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Parasitismus: Wenn die Mäusewelt Kopf steht  
  So stellen sich Katzen wohl das Schlaraffenland vor: Mit einem bestimmten Parasiten befallene Mäuse verlieren ihre natürliche Abscheu gegenüber dem Körpergeruch ihrer Feinde. Mehr noch, was nach Katze riecht, empfinden die Nager dann gar als anziehend.  
Der Hintergrund: Die Parasiten benutzen Katzen als Endwirte. Um dorthin zu gelangen, manipulieren sie gezielt das Verhalten ihrer Zwischenwirte, der Mäuse. Das berichtet ein Team um Ajai Vyas von der Stanford University.
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"Behavioral changes induced by Toxoplasma infection of rodents are highly specific to aversion of cat odors" Ajai Vyas et al. erscheint zwischen 2. und 6. April auf der Website der "Proceedings of the National Academy of Sciences".
->   Zur Studie (sobald online)
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Ameisen mit Beißkrampf
Verschlungen sind die Wege der Parasiten - insbesondere jener, die gleich mehrere Arten befallen. Ein Beispiel dafür ist der kleine Leberegel, der einen dreistufigen Lebenszyklus in Schnecke, Schaf und Ameise absolviert: Haupt- und Endwirt ist das Schaf, das die Eier des Leberegels mit dem Kot abgibt. Landschnecken fressen sie, infizieren sich und scheiden die zweite Parasiten-Generation als Schleimballen aus, an denen sich wiederum Ameisen gütlich tun.

Hier wird der Reigen spektakulär: Die dritte Generation der Leberegel durchbohrt den Kropf der Ameise, reift in deren Leibeshöhle heran und wandert dann in das Gehirn des Tieres. Dort sitzen die Egel wie unheilvolle Homunculi und greifen in das Verhalten des Insekts ein. Die Ameisen kriechen innerlich fremdgesteuert auf einen Grashalm, beißen sich an dessen Spitze fest und verharren in dieser Position, bis sie mitsamt dem Halm von einem Schaf gefressen werden.

Aus Sicht des Leberegels ist das keine geringe Leistung. Denn um ein fremdes Lebewesen vollständig unter Kontrolle zu bringen, bedarf es ausgefeilter Mittel. Gäbe es eine Liste für die spektakulärsten Fälle von Parasitismus, der kleine Leberegel wäre wohl darauf zu finden.
Entermanöver im Säugerhirn
Einschränkend könnte man lediglich vermerken, dass Ameisen nicht besonders komplexe Tiere sind. Sie sind zwar in begrenztem Maß lernfähig und agieren als Gruppe erstaunlich koordiniert, dennoch verfügen sie über ein relativ starres und eindimensionales Verhaltensinventar.

Würden ähnliche Entermanöver auch im Gehirn von höher entwickelten Tieren - etwa Säugern - funktionieren? Offenbar ja, wie nun der US-Biologe Ajai Vyas herausgefunden hat. Er und seine Mitarbeiter untersuchten das Verhalten von Mäusen und Ratten, die mit dem Einzeller Toxoplasma gondii infiziert wurden.

Der Erreger der Toxoplasmose lebt im Darm und Gehirn von Vögeln und Säugetieren (einschließlich des Menschen), die ihm als Zwischenwirte dienen. Abschließen kann er seinen Entwicklungszyklus nur, sofern er in den Körper einer Katze kommt. Das passiert bei infizierten Nagtieren in der Regel dann, wenn sie von Katzen gefressen werden.
Aus Aversion wird Attraktion
Vyas und seine Kollegen überprüften nun die so genannte Manipulations-Hypothese, der zufolge Parasiten ihre Wirte systematisch beeinflussen, um ihre eigenen Fortpflanzungschancen zu erhöhen.

Das ist auch bei Toxoplasma gondii der Fall. Gesunde Mäuse und Ratten weisen eine angeborene Aversion gegenüber Katzenurin auf und meiden daher jene Orte, die danach riechen.

Bei infizierten Tiere kehrte sich das Verhaltensmuster um: Aus der Aversion wurde Interesse, sie suchten förmlich nach Stellen in ihrem Käfig, die mit Katzenduft imprägniert worden waren.
Manipulation mit feiner Klinge
Sonst erzeugte die Einnistung von Toxoplasma gondii keine Nebenwirkungen. Die infizierten Nagtiere waren nach wie vor sozial, lernfähig und konnten Gerüche unvermindert gut wahrnehmen.

Und was am wichtigsten ist: Sie waren keineswegs pathologisch unvorsichtig, sondern zeigten - mit Ausnahme des Urintests - ein völlig normales Angstverhalten, sei es nun angeboren oder erlernt.

Das ist umso erstaunlicher, als sich die Nervennetze der angeborenen und erlernten Angstreaktionen im Hirn durchaus überschneiden. Wie der Parasit so spezifisch in das Verhalten der Nagetiere eingreift, ist bislang völlig unklar. Man weiß nur, dass er es kann.

Robert Czepel, science.ORF.at, 3.4.07
->   Kleiner Leberegel - Wikipedia
->   Toxoplasma gondii - Wikipedia
->   Stanford University
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01.01.2010