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Ist das Universum ein Fraktal?  
  Seit Albert Einstein geht man davon aus, dass die Materie im Universum mehr oder weniger gleichförmig verteilt ist. Einige Physiker rütteln nun an diesem Dogma und sagen: Die Materieklumpen im leeren Raum sehen aus wie selbstähnliche Gebilde, sie sind Fraktale.  
Die Brokkoli-Hypothese
Wenn es nach Luciano Pietronero geht, sollten wir uns das Universum wie einen gigantischen Brokkoli vorstellen. Die Blütenstände des Gemüsekohls sind ein beliebtes Beispiel um die Natur der Selbstähnlichkeit zu demonstrieren. Ein kleines Brokkoliröschen sieht nämlich so aus wie eine verkleinerte Kopie des Gemüses, da sich die Wachstumsmuster der Pflanze im Großen wie im Kleinen wiederholen.

Mathematiker nennen solche Gebilde "Fraktale". Der Begriff leitet sich vom lateinischen Wort fractus (dt. gebrochen) ab, und beschreibt die Tatsache, dass Fraktale eine nicht-ganzzahlige (eben gebrochene) Dimension aufweisen.

Nach Luciano Pietronero, Physiker an der Universität Rom, gilt ähnliches für das Weltall. Auf den ersten Blick scheint das auch zu stimmen. Vermittelt durch die allgegenwärtige Schwerkraft neigt die Materie dazu, sich im leeren Raum mit ihresgleichen zu vereinigen. Das gilt im Großen wie im Kleinen: Sie bildet Planetensysteme und Galaxien, die sich wiederum zu Galaxienhaufen und Superclustern zusammenfinden.
->   Fraktal - Wikipedia
Cluster von Superclustern
 
Bild: Sloan Digital Sky Survey Team, NASA, NSF, DOE

Und selbst die Supercluster, wie etwa der 60 Mio. Lichtjahre entfernte Virgo-Haufen, unterhalten nach neueren Erkenntnissen nachbarschaftliche Verbindungen zu anderen Materieinseln in den Weiten des Alls. Im Jahr 2003 entdeckten Forscher der Princeton University, dass sich Supercluster offenbar zu gigantischen fadenförmigen Gebilden vereinigen.

Der "Sloan Great Wall" (Bild oben), wie die Entdeckung heute genannt wird, ist mit einer Länge von 1,37 Milliarden Lichtjahren die größte bekannte Struktur am Sternenhimmel (Astrophysical Journal 624, 463).
Ein Sandhaufen aus der Distanz betrachtet
Was spricht dagegen, dass sich dieses Muster in noch größeren Dimensionen fortsetzt? Zunächst einmal die Theorie. Laut Albert Einstein gilt in der Astrophysik das Kosmologische Prinzip, demzufolge das Universum überall gleich aufgebaut ist.

"Gleich" heißt in diesem Fall: Die Materie muss im Mittel homogen verteilt sein, sofern man ein Blickfenster wählt, das groß genug ist. Genau an diesem Punkt scheiden sich die Geister: Traditionalisten meinen, dass im ganz großen Bild des Universums all die Supercluster und noch größeren Strukturen keine Rolle spielen, weil sich ihre An- bzw. Abwesenheit statistisch herausmittelt.

"Man kann sich das vorstellen wie bei einem Sandhaufen", erklärt Michael Maitzen vom Institut für Astronomie der Universität Wien im Gespräch mit science.ORF.at. "Wenn man diesen Haufen aus der Nähe betrachtet, sieht man die einzelnen Sandkörner und er erscheint geklumpt. Geht man weit genug weg, verschwinden die Körner und er erscheint als gleichförmige Masse."
Kleine Sichtfenster
Pietronero und seine Kollegen von der kosmischen Fraktalabteilung argumentieren hingegen, dass bei größerer Entfernung neue Sandhaufen ins Blickfeld geraten und sich das Spiel von neuem wiederholt. Der Streit ist insofern einer um des Kaisers Bart, als man diese Frage anhand von Beobachtungsdaten zurzeit nicht endgültig klären kann.

