News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Wie die Fische das Meer eroberten  
  Fische waren nicht immer die Herrscher der Weltmeere. Die Vorläufer der heutigen Knochenfische wohnten viele Millionen Jahre im Süßwasser, bevor sie sich in die Ozeane vorwagten. Norwegische Forscher haben nun eine Mutation entdeckt, die vermutlich genau diesen Übergang ermöglichte.  
Vor 55 Millionen Jahren kam es im Erbgut der Fische zu einer folgenreichen Verdoppelung eines Gens, berichten Roderick Finn und Borge Kristoffersen von der Universität Bergen. Erst sie machte die Fischeier unempfindlich gegen die salzige Umgebung der Meere - der Rest ist Geschichte.
...
"Vertebrate Vitellogenin Gene Duplication in Relation to the '3R Hypothesis': Correlation to the Pelagic Egg and the Oceanic Radiation of Teleosts" von Roderick Nigel Finn und Borge A. Kristoffersen erschien im Online-Journal "PLoS One" (2(1): e169; doi:10.1371/journal.pone.0000169).
->   Zur Studie
...
Rein und Raus
In gewisser Hinsicht ist die Naturgeschichte ein großes Hin und Her. Beispielsweise die Eroberung des Landes durch die Wirbeltiere: Vor rund 360 Millionen Jahren krochen die ersten Vorläufer der heutigen Amphibien an Land. Rückblickend betrachtet eine Großtat, weil dadurch weitere interessante Tiergruppen entstanden, nämlich Reptilien, Vögel und Säugetiere.

Zoologen fassen diese drei mitunter nach dem griechischen Wort "amnion" (für "Embryonalhülle") als Amniontiere zusammen, weil sich ihr Embryo in einer mit Fruchtwasser gefüllten Schutzhülle entwickelt. Das macht ihre Entwicklung unabhängig vom Wasser. Amphibien haben das nicht, und das ist einer der Gründe dafür, dass sie sich nie ganz von ihren feuchten Ursprüngen gelöst haben.
->   Amnioten - Wikipedia
Der Trick mit dem Ei
Dennoch gab es unter den Amniontiere einige Arten, die es wieder zurück ins Wasser zog, die Wale beispielsweise. Früher glaubte man, dass sie von hyänenartigen Fleischfressern abstammen, aber das wird mittlerweile bezweifelt. Heute geht man aufgrund genetischer Analysen eher davon aus, dass ihre Vorfahren Paarhufer waren. Als rezentes Rolemodel für diese Phase könnte beispielsweise das Flusspferd gelten, das ja auch zu dieser Gruppe gehört.

Faktum ist jedenfalls, dass die Vorfahren der Wale vom Trockenen ins Nasse zurückkehrten, was irgendwie unvernünftig ist. Denn: Wären sie gleich dort geblieben, müssten sie nicht dauernd zum Luftholen auftauchen. Aber das ist natürlich Unsinn, denn die Evolution agiert kurzsichtig und opportunistisch.

Was Millionen Jahre später passieren wird, ist für die natürliche Selektion kein Thema, weswegen es im Übrigen viele schöne Beispiele für "unintelligent Design" in der Natur gibt - bei uns etwa einen gekreuzten Luft- und Speiseweg, Blutgefäße, die über der lichtempfindlichen Schicht im Auge liegen, ein nicht erweiterbarer Gebärkanal und allerlei anderer Konstruktionspfusch.
Süß und Salzig
Und außerdem waren die Fische, die bekanntlich nicht zum Luftholen auftauchen müssen, auch nicht so konsequent bei ihren Entscheidungen. Sie wechselten nämlich im Verlauf ihrer Geschichte munter zwischen Süß- und Salzwasserbedingungen.

Freilich darf man sich die Ozeane der Vergangenheit nicht so salzig vorstellen, wie sie heute sind. In Urzeiten war die ozeanische Suppe vermutlich noch ziemlich milde, rein physiologisch betrachtet macht das dennoch einen Unterschied. Denn im Süßwasser stehen Lebewesen vor dem Problem, dass ihre Körperflüssigkeit mehr Ionen enthält als die Umgebung.

