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Soziobiologie: Cousin ist nicht gleich Cousin  
  Nach der Theorie der Verwandtenselektion helfen Lebewesen vor allem jenen Artgenossen, die zur selben Sippe gehören. US-Psychologen haben die Theorie nun am Menschen überprüft und festgestellt, dass es auch innerhalb der Verwandtschaft gewisse Vorlieben gibt.  
Unter den Cousins stehen uns etwa offenbar jene am nächsten, die aus der Familie der Tante mütterlicherseits stammen, berichten Joonghwan Jeon und David M. Buss von der University of Texas. Das sagt auch die Theorie voraus.
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"Altruism towards cousins" von Joonghwan Jeon und David M. Buss erscheint demnächst in den "Proceedings of the Royal Society B" (doi: 10.1098/rspb.2006.0366).
->   Abstract (sobald online)
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Ein Scherz macht Karriere
"Würde ich mein Leben opfern, um meinen Bruder zu retten? Nein. Aber für zwei Brüder oder acht Cousins würde ich es tun", witzelte einst der britische Genetiker J.B.S Haldane. Und nahm damit ein Prinzip vorweg, das 30 Jahre später als "kin selection" bekannt wurde.

Die Verwandtenselektion, wie das Konzept auf Deutsch heißt, wurde 1964 von William Donald Hamilton entwickelt, um zu erklären, warum Tiere ihren Artgenossen Hilfestellungen angedeihen lassen. Das Problem dabei ist folgendes: Gemeinnütziges bzw. altruistisches Verhalten freut zwar die Empfänger, aber es verursacht Kosten für die Spender.

Und in einer konkurrenzbetonten Welt - Herbert Spencer nannte das metaphorisch "survival of the fittest" - ist auf den ersten Blick nicht einzusehen, warum Individuen ihre begrenzten Ressourcen für andere aufwenden sollten. In Kurzfassung: Egoismus sollte ökonomischer und daher erfolgreicher sein als Altruismus.
Selektion für Sippen
Hamilton wusste, dass es dabei auf die Perspektive ankommt. Wenn man den Blick von Einzeltier löst und Evolution als die Summe jener Faktoren betrachtet, die die
Weitergabe von Genen an die nächste Generationen fördern, erweist sich der Ökonomie-Einwand als Scheinproblem.

Demzufolge kann es unter Umständen klüger sein, auf die eigene Fortpflanzung zu verzichten, und stattdessen beispielsweise Brüder und Schwestern tatkräftig zu unterstützen. Ganz einfach deshalb, weil Geschwister 50 Prozent des Erbguts teilen.

Das Beispiel ist freilich ein Extremfall, aber der Tendenz nach stimmt es schon. Altruismus tritt nicht nur, aber besonders häufig zwischen nahe Verwandten auf, daher auch der Name "Verwandtenselektion". Wenn man so will, könnte man auch sagen, dass Hamilton nur den alten Witz von J.B.S. Haldane neu erzählt hat - allerdings in mathematischer Formulierung.
Familiärer Symmetriebruch
In ihrer ursprünglichen Form lässt die Theorie ein paar Aspekte der biologischen Realität unberücksichtigt. Etwa den: Nachwuchs zu bekommen ist nämlich für weibliche Tiere eine ungleich kostspieligere Angelegenheit als für Männchen, die wiederum den Nachteil haben, dass sie sich ihrer Vaterschaft niemals hundertprozentig sicher sein können. Diese Asymmetrie sollte nach Ansicht der US-Psychologen Joonghwan Jeon und David M. Buss auf das gemeinnützige Verhalten abfärben.

Um das zu überprüfen, konfrontierten die beiden 195 Studenten mit folgendem Text: "Angenommen, sie spazieren durch die Stadt und kommen an einem Gebäude vorbei, das in Flammen steht. In diesem Gebäude befindet sich ihr(e) Cousin(e). Er/sie benötigt dringend ihre Hilfe. Wenn sie das Gebäude betreten, um ihn/sie zu retten, gefährden sie sich selbst. - Wie wahrscheinlich ist es, dass sie dennoch einen Rettungsversuch starten?"
Hypothese bestätigt
Jeon und Buss vermuteten, dass die Teilnehmer am ehesten den Cousins und Cousinen helfen würden, die von der Tante mütterlicherseits abstammen. Und am wenigsten jenen, die zur Familie des Onkels väterlicherseits gehören.

Der Grund: Nachdem Vaterschaft traditionell eine unsichere Sache ist, beinhalten die beiden Verbindungen zum Vater und zu dessen Bruder eine gewisse Unschärfe. Die Cousins aus dieser Linie können mit den Testpersonen genetisch verwandt sein, aber sie müssen nicht. Umgekehrt gibt es in dieser Frage bei der Mutter/Tante-Verbindung keine Diskussion.

Wie die Auswertung der Tests ergab, schlägt sich dieses Muster tatsächlich in den Antworten nieder. Und nicht nur in diesem Gedankenexperiment, sondern auch bei ganz alltäglichen psychologischen Fragen: Die Testpersonen unterhielten zu den Kindern der Tante mütterlicherseits die häufigsten Sozialkontakte, begegneten diesen Cousins besonders einfühlsam und standen ihnen emotional am nächsten. Die Kinder vom Bruder des Vaters rangierten auch hier an letzter Stelle.

Robert Czepel, science.ORF.at, 28.2.07
->   Verwandtenselektion - Wikipedia
->   J. B. S. Haldane - Wikipedia
->   William D. Hamilton - Wikipedia
 
 
 
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01.01.2010