Denn das bislang engagierteste Projekt auf diesem Gebiet, der "Sloan Digital Sky Survey", durchmusterte mit seinen Teleskopen Sichtfenster von rund 1,5 bis zwei Milliarden Lichtjahren Durchmesser. "Sie sind also nicht wesentlich größer als das bisher größte bekannte Objekt, der 'Sloan Great Wall'", betont Maitzens Institutskollege Werner Zeilinger. Was jenseits dieses Limits existiert, ist (noch) unbekannt.
->   Sloan Great Wall - Wikipedia
Der Hauptakteur: Dunkle Materie
Licht ins Dunkel könnte paradoxerweise die Dunkle Materie bringen, die bekanntlich so heißt, weil sie keinerlei Licht oder andere elektromagnetische Strahlung abgibt. Sie macht sich lediglich durch ihre Schwerkraftwirkung bemerkbar. Rund 85 Prozent der gesamten Materie im Universum geht nach Schätzungen von Astrophysikern auf das Konto dieser mysteriösen Substanz.

Die Eine-Million-Euro-Frage lautet daher: Zeigt die Dunkle Materie das selbe (fraktale) Verteilungsmuster wie ihr sichtbares Gegenstück? Die Ergebnisse des "Sloan Digital Sky Survey" (SDSS) deuten an, dass dem nicht so ist. Die Dunkle Materie dürfte demnach viel gleichförmiger verteilt sein und sogar in den scheinbar leeren Gebieten des intergalaktischen Raums, so genannten voids, vorkommen.

Das passt gut ins theoretische Bild. Sichtbare Materie neige, wie Gravitationsphysiker Peter C. Aichelburg von der Universität Wien erklärt, eher zur Bildung von Materieverdichtungen, weil sie ihre Bewegungsenergie durch Strahlung abgebe. Dunkle Materie könne das nicht und sei deswegen auch weniger mobil.
Widersprüche treten auf
Allerdings weisen nicht alle Studien in diese Richtung. Laut den letzten Ergebnissen des "Cosmic Evolution Survey" sind die erwähnten voids vielleicht doch echtes Niemandsland.

"Große Bereiche des Raumes sind völlig leer", sagte kürzlich der US-Astrophysiker Richard Massey gegenüber der Zeitschrift "New Scientist" (193, 33): "Die Dunkle Materie bildet ein Netzwerk von Fäden und Flächen um die voids. Und all die leuchtende Materie liegt in den dichtesten Regionen der Dunklen Materie."
Theoretische Probleme
Auf empirischer Seite steht das Match zwischen Fraktalisten und Traditonalisten zurzeit wohl unentschieden. In theoretischer Hinsicht haben letztere noch einen Trumpf in der Hand. Sollte das Brokkoli-Bild des Universums stimmen, handelt man sich nämlich schwere Probleme ein. "Ohne homogene Verteilung der Materie kann man die Expansion des Universums nur schwer erklären", gibt Michael Maitzen zu bedenken.

Ähnlich sieht das auch SDSS-Forscher David Hogg von der New York University: "Das Universum ist kein Fraktal. Und wenn dem so wäre, würde man damit viel mehr Probleme schaffen, als wir gegenwärtig haben." Seiner Ansicht nach wären von einem solchen Paradigmenwechsel unmittelbar die Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie betroffen, kurz gefolgt vom Urknall und der erwähnten Expansion des Universums.

"Aus meiner Sicht gibt es überhaupt keinen Grund über fraktale Strukturen im Universum nachzusinnen, bevor wir ein physikalisches Modell haben, das diese Muster erklärt", meint Hogg. Dem hält Fraktal-Papst Pietronero im "New Scientist" entgegen: "Das sind Fakten, keine Theorie."

Ganz so leer wie behauptet ist der Marktplatz der Fraktal-Modelle indes nicht: Der französische Astrophysiker Laurent Nottale hat im Jahr 2003 die Theorie der "Skalenrelatvität" vorgestellt, die die Strukturbildung im Universum erklären könnte (Chaos, Solitons & Fractals 16, 565). Sie ist allerdings noch bizarrer als Pietroneros Konzept. Ihr zufolge ist nämlich nicht nur die Verteilung der Materie ein Fraktal, sondern auch die Raumzeit selbst.

Robert Czepel, science.ORF.at, 21.3.07
->   Luciano Pietronero - Universität Rom
->   Sloan Digital Sky Survey
->   Cosmic Evolution Survey
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01.01.2010