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Ökosystem-Simulationen führten zu Forschungswandel  
  Mit der Erforschung von Ökosystemen verbindet man heute in der Regel einen Teilbereich der Umweltwissenschaften. Dabei war Ökosystemforschung zu Zeiten des Kalten Kriegs ein Steckenpferd der Militärs und Atombehörden. Der Philosoph und Erkenntnistheoretiker Claus Pias beschäftigt sich mit diesem relativ unbekannten Kapitel der Wissenschaftsgeschichte. Entscheidend dabei war die Rolle von Simulationen, die in der Folge auch andere Wissenschaften grundlegend verändern sollten, betont er in einem Interview.  
Bild: IFK
Claus Pias
science.ORF.at: Was interessiert Sie als Philosoph und Erkenntnistheoretiker an Ökosystemen?

Claus Pias: Ich bin über die Beschäftigung mit der Geschichte der Kybernetik bzw. der Computersimulation zu dem Thema gekommen. Beide fanden in den frühen 1950er Jahren in der Ökosystem-Forschung zusammen. Auf der einen Seite wurden dabei Ökosysteme als Regelsysteme begriffen - im Sinne von Regelung, Steuerung und Information.

Auf der anderen Seite schien es möglich, Ökosysteme am Rechner zu simulieren und sie als reparierbar zu verstehen. Man begann Probleme, die von Menschen verursacht sind, am Rechner zu modellieren und konnte so nicht nur Symptome beobachten, sondern auch Gründe erforschen und hoffen, damit eingreifen zu können.
Wie hat diese Erforschung von Ökosystemen begonnen?

Der Begriff Ökosystem stammt bereits aus den 1930er Jahren, wurde aber damals eher in ökonomischen oder gesellschaftlichen Metaphern analysiert. Die kybernetische Erforschung begann in den 1950er Jahren, ganz klein bei Tümpeln und Seen. Die ersten, die die Methoden und Begriffe der Ökosystemforschung auf kybernetische Begriffe umstellten - also Feedback, Information und Steuerung -, waren Limnologen, also Seenforscher. Stehende Gewässer eigneten sich dafür, weil man da kleine, halbwegs abgeschlossene Systeme hat, deren Stabilität beobachtbar ist.
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Veranstaltungs-Hinweis
Claus Pias hält am Montag, den 5. März 2007 um 18.00 c.t. am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften einen Vortrag mit dem Titel "Programmierte Natur. Zum Nutzen simulierter Ökosysteme". Ort: IFK, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien.
->   Mehr über die Veranstaltung (IFK)
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Hat die Ökologiebewegung dabei eine Rolle gespielt?

Hier zeigt sich ein Paradox: Die Grundlagenforschung zu Ökosystemen wurde erst mal vom amerikanischen Militär, von der Weltraum- und von der Atomenergiebehörde betrieben. Das sind genau jene Institutionen, die später von der Ökobewegung kritisiert worden sind. Eines der ersten Testfelder für die Ökosystemforschung war das Bikini-Atoll, weil man dort über die radioaktive Verseuchung auf dem Testgelände die Nahrungskreisläufe direkt nachvollziehen konnte. Das Forschungsprojekt wurde von der amerikanischen Atomenergiebehörde gefördert.
Ein Paradox, das einem erst im historischen Rückblick auffällt.

Ja, ursprünglich ging es um ganz handfeste Fragen: etwa wie man mit Kontaminationen umgeht und sich diese ausbreiten, wie man im nuklearen Ernstfall ein Gelände abschotten kann, ab wann ein Ökosystem kippen kann etc. Das hatte viel mit atomarer, aber auch biologischer und chemischer Kriegsführung zu tun. Die Frage, wie ein System stabil bleibt, impliziert immer auch, dass man eine Methode zur Destabilisierung herausfinden möchte, also Umwelten schaffen, die nicht mehr funktionieren.
Wichtig dabei ist die Simulation: Wenn ein Fußballspieler simuliert, tut er so, als ob er verletzt wäre, um den Schiedsrichter von einem Foul seines Gegners zu überzeugen. Er ist aber gar nicht verletzt. Ist das in der Wissenschaft so ähnlich?

Ich glaube, dass durch die Computersimulation etwas Neues entstanden ist. Sie hat diesem alten Begriff, der schon bei Platon auftaucht und immer an die Täuschung gebunden ist, eine neue Bedeutung verliehen. Mit der Computersimulation ist ein dritter Weg der Wissenschaften entstanden, ein Weg zwischen Theorie und Experiment.

