News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 
Die besondere Rolle der Sprache in der Wissenschaft  
  Durch Sprache entsteht Wirklichkeit, umgekehrt bestimmt Wirklichkeit die Sprache. Der Wissenschaft kommt in diesem Wechselverhältnis eine spezielle Rolle zu: Sie soll sich besonders klar, prägnant und verständlich ausdrücken. Ein Symposion in Wien geht der Verantwortung nach, die die Wissenschaft für den Sprachgebrauch trägt - vorab beleuchtet in einem Gastbeitrag der Sprachforscherin Maria Nicolini.  
Sprache - Wissenschaft - Wirklichkeit
von Maria Nicolini

Die Wortsprache ist Trägerelement der Information und Medium der Verständigung. Sie ist vor allem Organ, aus dem etwas Neues hervortritt. Sprache ist Handeln. Durch Sprache entsteht Wirklichkeit.

Oft ist etwas lang in Rede, ehe es sich als Äquivalent in der Wirklichkeit ausbildet. Umgekehrt bestimmt Wirklichkeit die Sprache. Ändern sich die Lebensformen, ändert sich der Sprachgebrauch - ein notwendiger Vorgang im lebendigen Fluss der Ereignisse.

Wir erschaffen die Sprache, indem wir sie gebrauchen. Fragt sich, ob die Sprache ihre Ordnung selbst besorgt, oder ob Ordnungsbemühungen notwendig sind, damit die sich wandelnde Sprache ihre Verständigungskraft behält. Und wenn: Wer kann solche Ordnungsbemühungen leisten, nach welchen Maßstäben?
Unverbrüchliches Vertrauensverhältnis
Wissenschaft hat Verantwortung für die Sprache und für den Sprachgebrauch. Wollte sie sich vor der Verantwortung drücken, stünde ihre Existenz auf dem Spiel, denn Wissenschaft existiert in Sprache, ihr Aggregatzustand ist sprachförmig.

Wissenschaft und Sprache stehen zu einander in einem unverbrüchlichen Vertrauensverhältnis: Ohne gute Sprache keine gute Wissenschaft - einfach, wenn wir wüssten, wie das gelingt.
...
Veranstaltungshinweis
Das Symposium "Sprache - Wissenschaft - Wirklichkeit" ist Auftakt derr Initiative "Sprache in Wissenschaft und Forschung, Sprache im gesellschaftlichen Dialog", getragen vom Wissenschaftsministerium und von der Ö1 Wissenschaftsredaktion.
Zeit: 22. 3. 2007, 15.00 Uhr
Ort: ORF RadioKulturhaus, Argentinierstrasse 30 A, 1040 Wien
Eintritt frei
->   Mehr über die Veranstaltung
...
Wissenschaft und Lebenswirklichkeit
Vielfach ist das Thema Sprache ein Tabu, wird es aus dem Tabu geholt, kann auch Verletzung passieren. Allein schon das Wort Text kann einen Konflikt auslösen oder eine Irritation. Wir referieren, präsentieren, publizieren.

Versteht uns jemand? Verstehen wir einander, wenigstens manchmal und zumindest in grober Spur? Wer sagt, was gute wissenschaftliche Sprache ist, wie wir sie finden und gebrauchen können, um mit der sozialen Wirklichkeit strukturdeutend und strukturbildend in Dialog zu treten?

Und dieser Dialog ist immer fällig; durch ihn gelangen Wissenschaft und Lebenswirklichkeit zu Resonanz. Wäre Wissenschaft ein Zustand in Quarantäne, eine Abstraktion im Elfenbeinturm, und betriebe sie bloß ihr Innenverhältnis, blieben nicht nur ihre Ergebnisse in einer virtuellen Welt, sie selbst hätte sich als science fiction eingehaust.
Texte - Gedächtnis der Kulturen
Weite Teile der Wissenschaft bemühen sich, aus dem Elfenbeinturm hinauszugehen und Verständigung mit der Öffentlichkeit herstellen, damit sich wissenschaftliche Ergebnisse in der sozialen Wirklichkeit einfinden.

Umgekehrt erhält Wissenschaft aus der sozialen Wirklichkeit themensetzende Impulse, sie wird konfrontiert mit Ansprüchen, muss sich rechtfertigen und ihren Vertrauensbonus festigen.

Und immer die Sprache, denn all das sind Berührungsversuche mit gesprochener Sprache, vor allem aber mit Texten. In diesen wird das Gesprochene aufgezeichnet, um nicht im Moment des Gesprochenwerdens auch schon verloren zu sein. Texte sind das Gedächtnis der Kulturen.
Einfach und doch exakt
Nicht selten meldet sich das Wort "wissenschaftlich" allerdings fast als Schimpfwort, mindestens als Distanzwort: "wissenschaftlich", das gilt von vornherein als unverständlich, eingebildet, hochgestochen, ist nichts, wie man sagt, "für den einfachen Menschen".

Umso mehr ist deshalb vor allem den modernen inter- und transdisziplinären Wissenschaften, die Kooperationen mit der gesellschaftlichen Praxis zum Programm erheben, eine möglichst allgemein verständliche Sprache abverlangt, die dennoch den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erfüllt: Integriertheit in die wissenschaftliche community, Präzision der Fragen, Exaktheit der Fachtermini, der Argumente und Schlüsse, Seriosität der Methoden.

Schlicht sollte diese Sprache sein, ohne Behübschung, ohne Egobreite, dem wissenschaftlichen Gegenstand verpflichtet.
Schreiben ist Unterscheiden
In einem guten wissenschaftlichen Text findet das Fluide seine genaue Form, entfaltet Wissen seine Überzeugungskraft und Atmosphäre, seine Dringlichkeit. Nur die klare, verständliche, schlichte Sprache, die die Ausdrucksintention trifft und der Situation, an die sie sich richtet, angemessen ist, kann solches leisten. Denken, Sprechen, Schreiben ist Unterscheiden. Gute Sprache ist eine Sprache der feinen Unterschiede.

Die Öffentlichkeit hat Interesse an bedeutungstragender Sprache und verständlicher Wissenschaft - mit Recht. Das Symposion gibt diesem Interesse einen Ort.

[20.3.07]
...
Über die Autorin
Maria Nicolini ist Professorin an der Universität Klagenfurt, Fakultät für interdisziplinäre Forschung. Schwerpunkte ihrer Arbeit: Nachhaltigkeitsforschung, Klangökologie, Wissenschaft und Sprache.
->   Maria Nicolini (Uni Klagenfurt)
...
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Risiken und Nebenwirkungen von Englisch (2.12.03)
->   Wie kann man Wissenschaftstexte verständlicher machen? (6.6.03)
->   Seriously Deutsch: Die Anglifizierung der Wissenschaft (11.6.02)
->   Deutsch als Wissenschaftssprache (7.8.01)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010