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Austrofaschismus: Disziplinierung der Beamten  
  Nach dem Bürgerkrieg 1934 bauten die Christlich-Sozialen um Bundeskanzler Engelbert Dollfuß Österreich in einen "Ständestaat" um. Eine wichtige Rolle spielten dabei die Beamten: Ihre Unterstützung sicherten sich die Austrofaschisten mit Mitteln der Repression.  
Knapp 120.000 Österreicher waren in dem jungen Staat, "den keiner wollte", als Staatsdiener angestellt. Rund zwei Prozent von ihnen waren ab 1933 von Disziplinarmaßnahmen - Haft, Entlassung oder Pensionsentzug - betroffen.

Das schreibt die Wiener Historikerin Eva-Maria Sedlak in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift "zeitgeschichte".
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Der Artikel "Politische Sanktionen im öffentlichen Dienst in der Ära des österreichischen 'Ständestaates'", erschienen in der Zeitschrift "zeitgeschichte" (33. Jahrgang/2006/1), basiert auf einer Dissertation, die 2004 an der Universität Wien approbiert wurde.
->   "zeitgeschichte" (Studienverlag)
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Umbau zum autoritären Ständestaat
Die Beamtenschaft wurde von den Christlich-Sozialen als "wichtiger, wenn nicht entscheidender Träger des ständischen Staates" gesehen. Neben den Bauern erhielten Beamte als einzige den Status eines eigenen Standes in der neuen Verfassung.

Nach der Parlamentskrise vom 4. März 1933, "bei der sich der Nationalrat angeblich selbst ausschaltete, tatsächlich aber von der Regierung Dollfuß am Wiederzusammentreffen gehindert wurde", wurde der Staat radikal umgebaut, schreibt Sedlak.
Beamten wurde jede Kritik verboten
Eine der Konsequenzen: Gegen die Regierung gerichtete Handlungen wurden durch Notverordnungen und Verbot untersagt, u.a. kam es zu einem Verbot aller öffentlichen Versammlungen und Streiks sowie zur Zensur der Zeitungen.

In Folge wurden alle oppositionellen politischen Parteien verboten und Anhaltelager für die Internierung politischer Häftlinge errichtet.

Auf die öffentlich Bediensteten wurde bei der autoritären Umgestaltung des Staates laut Sedlak besonderen Wert gelegt. Schon im April 1933 verbot ihnen ein Runderlass des Bundeskanzlers Dollfuß jegliche Kritik am Staat und den obersten Staatsorganen sowie jede parteipolitische Betätigung. Außerdem wurden sie dazu angehalten, Kollegen zu denunzieren, die dem zuwiderhandelten.
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Ein neuer alter religiöser Eid
Die Bundesbeamten mussten einen neuen Diensteid schwören, bei Verweigerung wurde automatisch das Dienstverhältnis aufgelöst. Mit ihm schworen die Beamten wie bereits in der Monarchie einen religiösen Eid ("Sie werden einen Eid zu Gott dem Allmächtigen schwören und bei ihrer Ehre und ihrem Gewissen geloben, dem Bundesstaat Österreich treu und gehorsam zu sein und die Gesetze der Republik unverbrüchlich zu beobachten. ...")
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Auch Pensionisten bedroht
Bundesbediensteten, denen vorgeworfen wurde, ihren Dienst nicht vorschriftsmäßig zu versehen, drohte die Entlassung. Dies betraf auch Personen im Ruhestand, denen der Entzug der Pension drohte.

Die entsprechenden Disziplinarverfahren wurden in einer direkt dem Bundeskanzleramt unterstellten "besonderen Disziplinarkommission" abgehandelt.

Zudem wurde mit Arbogast Josef Fleisch ein Bundeskommissär für Personalwesen eingeführt, dessen Hauptaufgabe es war, die politischen Vorgaben im öffentlichen Dienst umzusetzen.
Internierung musste selbst bezahlt werden
Seit September 1933 gab es die gesetzliche Möglichkeit, politisch verdächtige Personen an speziellen Orten zu internieren. Die Kosten ihrer "Anhaltung" mussten die Häftlinge zynischerweise zum Teil retournieren: Bis zu sechs Schillinge hatten sie nach ihrer Entlassung zu berappen, berichtet Sedlak.

Laut der Historikerin gab es mindestens 24 dieser Anhaltelager in Österreich, das bedeutendste war Wöllersdorf im Süden von Wien, das als einziges von 1933 bis 1938 betrieben wurde.

Die meisten Inhaftierten befanden sich Mitte Oktober 1934 in dem Lager: knapp 4.800 Personen, der Großteil von ihnen nach dem "Juli-Putsch" aufgrund nationalsozialistischer Agitation.
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Arbeiter am stärksten verfolgt
Eine Statistik vom Mai 1934 zeigt die politische und berufliche Zusammensetzung der Inhaftierten in Wöllersdorf: 503 Sozialdemokraten, 301 Nazis und 35 Kommunisten waren es insgesamt. Während es bei den Selbständigen doppelt so viele Nazis unter den Inhaftierten gab wie Sozialisten, war es bei den Arbeitern genau umgekehrt, mit einem auch relativ hohen Anteil an Kommunisten. Bei den Beamten lautete das Verhältnis zwischen Sozialdemokraten und Nazis gar 4:1. In absoluten Zahlen wurden Vertreter der Arbeiterschaft mit Abstand am meisten verfolgt.
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120.000 Beamte, 2.300 sanktioniert
Insgesamt wurden laut Sedlak zwischen 1933 und 1938 2.273 im öffentlichen Dienst beschäftigte Personen aus politischen Gründen sanktioniert. Knapp 1.400 von ihnen wurden entlassen oder suspendiert, rund 20 Prozent davon durften nach einiger Zeit wieder ihren Dienst aufnehmen.

Verglichen mit den knapp 120.000 Beamten, die es zu der Zeit gab, ist das ein relativ geringer Anteil von weniger als zwei Prozent.
Kein politischer Erfolg
Politisch hat das Projekt, die Opposition auszuschalten, nach Ansicht von Sedlak nicht funktioniert: "Die politische Radikalisierung nahm immer mehr zu und war auch per Gesetz nicht aufzuhalten. So gesehen waren die politischen Maßnahmen des Regimes ebenso absurd wie das 'ständische' System an sich."

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 23.1.07
->   Zeitgeschichte, Uni Wien
->   Juliputsch 1934 (Dokumentationsarchiv d. österr. Widerstands)
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Austrofaschismus: Politischer Wille zur Umgestaltung (7.4.05)
->   Otto Urban: März 1933 - Beginn des Austrofaschismus (11.2.03)
->   70 Jahre Februarkämpfe: "Unvermeidliche Logik des März 1933" (11.2.03)
 
 
 
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01.01.2010