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Menschen-Gen lässt Mäuse Farben sehen  
  Mäuse und die meisten anderen Säugetiere sehen Farben, aber nur mit zwei Typen von Lichtsinneszellen. Menschen hingegen haben derer drei. US-Forscher haben Mäuse nun mit jenem menschlichen Pigment-Gen ausgestattet, das den Nagern fehlt. Das Ergebnis: Die Tiere nahmen die Welt tatsächlich - wie wir - dreifarbig wahr.  
Damit habe man gewissermaßen eine Etappe in der Evolution des Farbensehens nachgezeichnet, schreibt ein Team um Gerald H. Jacobs von der University of California in Santa Barbara.
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"Emergence of Novel Color Vision in Mice Engineered to Express a Human Cone Photopigment" von Gerald H. Jacobs et al. erschien in "Science" (Bd. 315, S. 1723; doi: 10.1126/science.1138838).
->   Abstract
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Rezept, nicht Blaupause
Das Erbgut ist keine Miniblaupause des Körpers, sondern eher so etwas wie ein Kochrezept, nach deren Vorgabe ein Körper gebildet wird, sagte einmal der britische Biologe Richard Dawkins. Ein Gen allein macht demnach keine körperliche Eigenschaft, sondern es ist Teil eines Prozesses.

Und dieser Vorgang läuft nicht immer gleich ab, wie jeder weiß, der schon mal einen verbrannten Kuchen aus dem Ofenrohr geholt hat. Dawkins wandte sich mit diesem Bild gegen einen allzu naiven genetischen Determinismus - und wenn das selbst der Vater des "egoistischen Gens" tut, dann will das schon etwas heißen.
Knock-in-Mäuse mit menschlichem Gen
Um bildhaft zu bleiben, könnte man noch hinzufügen: Der Prozess ist ein vielstimmiges Orchester, der (falsche) Eindruck von Soloauftritten entsteht nur deswegen, weil Genetiker in der Regel eben nur ein Gen pro Experiment manipulieren.

Insofern ist es schon überraschend, dass das letzte Experiment von Gerald H. Jacobs so klaglos funktioniert hat. Jacobs und seine Mitarbeiter statteten Mäuse mit einem menschlichen Gen für ein lichtempfindliches Pigment aus. Das Pigment ist besonders für rotes Licht empfänglich, Menschen besitzen ansonsten noch solche, die für den Blau- und Grünbereich spezialisiert sind.

Mäuse haben, wie die meisten anderen Säugetiere, nur die Blau- und Grünvariante. Sie sehen zwar Farben, aber nur dichromatisch. Daher stellte sich die Frage: Können die Mäuse mit dem zusätzlichen Gen etwas anfangen? Offenbar schon.
Gentech-Mäuse sehen trichromatisch
Verhaltenstests zeigten, dass die Nagtiere tatsächlich Gelb und Rot unterscheiden konnten. Genetisch unveränderte Mäuse waren dazu nicht in der Lage.

"Wenn man Mäusen einen zusätzlichen sensorischen Input gibt - können dann ihre Gehirne lernen, diese Extrainformation zu verarbeiten?", fragt Co-Autor der Studie Jeremy Nathans: "Die Antwort ist bemerkenswerterweise ja. Es bedurfte keiner zusätzlichen Generationen um das Farbensehen zu entwickeln."

Der Grund für diese außerordentlich flexible Reaktion des Gehirns dürfte darin liegen, dass die Forscher das neue Gen nicht irgendwo ins Mäuseerbgut einschleusten, sondern einen bereits etablierten genetischen Hintergrund nutzten: Sie tauschten ein menschliches Pigment-Gen (für Rotlicht) gegen ein mäusisches Pigment-Gen (für Grünlicht).
Evolutions-Etappe im Labor
Von letzterem gibt es je eines pro X-Chromosom, weswegen in diesem Experiment auch nur Weibchen in den Genuss des trichromatischen Sehens gelangten. Interessanterweise ist das bei den meisten Neuweltaffen immer noch so.

Jacobs und Kollegen vermuten daher, dass der Versuch im Mausmodell eine Schlüsseletappe der Naturgeschichte nachvollzog.

Dass beim Menschen und anderen Primaten beide Geschlechter zum Drei-Farben-Sehen imstande sind, liegt im Übrigen daran, dass es bei deren Vorfahren zu einer Genverdoppelung auf dem X-Chromosom kam.
Früchteesser sehen besser
Im Gegensatz zur Physik darf man bekanntlich in der Biologie auch fragen: Wozu das Ganze? In den 80er Jahren stellte der britische Biologe John Mollon die Hypothese auf, dass die Unterscheidung von Rot, Gelb und Grün mit dem Erkennen von reifen Früchten zu tun hat (Journal of Experimental Biology 146, 21).

Die Angelegenheit kann man freilich auch aus der Perspektive der Pflanzen betrachten: Demnach ist etwa die Gelb- und Orange-Färbung von Bananen, Papayas und Mangos nur ein Trick, um entsprechend sehtüchtige Primaten anzulocken. Sie fressen die Früchte - und verbreiten bereitwillig deren Samen.

Robert Czepel, science.ORF.at, 23.3.07
->   Gerald H. Jacobs - University of California
->   Farbwahrnehmung - Wikipedia
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01.01.2010