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Was Wissenschaftler optimistisch macht  
  Mittlerweile ist es zu einer lieb gewonnenen Tradition geworden: Alljährlich stellt John Brockman, New Yorker Literaturagent und populärer Vertreter der "Dritten Kultur"-Bewegung, namhaften Wissenschaftler knifflige Fragen. Heuer feiert das Unterfangen seinen zehnten Geburtstag - die Frage lautet diesmal: "Was macht Sie optimistisch und warum?"  
So unterschiedlich die Antworten von insgesamt 160 Forschern und Experten wie Richard Dawkins, Daniel Dennett, Esther Dyson und Steven Pinker auch ausfallen, so gibt es zumindest zwei Trends zu beobachten: die Beschäftigung mit Religion und die Hoffnungen, die in den neuen Super-Teilchenbeschleuniger in Genf gesetzt werden.
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John Brockman im Dienste der "Dritten Kultur"
John Brockman hat in seinem 1995 erschienenen Buch "Die Dritte Kultur" einen Ausdruck von C.P. Snow aus den 1950er Jahren übernommen und popularisiert, der eine Synthese von der "ersten Kultur" der Geisteswissenschaft und einer "zweiten" der Naturwissenschaft propagierte. Seit zehn Jahren stellt er auf seiner Homepage Edge Weggenossen seine Zukunftsfragen.
->   Die Edge-Frage 2007
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Teilchenbeschleuniger gegen "String-Halluzinationen"
Der Large Hadron Collider (LHC) soll im November 2007 am Europäischen Forschungszentrum CERN in Genf in Betrieb gehen. Der weltweit größte Teilchenbeschleuniger - 27 Kilometer lang, rund 100 Meter unterhalb von Genf in einem Tunnelzirkel angelegt - soll den Urknall imitieren und fundamentale Fragen der Physik beantworten, wie etwa die CERN-Forscherin Maria Spiropulu und die Harvard-Physikerin Lisa Randall in ihren Edge-Beiträgen erhoffen. (Der Anteil weiblicher Antworter ist - mit rund zehn Prozent - wie in den Jahren zuvor eher bescheiden.)

Lawrence Krauss von der Case Western Reserve University verspricht sich vom LHC "völlig unerwartete Daten". Sie sollen gegen die "Halluzinationen" der theoretischen Physik der vergangenen 30 Jahre sprechen, wie er etwa die String-Theorie bezeichnet.

Mit Hilfe harter Fakten sollen seine Kollegen "in jene Zeit zurückkehren, als eine gute von einer falschen Theorie dadurch unterschieden wurde, inwieweit sie dazu beiträgt, empirische Rätsel zu lösen, und nicht wie schick sie aussieht."
->   Antwort Lawrence Krauss
->   Large Hadron Collider (CERN)
Niemals "Theory of Everything"
Uneinigkeit herrscht in der Wissenschaftlerzunft darüber, ob sich aus den Experimenten eines Tages die lang gesuchte "Theory of Everything" ergeben könne - jene Weltformel, welche die bisher widersprüchlichen Prinzipien von Relativitätstheorie und Quantenmechanik vereinen könnte.

Noch mehr Uneinigkeit besteht darüber, wie solch eine Weltformel zu bewerten wäre. Frank Wilczek, Nobelpreisträger der Physik 2004 und nebenberuflich Opernstar, zeigt sich optimistisch darüber, dass sie niemals erreicht wird. Denn dann "würde uns die Welt nicht mehr länger überraschen und hätte uns nichts mehr zu lehren."
->   Antwort Frank Wilczek
Todesstoß für die Religionen
Bild: www.edge.org
Dawkins feiert - dennoch - Weihnachten
Gewohnt profaner sieht das der Evolutionsbiologe Richard Dawkins: "Ich bin optimistisch, dass Physiker unserer Art Einsteins Traum verwirklichen und die Theory of Everything entdecken, bevor höher entwickelte Wesen von einem anderen Planeten uns die Lösung verraten."

Gemeinsam mit der Biologie werde so "eine komplett befriedigende naturalistische Erklärung der Existenz des Universums geliefert samt allem, was sich darin befindet, inklusive uns selbst."

Mit dieser "endgültigen wissenschaftlichen Aufklärung" werde der "Religion und anderen jugendlichen Aberglauben der überfällige Todesstoß versetzt", zeigt sich Dawkins optimistisch.
->   Antwort Richard Dawkins
Bald so uncool wie Rauchen
Überhaupt scheint durch die politischen Entwicklungen der vergangenen Jahre das Verhältnis zur Religion wieder zur Gretchenfrage zu werden. Auch der Philosoph Daniel Dennet von der Tufts University glaubt, dass "der mächtige Nimbus der Religionen in den nächsten 25 Jahren verschwinden wird".

Sein Optimismus beruht vor allem auf der "Explosion des Wissens", das durch die neuen Informationstechnologien zur Verfügung steht. Mit ihrer Hilfe würden immer mehr Menschen mit wissenschaftlichem Wissen konfrontiert, das von den "Wächtern religiöser Traditionen" nicht kontrolliert werden könne.

