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Kleiber beherrschen die Meisensprache  
  US-Forscher haben herausgefunden, dass sich nordamerikanische Singvögel offenbar eine Zweitsprache zugelegt haben. Warnen Meisen ihre Artgenossen vor Feinden, versetzt das auch Kleiber in höchste Alarmbereitschaft.  
Der Fall ist insofern einzigartig, als die Warnrufe einige semantische Feinheiten aufweisen: Sie signalisieren nicht nur "Hier Feind!", sondern informieren auch über das Ausmaß der Bedrohung, berichtet Christopher Templeton von der University of Washington.
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"Nuthatches eavesdrop on variations in heterospecific chickadee mobbing alarm calls" von Christopher N. Templeton und Erick Greene erscheint zwischen 19. und 23. März auf der Website der "Proceedings of the National Academy of Sciences" (doi: 10.1073/pnas.0605183104).
->   Zur Studie (sobald online)
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Amseln mit Handy-Dialekt
Sollten Sie nach dem Abklingen der Schlechtwetterphase in einem Park sitzen, die Frühlingssonne genießen und plötzlich in vier Metern Höhe ein Handy klingeln hören - wundern Sie sich nicht. Es handelt sich dabei vermutlich nicht um ein Mobiltelefon, das von einem Parkbesucher nach einer Kletterpartie auf dem Baum nebenan vergessen wurde, sondern um ein Amselmännchen.

Von vielen Vogelarten ist bekannt, dass sie alle möglichen Töne und Geräusche mit großer Meisterschaft imitieren. Stare beispielsweise können schon mal wie Hühner gackern, sofern sie nahe an einem Bauernhof leben. Und Amseln haben neben zahlreichen arttypischen Strophenvarianten auch die Fahrradklingel im Programm, weil sie ihrer Umwelt generell den akustischen Spiegel vorhalten. Dass neuerdings eben auch Handyklingeltöne zum Amselrepertoire gehören, entbehrt da nicht einer gewissen Logik.

Inwieweit das der Frühlingsromantik zuträglich ist, ist freilich eine andere Frage. Aber das kümmert die Amsel wenig. Sie verwendet diese Rufe, um ihre Artgenossen zu erreichen, sprich: ihr Territorium gegenüber potenziellen Konkurrenten abzustecken und Weibchen anzulocken.
Fremde Rufe verstehen
Treffen mehrere lernfähige Arten aufeinander, kann die Situation auch komplizierter werden. Diana- und Campbellmeerkatzen beispielsweise verwenden verschiedene Warnrufe um ihre Artgenossen vor ihren zwei Hauptfeinden - Leoparden und Adlern - zu warnen.

Interessant daran ist, dass die Rufe offenbar über die Artgrenzen hinaus verstanden werden: Dianameerkatzen nehmen auch dann Reißaus, wenn die Kollegen von der anderen Art Alarm geben (Proceedings Royal Society B 267, 713). Fremdsprachenkenntnisse quasi.
Lautmalerei in der Ornithologie
 
Bild: Christopher Templeton

Bei der Schwarzkopfmeise (Bild oben), einem amerikanischen Singvogel, ist die Situation noch ein bisschen verwickelter. Sie unterscheidet in ihrem Alarmrepertoire grundsätzlich zwischen fliegenden und sitzenden Feinden.

Ersteres wird durch ein zartes "Siet" signalisiert, letzteres durch ein kräftiges "Tschik-ä-die". Dieser Laut war namensprägend: Die Schwarzkopfmeise wird in den USA "Chickadee" genannt, was im Übrigen kein Einzellfall in Sachen vogelkundlerischer Onomatopoiese ist. Auch bei uns gibt es Vögel, die so heißen, wie sie klingen. Zilpzalp und Fitis etwa.
Code für Gefahr
Zurück zum "Tschik-ä-die": Der US-Biologe Christopher Templeton wies vor zwei Jahren nach, dass in der Endsilbe des Alarmrufes erstaunliche semantische Details versteckt sind. Je nachdem, wie oft Schwarzkopfmeisen die Silbe "die" verwenden, signalisieren sie Größe und Gefährlichkeit ihrer Feinde.

Sitzt beispielsweise ein 1,5 Kilogramm schwerer Virginia-Uhu im Revier, rufen die Meisen zwei Mal "die". Viel gefährlicher, weil wendiger, ist indes der 70 Gramm schwere Gnomen-Sperlingskauz. Taucht diese Eulenart in der näheren Umgebung auf, ist das den warnenden Meisen gut und gerne vier Silben wert. Wachteln, die zwar klein, aber ungefährlich sind, lösen hingegen bestenfalls ein müdes "die" aus (Science 308, 1934).
Mobbing gegen Feinde
Ganz ähnliche Verhältnisse gelten für den Kanadakleiber. Er frequentiert den selben Lebensraum wie die Schwarzkopfmeise und fürchtet sich ebenfalls besonders vor Feinden, die enge Flugmanöver beherrschen. Und noch eines haben Meise und Kleiber gemeinsam: Beide reagieren auf intensive Warnungen gegenüber sitzenden Feinden mit einem so genannten Mobbing-Verhalten.

Sie fliegen gemeinsam in Richtung Feind, schwirren um ihn und versuchen ihn zu vertreiben. Diese Strategie mag auf den ersten Blick ziemlich riskant aussehen, aber sie wirkt. Eulen suchen nach Mobbing-Attacken ihrer potenziellen Beute tatsächlich oft das Weite.
Fremder Code geknackt
Was spricht eigentlich dagegen, dass es sich bei den beiden Vogelarten so ähnlich verhält, wie bei Diana- und Campbellmeerkatzen? Eigentlich nichts, dachte sich Christopher Templeton und machte die Probe aufs Exempel. Er spielte den Kanadakleibern "Tschik-ä-die"-Varianten mit vielen oder wenigen Endsilben via Tonband vor - und siehe da: Sie verstanden es. Je mehr Gefahr die Botschaft signalisierte, desto intensiver fiel das entsprechende Mobbing-Verhalten aus.

"Die Tiere sind offenbar recht klug", meint Templeton: "Zu wissen, welcher Feind sich in ihrer Umgebung aufhält, kann bei ihnen über Leben und Tod entscheiden. Daher zahlt es sich aus, den Alarmrufen einer fremden Art zuzuhören. Dass der Kanadakleiber den Code der Botschaft geknackt hat und Informationen einer anderen Spezies bezieht, ist ziemlich aufregend." Wie genau die Vögel zu ihren Meisischkenntnissen gekommen sind, ist bislang unbekannt.

Robert Czepel, science.ORF.at, 20.3.07
->   Hörprobe: Meisen beim Mobbing
->   Schwarzkopfmeise - Wikipedia
->   Kanadakleiber - Wikipedia
->   Christopher Templeton - University of Washington
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01.01.2010