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Schlankes Erbgut macht fit fürs Fliegen  
  Körperlich mögen die Dinosaurier Giganten gewesen sein, in genetischer Hinsicht waren sie eher Zwerge. US-Forscher haben die Genomgröße von 31 Saurierarten rekonstruiert und festgestellt, dass die direkten Vorfahren der Vögel ein ausgesprochen kleines Erbgut hatten.  
Diese Eigenschaft teilen sie mit den heute lebenden Vögeln, berichtet ein Team um Chris Organ von der Harvard University. Das stützt die bereits länger gehegte Vermutung, dass sich schlanke Genome besonders gut für die fliegende Lebensweise eignen.
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"Origin of avian genome size and structure in non-avian dinosaurs" von Chris L. Organ et al. erschien in "Nature" (Bd. 446; S. 180; doi:10.1038/nature05621).
->   Abstract
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Vögel und Fledermäuse sind sparsam
Fliegen macht das Erbgut schlank. Das mag auf den ersten Blick nicht besonders einleuchtend klingen. Denn was sollte die Art der Fortbewegung mit der Größe des Erbguts zu tun haben? Genetische Befunde weisen jedenfalls darauf hin, dass der Satz stimmt.

Vögel haben beispielsweise unter den Landwirbeltieren das mit Abstand kleinste Genom. Und Fledermäuse weisen im Vergleich zu ihren nächsten Säugetier-Verwandten ebenfalls ein geschrumpftes Erbgut auf.

Man kann den Zusammenhang auch andersrum belegen: Innerhalb der Gruppe der Vögel gibt es bekanntlich einige flugunfähige Vertreter - und das sind just jene, die am meisten DNA in ihrem Zellkern tragen.
Physiologischer Vorteil
Das kann kein Zufall sein, dachten die beiden US-Biologen Austin und Marianne Hughes im Jahr 1995 und suchten nach einem Mechanismus, der dafür verantwortlich sein könnte. Sie wurden fündig. Studien aus den 70er und 80er Jahren zeigen demzufolge, dass bei Vögeln nicht nur das Genom ein wenig geschrumpft ist, sondern auch die Körperzellen. Ein Zusammenhang, der im Übrigen für alle Wirbeltiere gilt: Je kleiner das Erbgut, desto kleiner sind auch die Zellen des jeweiligen Tieres.

Und genau an diesem Punkt hakten Austin und Marianne Hughes ein. Sie argumentierten, dass kleinere Zellen - etwa rote Blutkörperchen - eine relativ größere Oberfläche besitzen und daher den Gasaustausch in Muskeln und Lungen effizienter gestalten. Eine Eigenschaft, die besonders beim Fliegen von Vorteil sei (Nature 377, 391).

Das erklärt allerdings nicht zwingend, wie es zur Sonderstellung der Vögel kam. Im Prinzip kann das nämlich auf zwei Arten passiert sein. Entweder ist die Schrumpfung des Erbguts als Anpassung an die fliegende Lebensweise passiert oder es war umgekehrt. In diesem Fall hatten die Vorfahren der Vögel bereits wenig DNA in ihren Zellkernen, noch bevor sie sich in die Lüfte erhoben.
Erbgut-Rekonstruktion mit Knochenresten
Die Frage ist nicht leicht zu klären, denn schließlich bräuchte man dazu DNA-Proben der Vogelahnen, den ausgestorbenen Dinosauriern. Und die gibt es nicht. Indirekt lässt sich das Problem dennoch lösen, berichtet nun ein Team um Chris Organ von der Harvard University.

Und zwar auf folgende Weise: Anhand von fossilem Knochenmaterial lässt sich relativ gut abschätzen, wie groß die darin befindlichen Knochenzellen waren. Nachdem es zwischen Zell- und Genomgröße einen systematischen Zusammenhang gibt, kann man letztere berechnen, sofern man über ein geeignetes statistisches Modell verfügt.

Das Modell der US-Forscher funktioniert offenbar, wie ein Test an heute lebenden Wirbeltieren zeigte: Es sagte die tatsächliche Genomgröße ziemlich präzise voraus.
Zwei Gruppen: T. rex versus Stegosaurus
 
Bild: The Gabriel Laboratory for Cellular and Molecular Paleontology at the Museum of the Rockies, Montana.

Bei ihrer rechnerischen Zeitreise in das Erdmittelalter stellten Organ und sein Team fest, dass die Saurier in zwei Gruppen zerfallen: "Die Theropoden - Fleischfresser wie Tyrannosaurus rex und Velociraptor - hatten ein relativ kleines Erbgut, in etwa in der Größe der heutigen Vögel", sagt Organ. "Vogelbeckensaurier - zu denen etwa Stegosaurus und Trizeratops gehören - hatten ein mittelgroßes Genom, nicht unähnlich den heute lebenden Echsen und Krokodilen."

Bild oben: Ausschnitte aus der Knochenstruktur von Protoceratops, ein kleiner pflanzenfressender Verwandter von Triceratops (links), sowie von Deinoncyhus, ein kleiner Fleischfresser und Vorfahre der Vögel. Die Balken zeigen jeweils 100 Mikrometer an.
Flugtaugliches Erbe
Den Begriff "Vogelbeckensaurier" darf man nicht falsch verstehen: Die Vertreter dieser Großgruppe heißen zwar so, weil ihr Becken ähnlich gestaltet ist wie jenes der heutigen Vögel. Aber sie sind nicht näher mit ihnen verwandt. Die Vorfahren der Vögel stammen aus der anderen Großgruppe, zu der unter anderem der berühmte T. rex gehört.

Den Berechnungen zufolge haben die Theropoden bereits vor mindestens 230 Millionen Jahren jede Menge genetischen Ballast abgeworfen und ihr Erbgut stromlinienförmiger gestaltet. Warum, weiß man nicht. Klar ist zumindest, dass zu diesem Zeitpunkt der Typus "Vogel" noch nicht erfunden war. Zwar schwirrten im Trias schon Insekten durch die tropische Luft über dem Superkontinent Pangäa, die Wirbeltiere indes beschränkten sich noch aufs Kriechen oder Laufen.

Genom und Zellen der Vogelahnen waren also bereits für das Fliegen disponiert, noch bevor es überhaupt zur Diskussion stand. "Präadaptationen", wie Biologen solche Merkmale nennen, sind an sich nichts Ungewöhnliches: Auch die Federn, Hohlknochen und der Nestbau wurden von den Sauriern erfunden. Aber erst ihre Erben gingen damit in die Lüfte.

Robert Czepel, science.ORF.at, 7.3.07
->   Chris Organ - Harvard University
->   Austin L. Hughes - Indiana University
->   Animal Genome Size Database
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01.01.2010