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Achillesferse der Nikotinsucht entdeckt?  
  Wissenschaftler wollen eine Schaltstelle für Nikotinsucht entdeckt haben: Rauchern mit einer Verletzung der Inselrinde, ein kleiner Teil der Großhirnrinde, fällt es vergleichsweise leicht, das Rauchen aufzugeben. Mit der Schädigung scheint das Verlangen nach Glimmstängeln auszubleiben.  
Durch eine bewusste Gehirnschädigung eine Suchttherapie - das ist sicherlich keine Option, schreiben Wissenschaftler um Antoine Bechara von der University of Iowa und Hanna Damasio von der University of Southern California (USC). Doch die Ergebnisse könnten pharmakologische Hinweise auf neue Behandlungsmethoden gegen Nikotinsucht liefern.
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Der Artikel "Damage to the Insula Disrupts Addiciton to Cigarette Smoking" ist in der Fachzeitschrift "Science" (Bd. 315, S. 531, 26. Jänner 2007) erschienen.
->   Abstract
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Insula - eine Gefühlsplattform
Die Inspiration für die die Studie war ein ehemals passionierter Raucher (40 Zigaretten pro Tag), der durch einen Schlaganfall eine Schädigung der Inselrinde - auch Insula genannt - erlitt. Das Rauchen gab er daraufhin sofort auf. Allerdings nicht auf Anraten der Mediziner, sondern auf Grund seiner eigenen Gefühle: Sein Körper hätte das Verlangen nach dem Rauchen vergessen, soll sich der Patient gegenüber den Wissenschaftlern geäußert haben.

Der Zusammenhang zwischen Inselrinde und Rauchen ließ die Wissenschaftler aufhorchen. Die beteiligte Gehirnregion wurde bereits in den 1990er Jahren von dem renommierten Bewusstseinsforscher Antonio R. Damasio, Ehemann der Studienautorin Hanna Damasio, als eine Art "Plattform für Gefühle und Emotionen" beschrieben.
->   Inselrinde - Wikipedia
Patientendaten durchforstet
Die Neurowissenschaftler überprüften Patientendaten, die der University of Iowa zur Verfügung stehen, auf etwaige Hinweise zu Hirnschäden.

Insgesamt 69 untersuchte Patienten mit Hirnschäden unterschiedlichster Natur waren bis zu der Verletzung Raucher gewesen - mit mehr als fünf Zigaretten pro Tag und länger als zwei Jahre. Bei 19 von ihnen war die Inselrinde verletzt worden.
Insula-Geschädigte quittierten das Rauchen
Dreizehn der Insula-geschädigten Patienten hatten nach dem Unfall mit dem Rauchen aufgehört, zwölf davon sehr leicht und schnell und nach eigener Aussage ohne ein wiederkehrendes Verlangen nach Zigaretten. Warum die übrigen sechs mit Insula-Schäden nicht aufhörten, können die Forscher nicht erklären.

Zwar hätten auch einige der anderen Patienten mit Hirnschäden anderer Art mit dem Rauchen aufgehört, allerdings weniger leicht und schnell.
Nur bei erlernten Verhaltensweisen
Die Forscher um Bechara und Damasio gehen davon aus, dass die Verletzung der Insula eher das Verlangen nach Nikotin reduzierte, als dass der empfundene Genuss oder die "Belohnung" geschmälert worden sei. Ihre Ergebnisse würden nicht Erkenntnissen widersprechen, die dem Belohnungssystem im Zusammenhang mit Abhängigkeit viel Bedeutung beimessen.

Ob andere Suchtverhalten wie nach Alkohol ebenfalls von einer Insula-Verletzung beeinflusst werden, können die Forscher derzeit noch nicht sicher sagen, es sei aber zu vermuten.
Die Schädigung der Insula beeinflusste aber nicht den Wunsch der Patienten zu essen. Das Essen sei lebensnotwendig, so dass der Wunsch danach vermutlich von mehreren Hirnregionen gesteuert würde. Es scheint daher, dass die Region eher nur bei erlernten Verhaltensweisen wirkt.

Dass eine kleine Hirnregion die "Achillesferse der Nikotinabhängigkeit" sein könnte, sei besonders überraschend. Nikotin wirke doch sehr vielfältig auf das Nervensystem, schreiben die Forscher.
Neue Medikamente gegen Abhängigkeit?
Die Hoffnung der Forscher: Dass Medikamente, die die Insula beeinflussen, einmal Rauchern helfen könnten, von den Zigaretten abzulassen - auch wenn es bis dahin noch ein weiter Wege wäre. Die Medikamente dürften auf keinen Fall die guten Funktionen der Insula zerstören.

[science.ORF.at, 26.1.07]
->   Hanna Damasio - USC
->   Antoine Bechara - University of Iowa
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Leicht-Zigarette: Entwöhnung besonders schwierig (18.8.06)
->   Studie: Wie Rauchen Alkoholkonsum fördert (25.7.06)
->   Nikotinkonsum ist (auch) genetisch bedingt (25.1.06)
 
 
 
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01.01.2010