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"Geisterfotografie" in Europa und Afrika  
  Die Fotografie wurde im Lauf ihrer Geschichte nicht nur zur Abbildung realer Gegenstände, sondern auch für spiritistische Zwecke eingesetzt. Von einigen Beispielen dieser "Geisterfotografie" berichtet die Ethnologin Heike Behrend vom IFK in Wien in einem Gastbeitrag.  
Fragmente einer interkulturellen Fotografiegeschichte
Von Heike Behrend

Geister scheinen überall auf der Welt ein seltsames Interesse zu haben, sich mit neuen technischen Medien - wie Telegrafie, Fotografie, Radio oder Telefon - zu verbinden, um ihre "wahrhaftige" Präsenz zu beweisen und um Botschaften zu senden. So etwa im Jahr 1848, als Geister einem amerikanischen Geschwisterpaar via Morsealphabet Nachrichten "sendeten" und damit eine globale Welle des Spiritismus auslösten.
Der Fall William H. Mumler
Nur wenige Jahre später begannen die Geister von Verstorbenen, auf Fotografien zu erscheinen. Nachdem bereits 1856 ein Handbuch von David Brewster mit Hinweisen für die fotografische Produktion von Effekten des Geisterhaften erschienen war, entdeckte der Graveur und Fotograf William H. Mumler 1861 in Boston (USA), als er ein fotografisches Selbstportrait entwickelte, zufällig eine zweite Gestalt auf dem Foto.

Er erkannte in ihr seine Cousine, die vor zwölf Jahren gestorben war. Auch bei weiteren Experimenten erschienen seltsame, schemenhafte Lichtgestalten auf den Abzügen, die er als Geister oder Bilder von Geistern interpretierte.

Da seine Geisterfotografien auf großes Interesse stießen, vor allem bei Spiritisten, eröffnete er 1869 in New York ein Studio, das sich auf Geisterfotografie spezialisierte. Noch im gleichen Jahr musste er sich wegen Täuschung und Betrugs vor Gericht verantworten.

Die Anklage wurde jedoch wegen nicht ausreichender Beweise und auf Grund der positiven Aussagen von zahlreichen vertrauenswürdigen Persönlichkeiten fallen gelassen und dies als großer Sieg von seinen spiritistischen Anhängern über ihre Widersacher verbucht.
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Veranstaltungs-Hinweis
Heike Behrend hält am Montag, den 19. März 2007 um 18.00 c.t. am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften einen Vortrag mit dem Titel "Geisterfotografie: Fragmente zu einer interkulturellen Mediengeschichte der Fotografie. Ort: IFK, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien.
->   IFK
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Spiritistische Ursprünge
Die Geisterfotografie entstand als Pendant und Teil des Spiritismus und seiner Beschwörungsrituale. Wie der Spiritismus, so verbreitete sich auch die Geisterfotografie von Amerika nach Europa, Australien und Japan.

Sie bildete sich an der Schnittstelle von Wissenschaft und Religion heraus und wurde zu einem Medium, das zwischen der unsichtbaren und der sichtbaren Welt vermittelte und die Kategorien des Sichtbaren und des Unsichtbaren neu definierte.
Fotoscheue Geisterwelt Afrikas
Auch in Afrika "nutzten" Geister moderne Medien wie die Schrift, das Telefon oder auch das Radio, um auf sich aufmerksam zu machen und Botschaften zu vermitteln.

Doch während die Geisterfotografie in Europa in einer merkwürdigen Überkreuzung von Magie und Materialismus als ideales Medium erscheinen konnte, Geister und andere unsichtbare Mächte "in ihren Materialisierungen" sichtbar zu machen, wurde diese magische Fähigkeit der Fotografie in Afrika nicht ausgeschöpft.

Obwohl es zahlreiche Geister in den lokalen Traditionen Afrikas gibt und die Fotografie auf diesem Kontinet seit 150 Jahren praktiziert wird und Eingang in das Alltagsleben fand, entstand hier keine Geisterfotografie.
Ablehnende Haltung der Priester
So erklärten Priester und Geistmedien z.B. in Nordnigeria, dass Geister nicht fotografiert werden wollen, oder dass, wenn Geister bzw. ihre Medien fotografiert würden, sie auf dem Film bzw. dem Foto nicht zu sehen seien.

Andere berichteten auch von Geistern, die Kameras explodieren ließen oder erzählten Geschichten mit tödlichem Ausgang: von Europäern, die trotz Verbot fotografierten und dann prompt einen Unfall erlitten oder krank wurden und dann starben.
Geister in Videos
Während also Geister in Afrika sich weigern, durch Fotografie sichtbar gemacht zu werden, erscheinen sie jedoch auf vielfältige Weise in lokal produzierten Videos.

So wie Geistmedien als Vermittler zwischen Menschen und Geistern auftreten, so definieren sich zahlreiche Videomacher in Nigeria und Ghana als Vermittler göttlicher (christlicher) Botschaften. Nicht mediumistisch begabte Fotografen wie in Europa, sondern Videomacher traten in Ghana und Nigeria seit etwa 1990 die Nachfolge von Geistmedien an.
Ein Medium in kulturellen Variationen
Offensichtlich entwickeln technische Medien und Geistmedien in anderen kulturellen Milieus auch andere Mediengeschichten. Die technologische hardware liefert nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung dafür, wie ein Medium letztlich genutzt wird und welche kulturellen Konkretionen und Hybridisierungen es erfährt.

Die unterschiedlichen interkulturellen Mediengeschichten und ihren Differenzen in Afrika und Europa sollen im IFK_Vortrag bruchstückhaft nachgezeichnet werden.

[16.3.07]
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Über die Autorin
Heike Behrend ist Professorin für Ethnologie am Institut für Afrikanistik der Universität zu Köln. Sie studierte Ethnologie, Soziologie und Religionswissenschaften in München, Wien und Berlin. Habilitation 1993 mit der Arbeit "Alice und die Geister. Krieg im Norden Ugandas." Sie arbeitet zurzeit über religionsethnologische Themen und moderne Medien in Afrika. Publikationen (Auswahl): "I am like a movie star in my street": Photographic Self-Creation in Postcolonial Kenya, in: Richard Werbner (Hg.), Postcolonial Subjectivities in Africa, London 2002; "Call and Kill": Zur Verzauberung und Entzauberung westlicher technischer Medien in Afrika, in: Erhard Schüttpelz und Albert Kümmel (Hg.), Signale der Störung, Köln, 2003; Photo-Magic. Photographies in Practices of Healing and Harming in Kenya and Uganda, in: Birgit Meyer (Hg.), Journal of Religion in Africa, special issue on Media and Religion in Africa, 33, 2, 2003.
->   Heike Behrend - Uni Köln
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01.01.2010