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Die EU-Hoffnungen der Österreicher  
  Keine Atomkraft, eine gentechnikfreie Landwirtschaft, ein Recht auf Arbeit, europaweit gleiche und faire Asylregeln sowie eine gemeinsame EU-Außenpolitik - das sind einige der Wünsche einer "Bürgererklärung", die von einer repräsentativ zusammengesetzten Runde von Österreichern am Wochenende erarbeitet wurde.  
Anlässlich des 50jährigen Bestehens der Europäischen Union ist sie der Frage nachgegangen: "Wie soll Europa im Jahr 2020 aussehen?"

Zuerst wurde in Kleingruppen diskutiert, am Schluss ist durch Abstimmung aller eine "Österreichische Bürgererklärung" zu den drei Themenfeldern "Energie und Umwelt", "Familie und Soziales" sowie "Globale Rolle und Immigration" herausgekommen.

Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) sicherte zu, dass sich der entsprechende Ausschuss des Parlaments mit den Resultaten befassen werde.
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Europäische Bürgerkonferenzen
In allen 27 EU-Mitgliedsstaaten gab es in den vergangenen zwei Monaten "Europäische Bürgerkonferenzen", teilgenommen haben rund 2.700 Bürger und Bürgerinnen. Die Konferenzen werden nicht von der EU organisiert, sondern von einem Konsortium unabhängiger Organisation unter Leitung der belgischen König-Baudouin-Stiftung. Die österreichische Variante fand an diesem Wochenende (24./25.3) im Radiokulturhaus in Wien statt, veranstaltet vom Zentrum für Soziale Innovation, in Kooperation mit Radio Österreich 1.
->   Europäische Bürgerkonferenzen
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Visionen und konkrete Maßnahmen
 
Bild: science.ORF.at/lw

Die Bürgerkonferenz bei der Arbeit

"Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen": Dieses Zitat wurde gleichermaßen den beiden ehemaligen Bundeskanzlern von Österreich bzw. Deutschland, Franz Vranitzky und Helmut Schmidt, zugeschrieben.

Dass es in der politischen Debatte aber nicht immer ohne Visionen geht, hat nun wieder einmal die Bürgerkonferenz bewiesen.

In ihrer Schlusserklärung wurden nämlich zum einen Visionen für ein Europa im Jahr 2020 formuliert, zum anderen die Maßnahmen, die nötig sind, um diesen Idealzustand zu erreichen.
Gegen Atomkraft und Gentechnik, für "Kleingliedrigkeit"
Erarbeitet wurde die "Bürgererklärung" von 33 Personen, die nach einem repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung ausgewählt worden waren. Kriterien waren Alter, Bildungsniveau, Geschlecht und Bundesländer.

Beim Kapitel "Energie und Umwelt" kamen sie relativ leicht zu einem gemeinsamen Ergebnis. Wenig überraschend sprachen sie sich gegen die Nutzung von Atomkraft und Gentechnik in der Landwirtschaft aus.

Die EU solle stattdessen nachhaltige Technologien und alternative Energie fördern. Mittel, die bisher für die industrialisierte Landwirtschaft ausgegeben werden, sollten in Zukunft an umweltschonende und kleingliedrige Landwirtschaft gehen.
->   Audio: Visionen zu "Energie und Umwelt" (0:25 min)
Keine Armut, Recht auf Arbeit
Ein gelungenes Beispiel für Kompromissformulierungen zeigte sich bei der Vision zur Sozialpolitik. Die Teilnehmer wollen nämlich in einem Europa leben, in dem nicht nur Familien, sondern auch "familienadäquate Strukturen" einen hohen Stellenwert genießen.

Weiters wünschen sie sich ein Europa "ohne Armut", in dem jeder ein Recht auf Arbeit entsprechend seiner Fähigkeiten hat.

Die Wichtigkeit von Mitbestimmungsrechten der Bürger, Gleichberechtigung und Menschlichkeit wird in dem Schlussdokument ebenso betont wie jene einer schlanken Verwaltung und der Eliminierung von Korruption.

Erstaunlich optimistisch zeigt sich die Bürgererklärung in Sachen Gleichberechtigung: Diese werde 2020 kein Thema mehr sein, da sie bis dahin "bereits gelebt" werde.
->   Audio: Visionen zu "Familie und Soziales" (0:58 min)
Friedensstiftung ohne Neutralität?
In Zukunft würden die Teilnehmer der Bürgerkonferenz die EU gerne als "friedensstiftende Union" sehen, "die zu einer weltweit sozialen und humanen Entwicklung, zum Abbau von Nationalismen und zur Stärkung demokratischer Strukturen" beiträgt.

Als ein Mittel dazu wird die Aufstockung der Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts jedes EU-Mitgliedslandes genannt.

Aufhorchen lässt aber ein anderer Weg: Die Macht der EU, so stellt die Bürgererklärung fest, beruhe auf wirtschaftlicher Stärke und kultureller Vielfalt, aber auch auf "einer gemeinsamen Sicherheitspolitik, die die Optionen nichtmilitärischer und militärischer Mittel einschließt" - aus dem Munde repräsentativ ausgewählter Österreicher ist diese Feststellung, die indirekt eine Absage an die Neutralität enthält, eine kleine Sensation.
Asyl: Schnelle, transparente und faire Verfahren
Ein besonders umstrittener Punkt des Wochenendes betraf die Migration. Hier reichten die Forderungen in den Kleingruppen von einem strengeren Asylgesetz bis hin zur Aufhebung der Schengen-Grenzen.

Der Kompromiss im Schlussdokument lautet: "In Bezug auf Asyl und Migration muss die EU einheitliche Regelungen und Rahmenbedingungen schaffen, um schnelle, transparente und faire Verfahren zu ermöglichen."

Dabei sei die Einwanderung aber mit den "nationalen Gegebenheiten" abzustimmen. Dieser Zusatz reiht sich ein in eine Liste anderer Formulierungen, bei denen das "regionale Prinzip" betont wird, u.a. bei der Umsetzung von Familien-, Ausbildungs- und Gesundheitspolitik.
->   Audio: Maßnahmenvorschläge zur "Globalen Rolle" (1:11 min)
Umsetzung oder "Zukunft der EU gefährdet"
Bild: science.ORF.at/lw
Bürger formulieren ihre EU- Wünsche
Die 33 Teilnehmer und Teilnehmerinnen haben die einzigartige Möglichkeit zu politischer Partizipation derart ernst genommen, dass sie dem Schlussdokument eine Präambel zugefügt haben, die ursprünglich gar nicht vorgesehen war.

Die EU, so heißt es darin, soll innerhalb eines Jahres einen Bericht vorlegen, der die konkreten Schritte zur Umsetzung der Visionen definiert, "ansonsten sehen wir die Zukunft der EU gefährdet."

Nicht für die EU sprechen konnte Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ). In ihrem Schlusswort zur Veranstaltung versicherte sie aber, dass sich zumindest der Petitionsausschuss des Österreichischen Parlaments mit den Resultaten befassen werde.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 25.3.07
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Radio-Hinweis
Über die Bürgerkonferenz wird das Dimensionen-Magazin berichten: Freitag, 30. März, 19.05 Uhr, Radio Österreich 1.
->   Ö1
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->   Zentrum für Soziale Innovation
->   Bürgerkonferenz in Deutschland
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Bürgerkonferenz zur Zukunft Europas (14.3.07)
->   Franz Seifert: Über Bürgerkonferenzen (27.4.03)
->   Rene Zimmer: Wenn Laien mitsprechen dürfen (25.4.03)
 
 
 
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01.01.2010