache dieser merkwürdigen Verdoppelung ist allerdings keine Mutation im engeren Sinne, wie man aus embryologischen Untersuchungen weiß, sondern zumeist eine verletzungsbedingte Entwicklungsstörung.
Bei Reptilien nicht (ganz) ungewöhnlich
 
Bild: EPA

Fehlbildungen dieser Art sind an sich nichts Unbekanntes. Schon Aristoteles soll solche Fälle beschrieben haben, die in der heutigen Fachliteratur als "axiale Bifurkationen", sprich: "Aufzeigungen entlang der Körperachse" bezeichnet werden (Science 87, 348).

Allein bei Schlangen wurden bisher rund 400 Tiere mit zwei Köpfen gefunden, ähnlich sieht es auch bei anderen Reptilien, etwa Schildkröten und Echsen aus. Manche davon waren durchaus überlebensfähig - jedenfalls in Gefangenschaft.
Fossile Fälschung: Archaeoraptor
Das Fossil aus der Yixian-Formation ist allerdings mit Vorsicht zu genießen. Denn bereits einmal entpuppte sich ein spektakulärer Fund in dieser Region als großer Schwindel. Im Jahr 1999 feierte die Zeitschrift "National Geographic" den Archaeoraptor liaoningensis als lang gesuchtes - und nun entdecktes - "missing link" zwischen Vögeln und Fleisch fressenden Dinosauriern.

Im selben Jahr erwarb ein Museum in Utah die versteinerten Überreste des Sauriervogels um 80.000 Dollar. Was keine gute Investition war: Denn Fachleute fanden später heraus, dass hier offenbar bewusst Knochen verschiedener Arten vermengt wurden - ein klarer Fall von Betrug (Nature 410, 539).
->   Archaeoraptor - Wikipedia
Autoren versichern: Kein Fake
Diese eher peinliche Episode in der Geschichte der Paläontologie ist freilich auch Eric Buffetaut und seinen Kollegen in allzu guter Erinnerung.

Sie untersuchten das zweiköpfige Ungeheuer daher auf Herz und Nieren (also in diesem Fall: auf Stein und Bein) und schwören: Das Fossil ist über jeden Zweifel erhaben, die Laune der Natur ist echt.

[science.ORF.at, 20.12.06]
->   Centre National de la Recherche Scientifique
->   Yixian Formation - Wikipedia
->   Reptiles - Freaks Gallery
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01.01.2010