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Hegel-Preis 2007 geht an Richard Sennett  
  Philosophische Abhandlungen werden eher selten zu Bestsellern. Doch der US-Soziologe Richard Sennett, der am 27. März 2007 in Stuttgart mit dem Hegel-Preis ausgezeichnet wird, hat das Kunststück geschafft.  
Seine brillanten Gesellschaftsanalysen wie "Der Verfall des öffentlichen Lebens", "Der flexible Mensch" oder "Die Kultur des Neuen Kapitalismus" sind nicht zuletzt dank ihres eingängigen Stils zu Bestsellern geworden. Längst gilt der 64-Jährige, der sich selbst als Vertreter der Neuen Linken versteht, als einer der wichtigsten Gesellschaftswissenschafter der Gegenwart.
Unterrichtet in London und New York
Der am Neujahrstag 1943 in Chicago als Sohn russischer Einwanderer geborene Amerikaner schlägt auch in seinem eigenen Leben eine Brücke zwischen alter und neuer Welt. Er wohnt inzwischen mit seiner Familie die meiste Zeit in London, wo er an der School of Economics einen Lehrstuhl hat.

Daneben unterrichtet er als Soziologieprofessor an der New York University. "Ich habe meine Arbeit immer so verstanden, dass ich den Leser zum Nachdenken und zum Argumentieren anregen will. Ich wollte nie so ein Intellektueller sein, der einfach die fertige Geschichte präsentiert."
->   Richard Sennett bei Perlentaucher.de
Auswirkungen des Kapitalismus
In den vergangenen zehn Jahren hat Sennett sich vor allem mit den Auswirkungen des modernen Kapitalismus auf die Arbeitswelt befasst. Seine These hat er zuletzt im Buch "Die Kultur des Neuen Kapitalismus" auf den Punkt gebracht:

Die zunehmende Globalisierung verlangt vom Einzelnen eine solche Flexibilität, dass die traditionellen Bindungen etwa in der Familie oder der Peer Group (Gruppe von etwa gleichaltrigen Jugendlichen, die als Orientierung für den Übergang von Kindheit zum Erwachsenendasein fungiert) verloren gehen und Unsicherheit, Vereinzelung und fehlende Solidarität Platz greifen.
Auf der Suche nach Lösungen
"Der Nachteil der aus dem neuen Kapitalismus abgeleiteten Politik ist die Gleichgültigkeit", schreibt er. Den Vorwurf, dass er damit zwar meisterhaft analysiere, aber das Rezept schuldig bleibe, nimmt der Autor ohne Zögern an.

"Der Einwand ist fair", sagt er. "Ich bin Analytiker, ich will die Probleme benennen. Und ich bin nicht sicher, ob jemand wirklich schon die Lösung haben kann."
Früherer Schwerpunkt: Kultur der Stadt
In seinen früheren Arbeiten hatte der rührige Wissenschafter den Schwerpunkt noch auf die Kultur der Stadt gelegt. Aufgewachsen in einem Armenviertel des Molochs Chicago, waren seine ersten Bücher stark von diesen Erfahrungen geprägt. Nach der Promotion forschte und lehrte er zu diesem Thema in Harvard, Cambridge und Yale.

Er gründete das Institut für Geisteswissenschaft an der New York University und stand lange einer UN-Kommission zur Stadtentwicklung vor. Sein Buch "Fleisch und Stein" (1994), die Geschichte der Stadt vom alten Athen bis zum heutigen New York, ist längst zu einem Standardwerk geworden.
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Hegel-Preis: Alle drei Jahre verliehen
Mit dem Hegel-Preis wird Sennetts Lebenswerk geehrt. Die mit 12.000 Euro dotierte Auszeichnung, die an den in Stuttgart geborenen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) erinnert, wird seit 1970 alle drei Jahre verliehen. Zu den früheren Preisträgern gehören der italienische Rechtsphilosoph Norberto Bobbio, der US-Philosoph Donald Davidson und der deutsche Soziologe Jürgen Habermas.
->   Die bisherigen Hegel-Preisträger in Wikipedia.de
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"Lehrjahre" bei Hannah Arendt
Mit Jürgen Habermas verbindet Sennett eine persönliche und berufliche Freundschaft. Auch durch seine "Lehrjahre" bei der aus Nazi- Deutschland geflohenen Politologin Hannah Arendt hat Sennett einen direkten Bezug zur deutschen Geistesgeschichte.

"Wenn ich damals was nicht verstanden habe, hat sie's mir immer auf Deutsch erklärt", erinnert er sich schmunzelnd, "aber das hat die Sache nicht gerade besser gemacht."
Ausgleich in der Musik
Ein Ausgleich für die Kopfarbeit ist für ihn seit jeher die Musik. Nach einem Cello- und Dirigentenstudium an der Julliard School of Music in New York hatte er eigentlich Profimusiker werden wollen. Doch eine Verletzung an der Hand setzte den Hoffnungen ein Ende.

Trotzdem holt Sennett so oft wie nur irgend möglich sein Cello heraus und macht Kammermusik. Auch der eineinhalbjährige Enkelsohn Fausto soll möglichst bald ein Instrument lernen. "Für mich ist die Musik ein bisschen mehr als einfach nur Hintergrund", sagt er. "Viele von den Dingen, die ich im Sozialleben beobachtet habe, sind vergleichbar mit der Art, wie Musiker zusammenarbeiten."

[science.ORF.at/APA/dpa, 23.03.07]
Mehr über Richard Sennett in science.ORF.at:
->   Experte spricht von neuer Art der Zuwanderung (16.9.03)
 
 
 
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01.01.2010