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Steinzeit-Europäer verdauten keine Milch  
  Die meisten Menschen der Jung- und Mittelsteinzeit in Europa konnten noch keine Milch verdauen. Das belegen Erbgutanalysen von neun Skeletten, die zwischen 5.800 und 7.800 Jahre alt sind.  
Die Fähigkeit zur Milchverdauung hat demnach bei der Evolution der Europäer eine wesentliche Rolle gespielt, berichtet ein Forscherteam um den Anthropologe Joachim Burger von der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz.
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Die Studie "Absence of the Lactase-Persistence associated allele in early Neolithic Europeans" erscheint online zwischen 27.2. und 2.3.07 in den "Proceedings" der US-Akademie der Wissenschaften (DOI: 10.1073/pnas.0607187104).
->   Artikel (sobald online)
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Entscheidender Vorteil bei Sesshaft-Werdung
Während erwachsene Menschen in Europa vor 8.000 Jahren überwiegend noch keine Milch verdauen konnten, seien heute mehr als 70 Prozent der Nordeuropäer dazu in der Lage, sagte Burger am Montag.

Die Fähigkeit zur Milchverdauung hat nach seiner Einschätzung den "entscheidenden Vorteil bei der Entwicklung sesshafter Ackerbauern und Viehzüchter im mittleren und nördlichen Europa" gebracht.
Enzym Laktase bei Erwachsenen nur in Europa
Im Körper ist das Enzym Laktase dafür verantwortlich, Milchzucker und damit Milch zu verdauen. Im Säuglingsalter ist es zunächst in ausreichender Menge vorhanden, nach dem Abstillen wird es bei den meisten Menschen auf der Welt nur noch in geringem Maße produziert.

Eine Ausnahme bilden Europäer und einige wenige Bevölkerungsgruppen in Afrika: Hier wird Laktase auch bei Erwachsenen gebildet, Milch kann verdaut werden.
"Evolutionäre Erfolgsgeschichte"
Für ihre Studien haben die Mainzer Paläogenetiker gemeinsam mit Kollegen des University College London (UCL) Erbgutproben von neun Skeletten aus der Jung- und Mittelsteinzeit untersucht. Keiner dieser frühen Europäer konnte den Ergebnissen zufolge Milch verdauen.

Die Schlussfolgerung der Forscher: Als die ersten domestizierten Ziegen, Schafe und Rinder vor rund 8.000 Jahren nach Europa gebracht wurden, konnte die Mehrzahl der Bauern deren Milch nicht vertragen.

Die kleine Minderheit, deren Körper auch im Erwachsenenalter Laktase produzierte, erlebte laut Burger von da an eine "evolutionäre Erfolgsgeschichte".
"Rasante" Ausbreitung der Milch-Verdauung
"Mit Milch konnte die hohe Rate der Kindersterblichkeit nach dem Abstillen reduziert werden", sagte der Mainzer Juniorprofessor. Zudem überlebten solche Familien ein Jahr mit schlechter Ernte besser.

Der Londoner Populationsgenetiker Mark G. Thomas betonte, diese vererbte Fähigkeit müsse sich sehr schnell verbreitet haben - in Maßstäben der Evolution sind 8.000 Jahre eine eher kurze Zeit.

Joachim Burger: "Nun scheint es wahrscheinlich, dass die heutigen Nord- und Mitteleuropäer eine kleine Gruppe von Milch trinkenden Viehbauern des fünften vorchristlichen Jahrtausend als ihre Vorfahren bezeichnen können."

[science.ORF.at/APA/dpa, 27.2.07]
->   Joachim Burger, Gruppe für Paläogenetik an der Uni Mainz
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01.01.2010