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Evolution: Warum wir nicht alle gleich schön sind  
  Manche Menschen sind hübsch, andere weniger. Warum eigentlich? Warum sind die Menschen immer noch so verschieden, wenn sich doch laut Evolutionstheorie die "guten" Gene durchsetzen sollten? So lautet auch eine wesentliche Kritik der Kreationisten am Darwinismus. Des Rätsels Lösung glauben britische Biologen nun gefunden zu haben.  
Ein Simulationsmodell des Forschungsteams legt nahe, dass sexuelle Selektion, welche dem "besseren Erbgut" den Vorzug gibt, nicht nur zu größerer Vielfalt führt, sondern sogar die menschliche Entwicklungsfähigkeit insgesamt begünstigt.
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Die Studie "Sexual Selection and the evolution of evolvability" von Marion Petrie and Gilbert Roberts von der Newcastle University ist in der aktuellen Ausgabe von "Heredity" (Bd. 98, S. 198, 28. März 2007) erschienen.
->   Abstract in "Heredity"
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Wozu sexuelle Selektion?
Eigentlich sollte es bei Menschen und anderen Arten, die sexuelle Selektion betreiben, weitaus weniger Unterschiede zwischen den Individuen geben als es - wie man leicht feststellen kann - tatsächlich gibt.

Wenn, wie die Evolutionstheorie behauptet, Frauen immer die attraktivsten, sprich genetisch fittesten Männer wählen, sollten sich die dafür verantwortlichen Gene rasch verbreiten. Am Ende wären alle Männer gleich "schön" und sexuelle Selektion überflüssig.

Dieses Argumentationsproblem, auch als "Lek Paradoxon" bekannt, wird gern von Kreationisten angeführt, um die Evolutionstheorie zu diskreditieren.
->   The lek paradox (Wikipedia)
Ein Rechenmodell zur Ausbreitung der Gene
Um die Auswirkungen der sexuellen Selektion nachzuvollziehen, verwendeten die britischen Wissenschaftler ein Computermodell, das die Ausbreitung der Gene innerhalb einer Population darstellt. Diese besteht aus ebenso vielen männlichen wie weiblichen Individuen.

In der ersten Versuchsanordnung blieb den "Frauen" die Partnerwahl. In der zweiten Anordnung entschied der Zufall. Das Rechenmodell lief in beiden Fällen bis zur kompletten Erneuerung der Population.

Als zusätzliche Einflussgröße wurde ein so genanntes Mutator-Gen eingeführt, welches sich auf die Mutationsrate auswirkt. Dies geschah unter der Annahme, dass Mutationen zwar die DNA schädigen können, aber trotzdem für andere Teile des Genoms nützlich sein können. So profitiert etwa die Immunabwehr von einer größeren Varianz.
Mutationen werden "sichtbar"
Das Modell setzt voraus, dass Mutationen bei Männern durch bestimmte äußere Eigenschaften abgebildet werden, die als Kriterien für die weibliche Wahl herangezogen werden. "Gute" Gene werden gleichsam sichtbar und bestimmen so die männliche Attraktivität.

Schon in einer empirischen Foto-Studie im Jahr 2005 konnte Petrie und ihre Gruppe zeigen, dass Männer mit einer breiteren genetischen Diversität im Bereich des Immunsystems eine Reihe jener physischen Eigenschaften haben, die Frauen attraktiv finden.
Weibliche Selektion bevorzugt Mutationen ...
Da laut Simulationsmodell das Mutator-Gen die Mutationsrate generell steigern würde, also auch unvorteilhafte Mutationen begünstigt, gingen die Wissenschaftler davon aus, dass sich dieses nicht durchsetzen würde. Dies war aber nur bei der zufälligen Partnerwahl der Fall. Bei der weiblichen Selektion stieg die Mutationsrate, es gab also mehr günstige, aber auch ungünstige Mutationen.

Um mehr Realitätsbezug herzustellen, haben die "Frauen" im Modell nicht immer den "allerbesten Mann" gewählt. Auch bei dieser nicht perfekten Auswahl blieb der Effekt signifikant, wenn auch etwas geringer.
... und sorgt für genetische Vielfalt
Laut Petrie und ihren Kollegen legen die Ergebnisse nahe, dass der Anstieg der Mutationsrate bei der sexuellen Selektion einen genetischen Vorteil darstellt, der den genetischen Kosten derselben überlegen ist.

Gleichzeitig wirkt dieser Effekt einer Reduktion der genetischen Varianz entgegen. Sie wäre in der Theorie die Folge der weiblichen Wahl, die auf Attraktivitätskriterien beruht.
Entwicklungsfähigkeit als evolutionärer Vorteil
Die sexuelle Selektion begünstige also die Ausbreitung von Genen, die für Mutationen verantwortlich sind. Die Mutationen werden durch äußere Merkmale sichtbar, auf deren Basis die weiblichen Individuen einer Gruppe ihre Auswahl treffen. Sie können sich so für jene entscheiden, die möglichst viele vorteilhafte im Gegensatz zu negativen Mutationen zeigen.

Also entgegen allen Erwartungen scheint die sexuelle Selektion die Varianz eher zu befördern, was laut den Forschern wiederum den Selektionsdruck für eine derartige Auswahl erhöht. Offensichtlich wirkt sich die kostenintensive, zielgerichtete sexuelle Selektion auf die Entwicklungsfähigkeit der gesamten Art aus, was langfristig erheblichen Nutzen bringen kann.

Eva Obermüller, science.ORF.at, 28.3.07
->   Marion Petrie
->   Gilbert Roberts
->   University of Newcastle
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01.01.2010