News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
NPD-Zeitung als Spiegelbild der Parteientwicklung  
  Die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) ist die erfolgreichste Partei im rechtsextremen Spektrum Deutschlands. Der Chemnitzer Politikwissenschaftler Florian Hartleb hat alle Ausgaben der NPD-Parteizeitung "Deutsche Stimme" analysiert. Ein zentrales Ergebnis: Die Zeitung wurde zwischen 1976 und 2007 von einem Medium altdeutscher Recken zu einer Plattform zur Vereinigung "der Rechten" Deutschlands.  
Dass die NPD in den vergangenen Jahren sogar in die Landtage der Bundesländer Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern einziehen konnte, verdankte sie - neben anderen Faktoren - auch einer gewandelten inhaltlichen Strategie: Die Leugnung des Holocausts wurde zwar fortgesetzt, stand aber nicht mehr im Mittelpunkt.

Dafür griff die NPD vermehrt aktuelle Themen auf wie die "Opfer der Globalisierung" und die vermeintlich "jüdische Verschwörung in den USA", die ihrer Ansicht nach auch hinter den Anschlägen vom 11. September 2001 steckte. Die "Deutsche Stimme" spiegelte die inhaltliche und strategische Veränderung deutlicher wider als alle Parteiprogramme und Wahlwerbungen.
...
370 Exemplare
Florian Hartleb, Politologe an der Technischen Universität Chemnitz, analysierte alle Ausgaben der "Deutschen Stimme" seit der Gründung 1976 bis zum April-Heft 2007. Anhand von insgesamt 370 Exemplaren nahm er Einblicke in die Parteigeschichte und programmatischen Ziele der NPD.
->   Website von Florian Hartleb
...
Zu Beginn: Glückwünsche und Kritik am System
Als die "Deutsche Stimme" 1976 (mit einer Auflage von wahrscheinlich 10.000 Stück) gegründet wurde, war sie laut der Analyse von Hartleb die klassische Parteizeitung: Ankündigungen von Veranstaltungen und Glückwünsche an Funktionäre zum Geburtstag nahmen breiten Raum ein.

Die Artikel hatten unter dem damaligen Parteivorsitzenden Martin Mußgnug (bis 1991) und seinem Chefredakteur (oder, wie es bei der NDP heißt: Schriftleiter) Werner Kuhnt ein klares Ziel: Kritik am Status Quo der Bundesrepublik und des "Parteienkartells".

"Mußgnug hatte", wie Hartleb in seiner Studie schreibt, "primär eine Fundamentalopposition zu den etablierten Parteien im Auge, weniger eine zerstörerische Opposition zum demokratischen System."
...
Umweltschutz und Heiratsannoncen
In den 1980er Jahren entdeckte die NPD ein neues Thema: den Umweltschutz, der mit der "Erhaltung unseres Volkes" verknüpft wurde. Sogar Diskussionen über die "Bedrohung der Nordsee" und "das Waldsterben" setzten ein.

Als zweite Neuerung begann die "Deutsche Stimme" 1984 damit, neben Sterbeannoncen auch Heiratsanzeigen zu schalten - nicht ohne politisch-ideologischen Hintergrund: Dort lamentierten "Nationaldemokraten", dass es "nur noch rot-grüne Emanzen" gebe.
...
Krise Anfang der 1990er Jahre
Bei der Bundestagswahl im Dezember 1990 bekam die NPD nur 0,4 Prozent und stürzte in eine schwere Krise. Der Parteivorsitzende trat zurück, die "Deutsche Stimme" stand vor dem Aus. 1991 übernahm Günther Deckert die Partei, die er gemeinsam mit der Zeitung neu ausrichten wollte.
Ausländerfeindlichkeit und Revisionismus
Die Richtung war schnell klar: Stärker als zuvor wurde das "Feindbild Asylwerber" thematisiert, offene Ausländerfeindlichkeit sprang den Leser in großen Buchstaben an. Deckert wollte nicht gegen das System an sich kämpfen, sondern Geschichtsrevisionismus bis hin zur Leugnung von Auschwitz verbreiten.

