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"Strafender Gott" macht Gläubige aggressiv  
  Im Namen Gottes sind schon unzählige Gewaltakte und Morde begangen worden, gleichgültig ob von Christen, Moslems, Juden oder anderen Religionsgruppen. Dass schon das Lesen "heiliger Schriften" unmittelbar Gewalt auslösen kann, haben nun US-Psychologen empirisch bewiesen.  
Das trifft besonders dann zu, wenn Gewalt direkt mit einem "Wunsch des Herrn" legitimiert werden kann, berichten Brad Bushman von der University of Michigan und Kollegen in einer aktuellen Studie.

Selbst Atheisten lassen sich durch entsprechend aggressive Textstellen aufstacheln.
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Die Studie "When God Sanctions Killing: Effect of Scriptural Violence on Aggression" ist in "Psychological Science" (Bd. 18, März 2007) erschienen.
->   Psychological Science
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Mit heiligen Schriften ist nicht zu spaßen
Der Studie vorangestellt sind zwei Zitate, die den Untersuchungsgegenstand schon recht klar umreißen. Das eine stammt aus dem Matthäus-Evangelium (10, 34): "Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert."

Das andere aus dem Koran (3,151): "Wir werden in die Herzen der Ungläubigen Schrecken werfen; deshalb, weil sie Allah Götter (zur Seite) setzten, wozu Er keine Ermächtnis niedersandte; und ihre Wohnstätte wird das Feuer sein, und schlimm ist die Herberge der Ungerechten!"

Extremisten aller Religionsgemeinschaften haben sich von solchen Texten inspirieren und ihre Gewaltakte damit rechtfertigen lassen. Ob sie sich auch ganz spontan auf das Aggressionsniveau ihrer Leser auswirken, haben nun die Forscher um Bushman untersucht.
Zwei unterschiedlich gläubige Versuchsgruppen
Dazu führten sie ein sozialpsychologisches Experiment mit den Studierenden zweier Universitäten durch: zum einen stammten sie von der Brigham Young University mit 99 Prozent christlich Gläubigen, zum anderen von der Freien Universität Amsterdam mit einem Anteil von "50 Prozent Gottes- und 27 Prozent Bibel-Gläubigen".

Nachdem sie zuerst über ihre Religiosität Auskunft gegeben hatten, bekamen die Versuchtsteilnehmer drei relativ unbekannte Kapitel aus dem Buch der Richter des Alten Testaments zu lesen.

In Kapitel 19-21 geht es um die "Schandtat von Gibea", bei der erst eine Frau von einer wilden Meute vergewaltigt und ermordet wird und es danach zu blutigen Racheaktionen kommt.
->   Kapitel 19 "Schandtat von Gibea"
Fingierte Vorgaben
Als ob die Erzählung nicht schon derb genug wäre, wurde dem Text der einen Hälfte der Probanden ein Absatz hinzugefügt, in dem Gott direkt Rache für die Ermordung der Frau fordert.

Zudem war nur eine Hälfte darüber informiert, dass es sich um eine Bibelstelle handelte. Den anderen wurde erzählt, dass der Inhalt einer Textrolle verwendet wird, die erst vor relativ kurzer Zeit von Archäologen entdeckt worden sei.
Aggressionstest durch "Lärmschläge"
Nach der Lektüre machten jeweils zwei Versuchsteilnehmer miteinander einen Reaktionstest - wer schneller auf eine Taste drückte, durfte dabei in jeder der insgesamt 25 Spielrunden dem Verlierer einen "Lärmschlag" via Kopfhörer versetzen.

Die Lautstärke - zwischen 0 und 105 Dezibel - durften die Teilnehmer selbst wählen. Dabei handelt es sich um einen gebräuchlichen Aggressionstest.
Racheaufforderung Gottes wirkt
Wie sich zeigte, stieg bei zwei Gruppen das Aggressionsniveau bei der Wahl ihrer "Lärmschläge": erstens bei jenen, die dachten, dass es sich um einen Bibeltext gehandelt hatte - und zwar gleichgültig, ob es Gläubige oder "Ungläubige" waren; und zweitens bei jenen, die von einer direkten Racheforderung Gottes ausgegangen sind.

Bei allen Gruppen reagierten die Gläubigen aber weit aggressiver als ihre atheistischen Kollegen.
Geschlechter-Differenz
Ein weiterer Unterschied betraf die Geschlechter: Frauen reagierten in allen Versuchsgruppen weniger aggressiv als Männer.

Und: Bei den Frauen war es gleichgültig, ob die Racheaufforderung direkt von Gott stammte oder nicht, die Aggressionsniveaus beider Gruppen waren gleich hoch.
Bemerkenswerte Kraft geschriebener Werke
Gewalttätige Texte können Extremisten zu mehr gewalttätigen Handlungen bewegen, lautet einer der Schlüsse der Forscher. Umso mehr, als ihre Versuchsteilnehmer nicht den durchschnittlichen Fanatikern ähneln, "die Zivilisten in die Luft jagen", schreiben Bushman und Kollegen.

Dass auch Atheisten aggressiver auf die "gottgewollte" Gewaltaufforderung reagieren, liegt laut den Forschern weniger an Gott, sondern mehr an der Kraft geschriebener Werke. Was natürlich nicht heißen soll, dass das Lesen brutaler Texte zwangsläufig zu Gewaltakten führt.

"Gewalttätige Geschichten, die das Leiden der Opfer beschreiben oder die Reue der Täter, können uns wichtige moralische Lektionen lehren. Wenn man aber eine einzelne Gewaltepisode aus dem Zusammenhang reißt, wie wir das in unserer Studie gemacht haben, kann die Aggression deutlich steigen."

[science.ORF.at, 7.3.07]
->   Bibel online
->   Koran online
->   University of Michigan Institute for Social Research
->   Brad Bushman, University of Michigan
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01.01.2010