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Literatur und Darwinsche Ästhetik im Gleichschritt  
  Schön ist, was Gesundheit signalisiert, lautet die zentrale These der so genannten Darwinschen Ästhetik. Ein US-Psychologe hat nun gezeigt, dass sich selbst Literatur und Dichtung in dieser Hinsicht interpretieren lassen.  
Nach den Recherchen von Devendra Singh wird eine schmale weibliche Taille nicht nur in westlicher, sondern auch in indischer und chinesischer Dichtung als Schönheitsideal gepriesen. Seine Schlussfolgerung: Weil viel Bauchfett auf Krankheitsrisiken hinweise, empfinde man das Gegenteil eben als attraktiv - über Kulturen hinweg.
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"Did the perils of abdominal obesity affect depiction of feminine beauty in the sixteenth to eighteenth century British literature? Exploring the health and beauty link" von Devendra Singh et al. erscheint demnächst auf der Website der " Proceedings of the Royal Society B" (doi: 10.1098/rspb.2006.0239).
->   Abstract
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Schöne gute Gene
Schönheit liegt im Auge des Betrachters, heißt es. Warum eigentlich? Streng genommen entsteht sie eigentlich nicht im Auge, sondern im Gehirn des Betrachters, aber das erklärt auch nicht mehr. Warum müssen wir überhaupt einen Begriff von Schönheit mit uns herumtragen? Schließlich ginge es doch auch ohne. Irgendwie.

Die Hypothese der Evolutionspsychologie zu dieser Frage lautet jedenfalls: Schönheit ist - bezogen auf den Menschen - ein anderer Ausdruck für Gesundheit. Wer sich von gewissen (eben "schönen") körperlichen Merkmalen angezogen fühlt, tut demnach nichts anderes, als im Sinn der eigenen Reproduktion zu handeln. Denn Attraktivität ist nach der Logik des Darwinismus ein ins Schaufenster gestelltes Zeichen für "good genes", Vitalität und Fruchtbarkeit, letztlich: Fitness.

Damit ist im Übrigen nicht gesagt, dass das alles ist. Auch andere, nicht-biologische Faktoren können uns dazu veranlassen, etwas schön oder hässlich zu finden. Nur hat das dann definitionsgemäß nichts mit Genen und Gesundheit zu tun, weswegen sich Evolutionspsychologen dazu selten äußern. Wie dem auch sei - einige empirische Befunde scheinen die Kernthese der Darwinschen Ästhetik durchaus zu stützen.
Bauchspeck als Krankheitsrisiko
Beispielsweise die schmale Taille von Frauen: Sie wird zumeist als attraktiv empfunden und dafür dürfte es wiederum handfeste biologische Gründe geben.

Wie Epidemiologen herausgefunden haben, kann man aufgrund der Menge an gespeichertem Bauchfett (bzw. dem Taillen-Hüften-Verhältnis) ziemlich gut abschätzen, mit welcher Wahrscheinlichkeit verschiedene Krankheiten eintreten werden - beispielsweise Kreislauferkrankungen, Diabetes II, Gebärmutter- und Brustkrebs sowie Gallenblasenerkrankungen (Neuroendocrinology Letters
23/S4, 81).

Das schlägt sich etwa auch in den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation nieder. Laut Angaben der WHO weisen Frauen bei mehr als 88 Zentimetern Taillenumfang ein erhöhtes Krankheitsrisiko auf. (Bei Männern liegt die kritische Grenze übrigens bei 102 Zentimetern.)
Ausdruck des hormonellen Status
Allerdings muss man zugeben, dass die meisten dieser Krankheiten vermutlich erst dann auftreten, wenn die Fortpflanzung längst erledigt ist. Insofern betrifft das die Darwinsche Argumentation nur über Umwege. Aus dieser Sicht wäre es daher überzeugender, wenn das Verhältnis von Taillen- und Hüftumfang auch etwas über die Fruchtbarkeit aussagen würde.

Das dürfte indes wirklich der Fall sein. Die polnische Anthropologin Grazyna Jasienska fand vor drei Jahren heraus, dass Frauen mit schmaler Taille und kurviger Körperkontur eher schwanger werden. Der Grund: Ihr spezieller Hormonstatus macht sie fruchtbar (Proceedings of the Royal Society B 271, 1213).
Darwinizing Poetry
In diese Richtung weisen auch ganz andere, nämlich literarische Texte. Der britische Autor William Shenstone (1714-1763) etwa notierte einmal: "Gesundheit ist Schönheit, und die perfekte Gesundheit ist auch die absolute Schönheit." Zufall? Oder hat Shenstone damit intuitiv ein Prinzip erfasst, lange bevor die Evolutionspsychologie erfunden wurde?

Dieser Frage nahm sich nun Devendra Singh von der University of Texas an. Er durchforstete mit zwei Fachkollegen die Literaturdatenbank LION systematisch nach Beschreibungen des weiblichen Körpers.

In mehr als 345.000 Texten englischer und amerikanischer Autoren des 16., 17. und 18. Jahrhunderts fanden die US-Forscher 87 Erwähnungen der weiblichen Taille "in romantischem Kontext". 66 Mal wurde sie auch ihrer Form nach beschrieben, und zwar immer als schlank. Mit anderen Worten, eine dicke Körpermitte kam in solchen Textstellen nicht vor.
Transkulturelles Schönheitsideal?
Nahe liegender Einwand: Das beweist noch nicht, dass auch in anderen historischen Epochen und Kulturkreisen ähnliche ästhetische Präferenzen gelten. Wer weiß schon, was man etwa vor tausend Jahren in Neuguinea schön fand?

Das geben auch Singh und Kollegen zu, weswegen sie ihre Recherchen ausdehnten. Zwar nicht auf die gesamte Weltliteratur, das wäre dann doch zuviel gewesen, aber immerhin auf die indischen National-Epen "Mahabharata" und "Ramayana" sowie chinesische Palastdichtungen aus dem vierten bis sechsten Jahrhundert. Das Bild das sich ihnen dort bot, war im Wesentlichen das selbe - die Taille blieb schlank.

Die US-Psychologen werten die Ergebnisse als Hinweis dafür, dass hier ein kulturübergreifendes Prinzip obwaltet. Schönheit in ihrer Gesamtheit darf damit freilich noch immer eine subjektive Angelegenheit bleiben. Einen gemeinsamen, d.h. biologisch geprägten Nenner dürfte es aber geben.

Robert Czepel, science.ORF.at, 10.1.07
->   Devendra Singh - University of Texas
->   Literature Online - LION
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01.01.2010