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Ausstellung: Sexualdienste in Konzentrationslagern  
  Um die Perfektionierung des grausamen KZ-Systems kümmerte sich SS-Führer Heinrich Himmler persönlich. Im März 1942 notierte er eine neue Idee, um die Arbeitsleistung der in Rüstungsbetrieben schuftenden Zwangsarbeiter zu erhöhen. "Für notwendig halte ich allerdings, dass (...) den fleißig arbeitenden Gefangenen Weiber in Bordellen zugeführt werden", schrieb er im März 1942 an das SS-Wirtschaftsverwaltungsamt.  
Schon wenige Monate später war der Einfall umgesetzt. In zehn Konzentrationslagern richtete die SS so genannte Sonderbaracken ein. Darin wurden weibliche Häftlinge gezwungen, privilegierten männlichen Häftlingen zu Diensten zu sein.

Die Ausstellung "Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern" in der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück im nordbrandenburgischen Fürstenberg informiert über dieses bisher kaum bekannte Detail aus dem NS-Unterdrückungsapparat.
130.000 inhaftierte Frauen und Kinder
"In Ravensbrück wurden die meisten der Frauen rekrutiert, deshalb wollten wir die Ausstellung bei uns", sagt Gedenkstättenleiterin Insa Eschebach. Im einzigen Frauen-KZ auf deutschem Gebiet waren zwischen 1939 und 1945 mehr als 130.000 Frauen und Kinder inhaftiert.

Harte Zwangsarbeit in eigens errichteten Produktionshallen der Rüstungsindustrie bestimmte den Lageralltag. Zehntausende Häftlinge aus mehr als 40 Ländern wurden ermordet.
Neuland für Historiker
Im Gegensatz zu diesem umfangreich erforschten Leid war die sexuelle Ausbeutung von vorsichtigen Schätzungen zufolge 300 bis 400 Frauen in den Bordellen von Auschwitz, Buchenwald oder Dachau lange Zeit tabu.

"Kaum ein zweites Thema aus der Geschichte der Konzentrationslager ist einerseits derart verschwiegen und verdrängt worden und andererseits derart mit Vorurteilen und Verzerrungen behaftet wie dieses", erklärt Eschebach. Erst Berichte über Zwangsprostitution in der Gegenwart lenkte die Aufmerksamkeit auch auf diese KZ-Frauen.
Mehrstufiges Prämiensystem
Die Aussicht auf Bordellbesuche als Teil eines mehrstufigen Prämiensystems sollten männliche Häftlinge zu höheren Leistungen bei ihrer Arbeit in der Rüstungsindustrie motivieren. Dies galt aber nicht für alle Häftlingsgruppen, Juden etwa waren ausgeschlossen.

Viele der Männer, die ihre Prämie in Anspruch nahmen, leugneten dies nach 1945 oder redeten abfällig über ihre zur Prostitution gezwungenen weiblichen Mitgefangenen. Dabei nahmen in dem schmutzigen Spiel auch die männlichen Häftlinge eine aktive Rolle ein: Ein Besuch im Bordell musste bei der Lagerleitung beantragt werden.
Bericht einer Betroffenen
Wie die Rekrutierung der Frauen ablief, schilderte eine Zeitzeugin in einem in der Ausstellung nachzulesenden Interview. Sie sei eines Tages ohne ein Wort der Erklärung vom Lagerkommandanten ausgesucht worden, in den kommenden Wochen aus der SS-Küche versorgt worden, bis sich ihr körperlicher Zustand wieder verbessert hatte, und anschließend in das Lager Buchenwald gebracht worden. Erst dort sei ihr eröffnet worden, was die SS mit ihr vorhatte.

Zwar habe ihr Schicksal sie vor der harten Zwangsarbeit in der Industrie bewahrt, berichtete die Frau. Die körperliche Tortur begann dafür am Abend.

Den Ablauf im Bordell hatte die Lagerleitung penibel vorgeschrieben. Höchstens zwanzig Minuten durfte sich ein KZ-Freier bei einer Frau in einem der im Lagerjargon "Koberzimmer" genannten engen Räume in der Sonderbaracke aufhalten.
Sex als allabendliche Pflicht
Allabendlich hatten die Frauen etwa acht Männer hintereinander zu ertragen, es durfte nicht gesprochen werden. Sex war dagegen Pflicht, was die SS-Aufseher über Löcher in der Tür überwachen konnten. Verhütungsmittel gab es nicht, nur waschen durften sich die Zwangsprostituierten nach jedem Akt.

Die Prämienscheine im Wert von zwei Reichsmark, die für einen Bordellbesuch zu bezahlen waren, kassierte das SS-Wirtschaftshauptamt.

"Die Frauen hatten in Wirklichkeit nichts davon", sagt Katja Jedermann von der Berliner Universität der Künste, unter deren Leitung große Teile der Ravensbrücker Ausstellung erarbeitet wurden. Im Gegenteil - sie erlitten schwere körperliche und seelische Schäden, schwiegen aber zumeist nach der Befreiung über ihre Erlebnisse.

Häufig beantragten sie nicht einmal Haftentschädigung. Ohnehin wird sexuelle Gewalt erst seit 2002 im Völkerstrafrecht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt.

Sven Kästner, AP, 15.1.07
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Die Ausstellung "Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern" läuft noch bis 30. September in der Gedenkstätte Ravensbrück.
->   Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten
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01.01.2010