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Wann ist ein Toter wirklich tot?  
  Wann gilt ein Mensch als tot? Trotz genau festgelegter medizinischer Verfahren wird immer wieder der Vorwurf laut, dass ein Mensch zu schnell für tot erklärt wird. Der Fall eines kleinen Buben in Großbritannien, der für tot erklärt wurde, um dann doch noch einmal "aufzuwachen", facht die Diskussion an.  
Fälle, in denen Menschen "vom Tod erwachen", wecken in vielen Menschen eine "Ur-Angst": lebendig begraben zu werden. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass in die Definition des Todes auch kulturelle und religiöse Vorbehalte einfließen. Wissenschaftler verweisen aber Bedenken, dass Menschen vorschnell für tot erklärt werden, um noch funktionstüchtige Organe entnehmen zu können, in das Reich der Mythen. Eine Neudefinition des Todes könnte aber dennoch bevorstehen.
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Für tot erklärt, und dennoch lebendig
Woody Lander war gerade erst zwei Wochen alt, als er infolge eines Herzinfarkts zu atmen aufhörte. Intensive Wiederbelebungsversuche im Krankenhaus Leeds schlugen fehl, das Baby wurde für tot erklärt.

Als die Krankenschwestern begannen, die Schläuche von seinem Körper zu entfernen und das Baby den Eltern gaben, damit sie von ihm Abschied nehmen konnten, begann er wieder zu zucken. Nach einer halben Stunde neuerlicher Wiederbelebungsversuche begann sein Herz wieder zu schlagen. Wie die BBC berichtet, ist der Bub heute 14 Monte alt und kerngesund.
->   BBC
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Hirntod gilt heute als endgültig
In der westlichen Welt gilt ein Mensch dann als tot, wenn der Hirntod festgestellt wird. Das war nicht immer so, erst mit dem medizinisch-technologischen Fortschritt wandelte sich das Todeskonzept. Viele Jahrhunderte lang nahm man an, dass der Tod mit dem Herz- und Atemstillstand eintrete.
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Der Tod und die Religion
Alle Religionen fokussierten ihr Todesverständnis traditionell auf den Atem- und Herzstillstand. Wie der Neurologe Steven Laureys in einem umfassenden Artikel über "Hirntod und Wachkoma" in "Nature Reviews Neuroscience" (doi:10.1038/nrn1789) festhält, gilt aber heute nahezu überall der Hirntod als akzeptierte Begründung. Besonders im Katholizismus umstritten sind aber Maßnahmen zur Lebenserhaltung bei einer irreversiblen Hirnschädigung. Denn während es Papst Pius XII. 1957 erklärte, dass es keine Verpflichtung zu außerordentlichen lebensverlängernden Maßnahmen bei kritisch Kranken gebe, wurde die Abschaltung der Apparate in jüngerer Vergangenheit von der katholischen Kirche immer wieder bekämpft.
->   Zum Abstract des Original-Artikels von Steven Laureys
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1968: Tod als "irreversibles Koma"
Einen Menschen nur dann als gestorben zu betrachten, wenn auch sein Gehirn stirbt, wurde erst mit dem intensivmedizinischen Fortschritt der 1950er und 60er Jahre möglich. 1968 definierte eine Kommission der Harvard Medical School, die aus zehn Medizinern, einem Juristen, einem Theologen und einem Wissenschaftshistoriker bestand, den Tod als "irreversibles Koma".

Wenige Jahre später zeigten neuropathologische Untersuchungen, dass für den Hirntod eine Schädigung des Stammhirns entscheidend ist, womit das Konzept des Stammhirntodes entworfen war.
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Wie der Hirntod festgestellt wird
Mehrere Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um einen Hirntod feststellen zu können. Zentral ist, dass es aufgrund einer Schädigung zu einem vollständigen und endgültigen Ausfall der gesamten Hirntätigkeit gekommen ist. Außerdem dürfen keine Hinweise vorliegen, dass ein Hirntod etwa aufgrund einer Vergiftung oder Unterkühlung nur vorgetäuscht wird. Gleichzeitig werden wichtige Sinnesreize geprüft und Hirnströme gemessen.

Wenn das irreversible Koma eingetreten ist, die Spontanatmung aufhört, auf bestimmte Schmerzreize keine Reaktion mehr erfolgt und dies über einen bestimmten Zeitraum nachgewiesen werden kann, wird davon ausgegangen, dass ein Patient hirntot ist.
->   Details zum Hirntod auf Wikipedia.de
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Todeszeitpunkt: Unterschrift der Ärzte
Zwei medizinische Fachleute müssen die Diagnose übereinstimmend stellen und sie in einem so genannten Hirntodprotokoll dokumentieren. Der Patient gilt paradoxerweise in dem Augenblick als "tot", wo dieses unterschrieben ist - unabhängig davon, ob und wie lange das Herz-Kreislauf-System des betroffenen "Toten" noch aufrechterhalten wird, um ihm die Organe zu entnehmen.

In diesem Fall müssen die den Tod diagnostizierenden Ärzte andere sein als jene, die die Transplantation vornehmen - eine Sicherheitsmaßnahme, um Interessenkonflikte auszuschließen. Die Gefahr, dass vorschnell Organe entnommen werden, sei nach Meinung der meisten Experten auszuschließen.
Alternative Definition: Ausfall des Neocortex
Es gibt aber durchaus auch Kritik an dieser Todesdefinition, die letztlich den Ausfall des für Atmung und Kreislauf zuständigen Stammhirns meint. So gab es Diskussionen, auch den Ausfall der Prozesse in der Hirnrinde (Neocortex), wo man das Bewusstsein oder auch die soziale Interaktionsfähigkeit verortet sieht, als "Tod" zu bezeichnen. Für diese Definition wurden aber nie harte Kriterien oder Tests entwickelt.
Neudefinition durch Stammzellen und Neuroprothesen?
Eine Neudefinition des medizinischen Todes könnte aber in näherer Zukunft bevorstehen, wie auch Steven Laureys in "Nature Reviews Neuroscience" schreibt. Vielleicht könnten Forschungen an Stammzellen, nanoneurologischen Verfahren und Neuroprothesen irgendwann die Reparatur eines beschädigten Gehirns ermöglichen - und damit die Hirntote wieder zum Leben erwecken.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 2.03.07
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Hirntod ist unumkehrbar (5.11.04)
 
 
 
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01.01.2010