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"Fall Ashley": Ethische und juristische Grenzen?  
  Wo sind die ethischen Grenzen der Medizin? Eine Frage, die sich angesichts eines Falls in den USA stellt: Ein neunjähriges Mädchen, körperlich und geistig behindert, soll für immer Kind bzw. klein und leicht bleiben, um ihre Pflege und Betreuung zu "erleichtern". Ihre körperliche Entwicklung wurde operativ und hormonell gestoppt.  
In Österreich ist das derzeit nicht möglich, weder medizinisch noch rechtlich, hat science.ORF.at bei Experten erfragt.
US-Ethikkommission stimmte Eingriff zu
Ashley aus Seattle in den USA ist neun Jahre alt, ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten entsprechen einem drei Monate alten Kind, sagen ihre US-amerikanischen Ärzte.

Mit der Zustimmung einer Ethikkommission haben die Eltern jetzt zusätzlich Wachstum und körperliche Entwicklung von Ashley stoppen lassen: mit Hormonen und durch die Entfernung der Gebärmutter.

Ashley wird, so sagen die Ärzte in den USA, ihr Leben lang 1,30 Meter klein bleiben und unter 40 Kilogramm wiegen.

Die Eltern argumentieren, es sei zum Wohle Ashleys geschehen, dass sie nicht mehr wächst - dass sie keine Menstruation bekomme, leichter zu pflegen und zu baden sei, keine Kinder bekommen könne und vor sexuellen Übergriffen geschützt sei.
->   Website von Ashleys Eltern
In Österreich verboten
Ashleys Geschichte ist zwar ein Einzelfall, der aber weltweit für Nachdenken und Diskussionen sorgt.

In Österreich sei das rechtlich gar nicht möglich, sagt die Juristin Maria Kletecka-Pulker vom Institut für Ethik und Recht in der Medizin an der Universität Wien im Ö1-Mittagsjournal.

Seit dem Jahr 2000 sei die Sterilisation Minderjähriger verboten: "Gemäß AGBG ist eine medizinische Maßnahme, die eine dauernde Fortpflanzungsunfähigkeit des minderjährigen Kindes zum Ziel hat, nicht zulässig. Es kann weder das minderjährige Kind, noch können die Eltern zustimmen bzw. einwilligen."
"Fortpflanzungsunfähigkeit" keine Begründung
Früher sei es oftmals Praxis gewesen, dass Eltern beim minderjährigen Kind einer Fortpflanzungsunfähigkeit zugestimmt haben, sagt die Juristin. Im aktuellen Fall in den USA geht es laut Aussage der Eltern nicht vorranging um die Fortpflanzungsfähigkeit der Tochter.

Kletecka-Pulker gegenüber science.ORF.at: "Es wäre [in Österreich, Anm.] nur dann quasi als sekundäre Folge möglich, wenn die Fortpflanzungsunfähigkeit zum Wohl des Kindes wäre - etwa aus einem medizinischen Grund, z. B. einem Tumor. Ich sehe im aktuellen Fall in den USA aber auf den ersten Blick keinen wirklichen Grund, eine Maßnahme durchzuführen, die zu einer Fortpflanzungsunfähigkeit führt. Meines Erachtens wäre das nicht zulässig."
Ethischer Grenzfall
Medizinisch wie rechtlich in Österreich nicht möglich, sagt auch Ulrich Körtner im ORF-Radio. Körtner ist Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin an der Universität Wien.

Von der ethischen Seite her bezeichnet der Theologe den Fall in den USA als Grenzfall: "In der Ethik gibt es immer wieder Situationen, die man nicht unter allgemeine Regeln fassen kann. Ich kenne auch nur Medienberichte über den aktuellen Fall, bin aber bei meinem derzeitigen Wissensstand der Meinung, dass man im Zweifelsfall diesen Eingriff eher nicht hätte machen sollen."
Fließende Grenze: Wohl des Kindes oder des Umfelds?
Es diene dem Wohl des Kindes, sagen Ashleys Eltern, die Neunjährige klein und damit quasi "pflegeleicht" zu halten.

Körtner gibt zu bedenken, dass so ein Einzelfall Folgen für die Gesellschaft und für den grundsätzlichen Umgang mit behinderten Menschen, mit Pflegefällen, habe: "Es liegt die Versuchung nahe, aus solchen Einzelfällen abzuleiten, dass man auch bei anderen schwersten Behinderungen medizinische Eingriffe vornimmt, die in erster Linie dazu gedacht sind, dass dem Umfeld die Pflege oder der Umgang mit Schwerstbehinderten erleichtert wird. Die Grenze, wo die Interessen Dritter im Vordergrund stehen, ist sehr fließend."
Menschenrecht, Menschenwürde
Das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist ein Menschenrecht, sagt Körtner im Ö1-Mittagsjournal. Das schließe auch das Recht des Menschen bzw. des Körpers auf Entwicklung ein - "so schwerwiegend auch die medizinischen und pflegerischen Folgen dieser natürlichen Entwicklung sein können".

Wie gesagt: Er hätte den Eingriff eher abgelehnt, sagt Körtner. Und stattdessen nach Alternativen gesucht, wie das Mädchen besser gepflegt und versorgt werden könnte.

Barbara Daser, Ö1 Wissenschaft, 5.1.07
->   Maria Kletecka-Pulker
->   Website Ulrich Körtner
->   Mehr zum Thema in ORF.at
Mehr zum Thema Bioethik in science.ORF.at
->   Ulrich Körtner: Über das Verhältnis von Bioethik und Biopolitk
 
 
 
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01.01.2010