Daher müssen sie verhindern, dass in ihren Köper Wasser einströmt und sie sich aufblähen wie ein Ballon. Im Salzwasser ist es genau umgekehrt: Da kämpfen Tiere mit drohendem Wasserverlust bzw. einer Überdosis Salz, die sich auch im Körper breitmachen will. Beide Probleme sind im Prinzip lösbar, sofern man nur genug Energie zur Verfügung hat.
->   Osmoregulation von Fischen - Encarta
Arten-Explosion
So war es etwa vor rund 125 Millionen Jahren, als die ersten Vorläufer der meisten heutigen Knochenfische (die so genannten Acanthomorpha) auftauchten. Sie stammten ursprünglich aus dem Süßwasser, wanderten jedoch 70 Millionen Jahre später in die leicht salzigen Ozeane ein und vermehrten sich daraufhin rasant.

Erst seit dieser Zeit haben die Knochenfische die Weltmeere wirklich erobert, schreibt der US-Paläontologe John G. Maisey in seinem Buch "Discovering Fossil Fishes": "Vor 55 Millionen Jahren explodierte förmlich die Vielfalt der Knochenfische. Was die Zahl der Familien und Arten betrifft, stellte dieses Ereignis sogar die Entwicklung der Vögel und Säugetiere in den Schatten."
Mutation als Auslöser
Warum, darf man an dieser Stelle fragen, explodierte die Artenzahl der Fische gerade vor 55 Millionen Jahren? Was hielt sie davon ab, sich bereits vorher in großem Stil im Meer auszubreiten? Nach Ansicht zweier norwegischer Biologen lässt sich der Auslöser dieser naturgeschichtlichen Explosion im Erbgut heute lebender Fische ablesen.

Roderick Finn und Borge Kristoffersen von der Universität Bergen entdeckten nun eine Mutation, die sich offenbar genau in dieser Zeit ereignet hat. "Mutation" ist in diesem Fall vielleicht ein wenig irreführend, weil man dabei an kleine, unscheinbare Änderungen in der DNA denkt. Tatsächlich verdoppelte sich im Erbgut der Fische ein ganzes Gen, das ein Dotterprotein namens Vitellogenin (Vtg) herstellt.
Lösung des Wasserproblems
Soweit ist das nichts Aufregendes. Aus physiologischen Studien weiß man allerdings, dass Vtg-Gene nicht nur dafür verwendet werden, um den Dotter mit ausreichend Eiweiß auszustatten, sondern auch, um den Wasserhaushalt von Fischeiern in Ordnung zu bringen.

Denn auch Fischeier müssen sich gegen das salzige Meerwasser irgendwie abschotten. Gelingt das nicht, dringen entweder Salze ein oder es geht Wasser verloren. Letzteres ist nicht so schlimm, sofern man dafür sorgt, dass genug Wasser da ist.

Und genau an diesem Punkt greift ein spezielles Vtg-Gen ein: Die von ihm hergestellten Proteine werden im Lauf der Eientwicklung in ihre Bestandteile - die Aminosäuren - zerlegt. Die hohe Dosis Aminosäuren bewirkt wiederum, dass Wasser in die Eizelle eindringt. Von diesem Wasserreservoir zehren später die befruchteten Eier, wenn sich daraus ein lebensfähiges Tier entwickeln soll.
Initialzündung vor 55 Mio. Jahren
Finn und Kristoffersen berechneten nun, dass die betreffende Genverdoppelung vor genau 55 Millionen stattfand. Erst sie ermöglichte es, dass ein Vtg-Gen in äußerst gewinnbringender Weise zweckentfremdet wurde, davor gab es nichts dergleichen.

Die norwegischen Forscher zählen daher eins und eins zusammen: Das kann kein Zufall gewesen sein, meinen sie - die unscheinbare Mutation war offenbar eine Initialzündung, die den Knochenfischen das Tor zu den Weiten der Weltmeere öffnete.

[science.ORF.at, 24.1.07]
->   Roderick Nigel Finn - Universität Bergen
->   John G. Maisey - American Museum of Natural History
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Tropenfische finden Heimatriff per Duftspur (9.1.07)
->   Warme Sommer: Nordsee-Fischen geht die Luft aus (4.1.07)
->   Eisfische: "Blutleere" Überlebenskünstler (19.12.06)
->   Urzeit-Meeresmonster konnte Haie entzweibeißen (29.11.06)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010