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Drei Viertel aller Medizinstudien haben "Ghostwriter"  
  Dass alle Autoren einer wissenschaftlichen Studie aufgezählt werden, ist ein entscheidender Bestandteil ihrer Seriosität. Wie dänische Forscher nun herausgefunden haben, gibt es bei drei Viertel aller medizinischen Studien von Pharmafirmen aber unerwähnte "Ghostwriter". Damit sollen kommerzielle Hintergründe verschleiert werden, mutmaßen sie.  
Peter Gotzsche vom Nordic Cochrane Centre in Kopenhagen und sein Team berichten nach Eigenaussage von der ersten Studie, die das Vorherrschen von "Geisterautoren" systematisch untersucht hat. Sie halten das Phänomen für weit verbreitet.
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Die Studie "Ghost authorship in industry-initiated randomised trials" ist im Open-Access-Journal "PLoS Medicine" (Bd. 4, S. e19; 16. Jänner 2007) erschienen.
->   Artikel in PLoS Medicine
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Eindeutige Autoren: Wichtig für Peer-Reviews
Über 300 Jahre gibt es bereits das Peer-Review-Verfahren: Fachkollegen beurteilen dabei neue wissenschaftliche Studien und geben sie zur Veröffentlichung frei, spezielle Verlage verbreiten sie.

So sehr sich das Verfahren mittlerweile verändert hat, so sehr ist ein Faktor gleich wichtig geblieben: die Autorenschaft. Mit ihr kann nicht nur Verantwortung eindeutig zugeschrieben werden, mit ihr lässt sich auch "Forschungspolitik" machen.

Zum Beispiel wenn Personen als Autoren genannt werden, die gar nichts zur Studie beigetragen haben - etwa weil Institutsvorstände oder Gruppenleiter dies von ihren Mitarbeitern erwarten. Oder wenn es nicht opportun erscheint Mitarbeiter anzugeben - wie das etwa bei Medizinjournalisten der Fall ist, die in stilistischer oder (fremd)sprachlicher Hinsicht eingreifen.
Was ist eine "Ghostwriter"?
Den Anteil freiwilliger oder unfreiwilliger Ghostwriter hat nun ein Team um Richard Gotsche erhoben. Frühere Untersuchungen, die vorwiegend auf der Selbsteinschätzung von Studienmachern beruhten, kamen auf einen Wert von knapp über zehn Prozent.

Vor Untersuchungsbeginn klärten die Forscher die Frage, was überhaupt ein "Ghostwriter" ist. Peter Gotzsche und sein Team definierten ihn als "jemanden, der im Rahmen einer Studie entweder das Studienprotokoll verfasst, die statistischen Analysen bewerkstelligt oder das Manuskript geschrieben hat, und danach nicht als Autor angeführt wurde".
44 Studien und Protokolle untersucht
 
Bild: PLoS Medicine/Jacob Riis

Ghostwriting grafisch umgesetzt

Mit dieser Definition im Gepäck untersuchten sie insgesamt 44 Medizinstudien, die zum größten Teil von multinationalen Pharmafirmen in den Jahren 1994 und 1995 in Auftrag gegeben und 1999 in angesehenen Journalen - darunter "Lancet", "Neurology" und "Circulation" - veröffentlicht wurden.

Ihnen standen nicht nur die fertigen Studien zur Verfügung, sondern auch die kompletten Protokolle, die vor Studienbeginn entstanden und dem wissenschaftlich-ethischen Komitee Kopenhagens vorgelegt werden mussten.
Vor allem Statistiker unterschlagen
Bei 33 Studien, also in 75 Prozent aller untersuchten Fälle, fanden sie Beweise für Ghostwriting. Die Zahl erhöht sich auf 91 Prozent, wenn man auch die Personen hinzurechnet, die lediglich in der Liste der Danksagungen und nicht jener der Autoren aufgezählt wurden.

Der Löwenanteil der ungenannten Autoren betrifft den Fachbereich der Statistik: Bei 31 Studien waren Statistiker beteiligt, die nicht als Autoren aufgelistet wurden.

Bei acht Publikationen wurden sie zumindest in der Danksagung erwähnt, in vier weiteren wurde auch "Medizinjournalisten" für die Mitarbeit gedankt.
Rolle der Unternehmen verschleiert
Bei 26 der ursprünglichen Protokolle wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die statistischen Analysen von der Pharmafirma selbst durchgeführt werden. Aber nur bei zwei Studien wurde diese schlussendlich auch als Autoren erwähnt.

Dieses Weglassen der Statistiker "beraubt die Leser einer Schlüsseleinsicht in der Rolle der Unternehmen", kritisieren die Forscher in ihrer Studie.

Auch decken sich ihre Ergebnisse nicht mit den Empfehlungen der Internationalen Komitees für Medizinzeitschriften ICMJE oder der Europäischen Vereinigung der Medizinjournalisten (EMWA), die beide für mehr Transparenz plädieren.
Reale Forschungsarbeit transparent machen
Peter Gotzsche und sein Team haben auch einen konstruktiven Vorschlag. Sie unterstützen eine bereits zehn Jahre alte Idee, Autoren künftig nicht mehr bloß aufzulisten, sondern detailliert anzugeben, worin ihre eigentliche Tätigkeit bestanden hat.

Dies würde es sowohl leichter machen, Ghostwriter ausfindig zu machen - im Falle nämlich, dass bedeutende Teile der Arbeit nicht zuordenbar wären - als auch "Gast- oder Ehrenautoren", die wenig oder gar nichts zu den Studien beigetragen haben.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 16.1.07
->   Uniform Requirements for Manuscripts Submitted to Biomedical Journals (ICMJE)
->   EMWA
->   Nordic Cochrane Centre
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01.01.2010