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Japan: Skandal um Lügen in Wissenschafts-TV  
  Wissenschaftsmedien boomen, gleichgültig ob in TV, Radio, Zeitungen oder Internet. Für die Wissenschaften ist diese Öffentlichkeit in Zeiten wachsender Konkurrenz um Fördermittel erfreulich. Dass die Zusammenarbeit mit den Journalisten nicht immer einfach ist, beweist ein drastischer Fall in Japan: Eine TV-Sendung hat dort über Jahre hinweg Aussagen von Forschern fehlerhaft übersetzt und Resultate von Experimenten verfälscht.  
Die Fernsehsendung, die seit zehn Jahren erfolgreich gelaufen ist, wurde nun eingestellt. Alle Folgen sollen nun nach Unwahrheiten untersucht werden, berichtete die aktuelle Ausgabe der britischen Wissenschaftszeitschrift "Nature" (Bd. 445, S. 804).
Doku über Gesundheit und Ernährung
Die populäre Wissenschaftssendung "Hakkutsu: Aruaru Daijiten" (laut Nature ungefähr "Ausgrabung: eine Enzyklopädie von Fakten") des Senders Kansai Telecasting Corporation (KTV) konnte in 15 Prozent aller japanischen Haushalte empfangen werden.

Sie beschäftigte sich v. a. mit Themen zu Ernährung und Gesundheit, Grundlage der Sendung waren Interviews mit Wissenschaftlern.
Unwahre Aussagen zu Sojabohnen-Diät
Auslöser des Skandals war eine Sendung Anfang Jänner dieses Jahres über Natto, ein japanisches Gericht aus fermentierten Sojabohnen. In der Sendung wurde berichtet, dass Natto auch als Diätmittel eingesetzt werden kann.

Nachdem andere japanische Medien auf den Fall aufmerksam wurden, stellte KTV eigene Nachforschungen an.

In einer Presseaussendung wurde am 20. Jänner schließlich erklärt, dass ein Großteil der Informationen des Programms erfunden bzw. selbst hergestellt wurde: Vorher-Nachher-Bilder von Menschen, die eine Diät gemacht haben, stammten nicht aus einer angegebenen Natto-Studie, die Messungen zu vermeintlich reduzierten Gewichten wurden nie gemacht.
Falsche Übersetzungen und Experimente
Und auch die Übersetzung eines Interviews mit dem amerikanischen Ernährungswissenschaftler Arthur Schwartz wurde gefälscht. Ihm wurde in den Mund gelegt, dass Natto die Bildung eines besonders wichtigen und "gesunden" Hormons fördert.

Dazu wurden Experimente gezeigt, die Schwartz zugeschrieben wurden, dieser aber gar nie gemacht hat.
Miso-Experte nächstes Opfer
Ein weiteres Opfer der Sendung wird von "Nature" als "Dr. Kim" bezeichnet: ein Experte für die Fermentation von Sojabohnen an einer amerikanischen Uni, der seinen genauen Namen und seinen Herkunft gegenüber dem britischen Magazin nicht preisgeben wollte.

Dr. Kim wurde im Jänner 2006 für "Hakkutsu: Aruaru Daijiten" interviewt. Als er sich die Sendung nun ein Jahr später angesehen hat, erkannte er seine Aussagen nicht wieder.

Der entsprechende TV-Beitrag betonte die gesundheitsfördernde Wirkung von Miso - einer japanischen Paste, die hauptsächlich aus fermentierten Sojabohnen hergestellt wird und in Suppenform auch hierzulande bekannt ist.
Über die Hälfte falsch übersetzt
Die Sendeverantwortlichen zeigten zwar das Original-Interview mit Dr. Kim, übersetzten aber 60 Prozent seiner Sätze falsch. "Es schaut aus, als ob ich den Genuss von Miso als Diätmittel empfehle, das zudem gewisse neurologische Auswirkungen hat", so Kim.

In Wahrheit habe er zu diesem Zeitpunkt des Interviews aber gerade erklärt, warum fermentierte Sojabohnen leichter verdaubar sind und sinnvoll als Tierfutter eingesetzt werden können.
Müde Mäuse blieben munter ...
Wie sich herausgestellt hat, hat der großzügige Umgang mit der Wahrheit in der Dokumentationsreihe eine lange Tradition. Schon 1998 war der Wissenschaftler Yoichi Nagamura eingeladen, der zur schlaffördernden Wirkung der Aminosäure Tryptophan forscht.

Für die Sendung wurden in einem Experiment Mäuse mit Salat gefüttert und beobachtet. Unangenehmerweise stellte sich der erwünschte Effekt innerhalb von zwei Stunden nicht ein - die Mäuse blieben putzmunter.
... dank Trick schliefen sie dann aber doch
Zur Überraschung von Nagamura wurden im TV-Bericht aber dann schlafende Mäuse gezeigt und so getan, als ob es sich um jene des Experiments handelt. "Sie sind eingeschlafen", erklärte eine Stimme aus dem Off, und zur Erklärung berief sich der Forscherkollege Makoto Tajima auf die im Salat enthaltene Substanz Lactucopikrin.

Tajima hatte allerdings nichts mit dem Experiment zu tun, sondern lediglich aus der wissenschaftlichen Literatur zitiert - die TV-Macher hatten die beiden Wissenschaftler in unzulässiger Weise miteinander kombiniert.
Kommission eingesetzt, Strafe zu erwarten
Die Sendung wurde wegen dieser und weiterer Misslichkeiten Ende Jänner eingestellt, KTV hat eine unabhängige Expertenkommission eingesetzt, die nun alle 520 Folgen durchleuchten soll. Ein entsprechender Bericht soll Mitte März erscheinen.

Ein Vertreter der japanischen Behörden sprach schon jetzt von einem Bruch der geltenden Kommunikationsgesetze durch KTV, dem theoretisch auch der Entzug der Sendelizenz folgen könnte. Diese Strafe gilt aber als äußerst unwahrscheinlich.

[science.ORF.at, 26.2.07]
->   Kansai Telecasting Corporation
->   Natto (Wikipedia)
->   Nature
 
 
 
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01.01.2010