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Die menschliche Haut: Unentdecktes Land  
  Es muss nicht immer der Kosmos oder die Tiefsee sein: Um eine Welt unbekannter Lebewesen zu entdecken, reicht Wissenschaftlern schon die menschliche Haut. Mediziner haben eine Art Volkszählung von auf ihr lebenden Bakterien durchgeführt und dabei eine Reihe erstaunlicher Entdeckungen gemacht.  
Über 180 verschiedene Mikroorganismen haben sie gefunden, acht Prozent davon waren bisher unbekannt. Aber nicht nur die Vielfalt des "Ökosystems Haut" war für die Forscher um Martin Blaser von der New York University überraschend, sondern auch ihre Dynamik.

Innerhalb von acht Monaten wandelte sich die Zusammensetzung der Hautflora bei allen Versuchsteilnehmern deutlich.
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Die Studie "Molecular analysis of human forearm superficial skin bacterial biota" erschien am 9. Februar 2007 in den PNAS (doi: 10.1073/pnas.0607077104).
->   Studie
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Größtes Organ des Menschen
Die Haut ist das größte Organ des Menschen und ein Spiegelbild seiner Seele, wie es im Sprichwort heißt.

Medizinisch betrachtet ist sie eine Barriere gegen die Außenwelt, hält Krankheitserreger ab und schützt vor Schadstoffen und Austrocknung.

Außerdem nimmt die Haut Sinneseindrücke auf, mit denen wir Schmerzen oder Temperatur einschätzen und entsprechend reagieren können.
Bakterien leben vom Schweiß
Auch wenn die Kosmetikindustrie beständig dagegen arbeitet, ist die Haut aber auch noch etwas anderes: ein Tiergarten für Kleinstlebewesen.

Besonders stark "besiedelt" ist sie in der Nähe von Schweißdrüsen, da der Schweiß die für Bakterien begehrten Nährstoffe enthält. Der übel beleumundete Geruch entsteht in erster Linie durch den Stoffwechsel der Bakterien.

Die dabei gebildeten Säuren bieten einen Schutz gegen das Wachstum unliebsamer anderer - etwa krankheitserregender - Mikroorganismen, weshalb zu viel Hygiene auch ungesund sein kann.
Proben von sechs Versuchspersonen
Bild: Zhan Gao, Martin J. Blaser
Martin Blaser und seine Kollegen sind der Hautflora nun an Körperstellen nachgegangen, die nicht in der Nähe von Schweißdrüsen gelegen sind.

Sie entnahmen jeweils drei gesunden Männern und Frauen drei Bakterienproben von ihren Unterarmen (siehe Bild rechts), analysierten die Zusammensetzung der Mikroorganismen und wiederholten das acht Monate später.
182 "Klassifizierungseinheiten" entdeckt
Die Forscher untersuchten einen bestimmten Teil des mikrobiellen Erbguts, die so genannte 16s ribosomale RNA. Vorteil dieser Methode sei es, schreiben sie in einer Aussendung, dass umfangreiche Datenbanken zur Identifizierung der einzelnen Arten zur Verfügung stehen.

Zahlreiche Bakterien dieser Datenbanken existieren bisher nur als Gensequenz, sind noch namenlos und nicht weiter erforscht. Zusammengefasst werden sie unter dem Begriff "SLOTUs" (species-level taxonomic units) - also Klassifizierungseinheiten auf Artenniveau.

Insgesamt haben die Forscher 182 solcher SLOTUs und 91 Gattungen von Bakterien entdeckt.
Acht Prozent unbekannte Organismen
Die Ergebnisse der mikrobiellen Volkszählung waren für Blaser und Kollegen überraschend: Zwar machten drei Stämme insgesamt 95 Prozent der Funde aus, nämlich die Actinobakterien, Firmicutes und Proteobakterien. Zudem stammten über 54 Prozent der entdeckten Bakterien aus vier Gattungen, die als Hauptsiedler der Haut bekannt sind - Propionibakterien, Corynebakterien, Staphylokokken und Streptokokken.

Aber acht Prozent dieser Lebewesen sind bisher in keiner Datenbank aufgeschienen, scheinen also bisher unbekannte Organismen zu sein.
Hohe Individualität
 
Grafik: Zhan Gao, Martin J. Blaser

Im Ausmaß erstaunlich fanden die Forscher auch die Individualität der ausgemachten Mikroben: Lediglich vier Bakterien wurden bei allen sechs Testpersonen entdeckt - darunter Propionibacterium acnes, das unter bestimmten Umständen Akne erzeugen kann.

Drei Viertel der Bakterien kamen ausschließlich bei einer der Versuchspersonen vor. (In der Grafik zu sehen: die Profile der sechs Probanden - lila: Actinobakterien; bordeaux: Firmicutes; gelb: Proteobakterien; hellblau: anderes.)

Zudem zeigte sich die Bakterienpopulation auch noch als ausgesprochen variabel, als der gleiche Test acht Monate später noch einmal wiederholt wurde.
Nächster Schritt: Kranke Haut
Wie die Forscher betonen, war die Untersuchungsgröße zu gering, um allgemeine Schlüsse zu ziehen. Die Vielfalt der gefundenen Mikroben bei den sechs Personen sei aber überraschend.

Im nächsten Schritt wollen sie nun gesunde und kranke Haut miteinander vergleichen und die Frage klären, wodurch sich die Mikroflora etwa von Psoriasis- oder Neurodermitis-Patienten von anderen Menschen unterscheidet.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 6.2.07
->   Hautflora (Wikipedia)
->   Virtual Museum of Bacteria
->   Martin Blaser, New York University
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01.01.2010