Die Ära Deckert blieb allerdings kurz: Die Partei fuhr weitere Misserfolge ein, Deckert wurde wegen Veruntreuung von Parteigeld vor Gericht gestellt und 1995 zu zwei Jahren Gefängnis ohne Bewährung verurteilt.
Neuausrichtung von Partei und Zeitung
Die Partei übernahm der bayrische Landesvorsitzende Udo Voigt, und mit ihm begann laut der Untersuchung des Politologen Florian Hartleb, die Neuausrichtung an Schwung zu gewinnen. Medium dafür war die "Deutsche Stimme". Die Zahl der Autoren stieg stark an, neue Rubriken wie "Zeitgeschichte und Wissenschaft" ließen die Seitenzahl von zwischendurch nur acht auf 16, später 24 und 28 Seiten ansteigen.

Voigt betrieb eine bewusste Politik der Themenvielfalt, womit die Zeitung immer stärker aktuelle Probleme thematisieren konnte. Die Globalisierung wurde - neben den weiter hoch gehaltenen Feindbildern des Multikulturalismus - zum neuen Sündenbock, ihr stellte die NPD ihr Konzept einer "national-abgeschotteten, raumgerichteten Volkswirtschaft" gegenüber.
"Schlacht um Köpfe, Straße und Wähler"
Die neue Partei-Strategie stützte sich auf drei Säulen: "die Schlacht um die Köpfe" (d.h. programmatische Hoheit), "die Schlacht um die Straße" (im Sinn von Massenmobilisierung) und "die Schlacht um die Wähler" (als Wahlteilnahme).

Die Veränderungen zahlten sich aus: 2004 zog die NPD in den Landtag von Sachsen ein, 2006 in jenen von Mecklenburg-Vorpommern, in beiden Jahren feierte sie Erfolge bei den Kommunalwahlen in mehreren deutschen Bundesländern.
...
Der Skandal um den Druckort
Um ihr Konzept der "nationalen Volkswirtschaft" zu forcieren, beantragte die NPD 2005 eine "aktuelle Stunde" im sächsischen Landtag zum Thema "Grenzen dicht für Lohndrücker". Dabei kam ans Tageslicht, dass die "Deutsche Stimme" in Polen gedruckt wurde (während im Impressum als Druckort das sächsische Riesa angegeben war). Die NPD argumentierte, dass durch eine "gesellschaftliche Pogromstimmung" der Druck in Deutschland nicht möglich sei.
->   Mehr über die "Deutsche Stimme" in Wikipedia.de
...
Kein Vordringen in die Mittelschicht
Neben der Debatte um Soziales gibt es laut der Analyse von Hartleb noch zwei inhaltliche Neuerungen: Die internationale Ebene spielt eine zunehmend große Rolle (besonders die angeblich jüdische Verschwörung hinter den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001) und die Theoriedebatte wird forciert. Im Versuch, das rechtsextreme Lager zusammenzuführen, wird Denkern verschiedenster, rechter Provenienz ein Forum geboten.

Dass die NPD in die Mittelschicht vordringt, kann man zumindest an der "Deutschen Stimme" nicht beobachten, so Hartleb. Nicht ideologisch gefärbte Intellektuelle und Politiker verweigern sich Interviews, die Autoren sind, wie der Politologe formuliert, "Brüder im Geiste".

Elke Ziegler, science.ORF.at, 2.4.07
->   Mehr zur NPD in Wikipedia.de
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Angst vor Wirtschaftswandel hilft Rechtspopulisten (27.3.07)
->   Studie: Arbeitslosigkeit fördert Rechtsextremismus (24.8.05)
->   Populismus: Die Ideologie des "kleinen Mannes" (28.11.01)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010