Ein klassisches Beispiel dafür ist die Entwicklung der Wasserstoffbombe: Man hat hier einen Gegenstand, den man nicht experimentell untersuchen kann. Man kann nicht auf dem Labortisch eine nukleare Reaktion herstellen, man hat keine Instrumente, die das messen können, man hat keine Apparate, die eine solche Hitze aushalten. Andererseits ist die Sache aber auch nicht analytisch zugänglich, d.h. man kann sie nicht mit mathematischen Formeln beschreiben oder wenn, dann nur mit unendlich hohem Aufwand.

Der dritte Weg ist die Computersimulation: Man macht ein virtuelles Experiment im Rechner. Das Erstaunliche ist, dass diese virtuellen Experimente dann im realen Raum tatsächlich funktionieren.
Welches aktuelle Beispiel fällt Ihnen da ein?

Nehmen wir die Teilchenphysik, wo ja gerade in Genf für Milliarden Euro ein weiterer Beschleuniger zur Feststellung der Higgs-Teilchen gebaut wird. Wunderbar an der Teilchenphysik ist, dass sie keinen beobachtbaren Gegenstand hat, sondern komplett auf Simulationen hinausläuft.

Ihre Hauptarbeit besteht darin, mittels vernetzter Computer Simulationen zu betreiben. Experimente werden nur noch gemacht, um Modelle zu überprüfen. Die Tätigkeit findet nicht mehr an einer gesicherten Wirklichkeit statt, sondern bestimmte Messanordnungen bestätigen, ob Modelle funktionieren. Dabei hat sich etwas am Verhältnis von Beweis und Experiment verkehrt.
Das Verhältnis von theoretischer und praktischer Physik ist durchaus ambivalent. Nicht alles, was die Theoretiker sich so einfallen lassen, wird von den Praktikern auch nachvollzogen. Welche Rolle spielen dabei Simulationen?

Heinz von Foerster hat einmal gesagt: Immer wenn eine Lücke in der Theorie auftaucht, erfinden die Teilchenphysiker ein neues Teilchen. Und da hilft natürlich die Simulation, weil sie die Theorie überprüft - und nicht das Experiment.
Verglichen mit der Physik scheint die Philosophie ihre Deutungsmacht eingebüßt zu haben. Stringtheorie und Stephen Hawking sind auch in einem popkulturellen Sinn attraktiver.

Mit dem alten Anspruch der Philosophie, als Königsdisziplin quer oder über zu den Disziplinen zu stehen, gibt es schon längere Zeit Probleme. Das liegt nicht zuletzt daran, dass es in der Philosophie und Erkenntnistheorie eine große Technikvergessenheit gibt. Hier wird noch immer von klassischen Modellen wie Erkenntnissubjekt, Erkenntnisobjekt und ihrer Relation ausgegangen. Dass diese Relation aber hoch technisiert ist, wird wenig beachtet.

Die Verbindung zwischen Mathematik, Physik und Philosophie war und ist eng - man denke nur daran, was die Quantenphysik ausgelöst hat. Physik ist aber heute in weiten Teilen eine technische Wissenschaft, und gerade durch Computersimulationen spielen die Techniker eine ganz zentrale Rolle. Die Technik ist etwas, das neben den zwei Kulturen von Natur- und Geisteswissenschaften emporgekommen und zum Motor der Sache geworden ist.
Welche Rolle kann in dieser Welt die Philosophie noch spielen?

Martin Heidegger hat das in seinem posthum veröffentlichten Spiegel-Interview so beantwortet: Die Philosophie ist am Ende. Als Nachfolgerin hat er die Kybernetik betrachtet, das hieß für ihn damals auch Computerwissenschaften. Heidegger war durch die Technik sehr verunsichert, v.a. von der Behauptung, dass auch das Denken technisch sei. Computer wurden damals als Elektronengehirne begriffen. Man ging davon aus, dass sich auch im Gehirn digitale Schaltungen befinden, und dass man diese prinzipiell mit Röhren oder Transistoren nachbauen könne.

Eine Grundfrage der Philosophie, nämlich nach dem "Denken des Denkens" wurde in erschütternder Weise beantwortet: Dank der "Denkmaschinen" war der Mensch mit seinem Denken nicht mehr alleine. Diese Erschütterung hat sich mittlerweile wieder gelegt. Aber was wir heute als Erbe der Kybernetik haben, ist der Boom der Neuro-Wissenschaften.

Die Rolle der Philosophie besteht zum einen darin, sich in diese Diskussion stärker einzumischen und sie von ihrer Naivität zu befreien, etwa bei der Frage nach dem freien Willen. Und zum anderen Technikphilosophien zu formulieren jenseits der vermeintlich ewigen Menschheitsfragen, mit der sich die Philosophie häufig unhistorisch beschäftigt hat.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 5.3.07
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Claus Pias ist Professor für Erkenntnistheorie und Philosophie der Digitalen Medien am Institut für Philosophie der Universität Wien.
->   Homepage Claus Pias
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->   IFK
 
 
 
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01.01.2010