Sein etwas bemühter Vergleich: So wie Rauchen heute nicht mehr als "cool" gilt, könnte es bald auch schon den Religionen gehen - bis sie nur noch als "sozial gutartige Organisationen ohne Sexismus und Fremdenfeindlichkeit" bestehen bleiben . Dieser Übergang werde zwar "nicht schmerzfrei" vor sich gehen, am Ende aber "die Wahrheit uns frei machen".
->   Antwort Daniel Dennet
Auch der Tod kein Problem
Bleibt noch immer die Frage nach dem Tod, dessen Aussicht für viele ein gewichtiges Argument für Religionen darstellt. Hier zeigt sich der Evolutionspsychologe Geoffrey Miller optimistisch: "Zum ersten Mal in der Geschichte des Lebens auf der Erde ist es für bewusste Tiere wie uns möglich, einen guten Tod zu haben."

Damit meint er nicht besondere Langlebigkeit oder Schmerzfreiheit, sondern einen "Tod, der wissenschaftlich informierten, existenziellen Mut angesichts persönlicher Auslöschung zeigt". Den Trost beziehen diese "säkulären Humanisten" aus dem Umstand, dass "Gene, Proteine, neuronale Netzwerke, Glauben und Wünsche praktisch ident sind mit sechs Milliarden anderen Menschen und zahllosen anderen Tieren, deren Erfahrungen andauern", wenn das die eigenen nicht mehr tun.

Zurzeit gebe es einen ideologischen Krieg zwischen den "Gottlosen" wie ihn, die dem "Leben vertrauen", und den Mutlosen der Religion, die Angst haben vor dem Tod. Miller ist optimistisch, dass die Wissenschaft diese Auseinandersetzung gewinnen wird, denn sie könne "den Durst der Menschen, an etwas größerem teilzuhaben, besser löschen als jeder übernatürliches Schnuller der Mutlosen".
->   Antwort Geoffrey Miller
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Weitere Gründe für Optimismus
Neben Religionsüberwindung und Teilchenbeschleunigung stimmen auch noch viele andere Dinge die Forscher optimistisch: Die Web-Vordenkerin Esther Dyson glaubt, dass immer mehr Großkapitalisten nachhaltige Projekte unterstützen, der Harvard-Psychologe Steven Pinker sieht eine eindeutige historische Entwicklung zu weltweit immer weniger Gewalt, der Künstler Brian Eno hofft durch die Debatte um den Klimawandel ein Ende der politischen "Markt-Gläubigkeit", der Wikipedia-Mitbegründer Larry Sanger glaubt dank Web 2.0 an eine neue und wahre "menschliche Aufklärung".

Und der Psychologe Mihalyi Csikszentmihalyi ist deswegen optimistisch, weil die Chance so unglaublich gering ist, dass es überhaupt Gehirne gibt, die sich Fragen wie diese ausdenken können: "Here we are, asking and answering!"
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Zeilinger sieht Kohärenzen
Als Wandler zwischen den Welten zeigt sich einmal mehr Österreichs einzig direkter Beitrag zu "Edge-Umfrage 2007". Anton Zeilinger ist sowohl optimistisch, was die Zukunft der Wissenschaft betrifft als auch der Religionen. Die Wissenschaft habe dabei das materialistische Weltbild und die cartesianische Unterscheidung von res extansa und res cogitans hinter sich zu lassen. Ins Wanken gebracht wurden sie nicht zuletzt durch die Quantenphysik - mit ihrer Hilfe würden neue Technologien möglich, die erstmals nicht von der Evolution angewandt wurden, schreibt der Wiener Physiker.

Was die verschiedenen Religionen betrifft, glaubt er an das Verschwinden ihrer nicht-essenziellen Dogmen und Vorurteile, bis eine Konzentration auf die Frage eintritt, was es heißt, "ein Mensch in dieser Welt zu sein". Und eines Tages würde es zu einer Kohärenz von Religion und Wissenschaft kommen, die die heutigen Sichtweisen transzendiert.
->   Antwort Anton Zeilinger
Optimismus - eine Frage der Nerven
Dass sich alles zum Besseren wenden wird, ist auch der Neurowissenschaftler Marco Iacoboni überzeugt, denn dank seiner Disziplin werde die Gesellschaft quasi zu sich kommen. Seinen Forschungsergebnissen zufolge ist den Menschen die Empathie - die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen - angeboren, entsprechende Nervenzellen seien längst gefunden.

Das Problem sei bisher nur, dass diese auf einem vor-reflektivem Niveau arbeiten, und die in unseren Gesellschaften üblichen Diskurse reflektiv ablaufen.

Die optimistische Botschaft des Neuroforschers: Wenn sich unsere impliziten Fähigkeiten der Empathie einmal genügend explizit herumgesprochen haben, würden sich die "massiven Glaubenssysteme auflösen, die unsere Gesellschaften dominieren und uns mit Zerstörung drohen."

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 5.1.07
->   Antwort Marco Iacoboni
Mehr zu den Zukunftsfragen von John Brockman:
->   Wer drückt der Wissenschaft seinen Stempel auf? (13.1.04)
->   Die "wichtigsten Zukunftsfragen der Wissenschaft" (20.1.03)
 
 
 
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01.01.2010