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Wie Kinder mit Medienmarken umgehen  
  Auch wenn es manch besorgte Eltern nicht gerne hören: Kinder werden als Zielgruppe für Medien und Werbung immer wichtiger. Eine aktuelle Studie hat untersucht, welche Medienfiguren bei ihnen am beliebtesten sind. Trotz vieler Unterschiede zwischen Buben und Mädchen liegt bei beiden die Romanfigur Harry Potter an der Spitze.  
Das Wissen um derlei Figuren und der Besitz von Merchandising-Produkten sind eine wichtige "Eintrittskarte" in die Gruppe von Gleichaltrigen, berichtet ein Team von Kommunikationswissenschaftlern um Ingrid Paus-Hasebrink von der Universität Salzburg.

Die Forscher haben untersucht, welche "Medienmarken" bei Kindern favorisiert werden und wie sie diese in ihren sozialen Bezugsgruppen für eigene Zwecke nutzen.
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Die Studie "Kinder als Konstrukteure ihrer Alltagsbeziehungen - zur Rolle von 'Medienmarken' in Kinder-Peer-Groups" ist in der "SWS-Rundschau" (Heft 1/2007) erschienen.
->   Abstract der Studie
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Crossmediale Erzieher
Eltern, Kindergarten und Schule haben längst schon kein Wissensmonopol mehr, so lautet die Ausgangsthese der Studie. Zu ihnen haben sich Medien und ihre Marken gesellt, die Kinder ebenfalls prägen und "erziehen".

Mit "Medienmarken" meinen die Forscher TV-Sender, Sendungen, in erster Linie aber Medienfiguren - wie etwa "Herr der Ringe", "Harry Potter" oder "Pokemon".

Sie sind von ihren Produzenten zumeist crossmedial konzipiert, tauchen also in unterschiedlichen Medien auf wie in Filmen, Fernsehen, PC-Spielen, Videos, aber auch als Merchandising-Produkte wie z.B. Bettwäsche oder Zahnputzbecher.
Hohe Individualität, Harry Potter Favorit
Um den Einfluss dieser Medienmarken zu überprüfen, haben die Forscher eine Reihe von qualitativen Studien sowie eine empirische Umfrage durchgeführt. Dabei wurden im März 2003 knapp 600 sechs- bis 13-jährige Kinder in Deutschland nach ihrer Lieblingsfigur aus den Medien befragt.

Nur rund die Hälfte - sowohl Mädchen als auch Buben - gab an, überhaupt eine solche zu haben. Je älter die Kinder waren, umso seltener war dies der Fall.

Ein hoher Grad an Individualität zeigte sich auch bei den konkreten Nennungen: Die rund 300 übrigen Kinder zählten insgesamt 106 verschiedene Lieblingsfiguren auf, nur "Harry Potter" stach mit 36 Nennungen deutlich hervor. In weiterer Reihenfolge wurden die Spielzeugpuppen Barbie und Diddl sowie die Comicfigur Spiderman mehrfach genannt.
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Unterscheidung nach Alter und Geschlecht
Die Lieblingsfiguren unterscheiden sich nach Geschlecht und Alter. Zeichentrick-Figuren sind eher für jüngere Kinder und für Buben attraktiv (Bob, der Baumeister; Spiderman). Mädchen bevorzugen Puppen wie Barbie oder Diddl. Bei den Zwölf- bis 13-jährigen Buben ist die Anarcho-Trickfilmfigur Bart Simpson am beliebtesten, bei den Mädchen Sabrina, die Hexe aus einer Realfilm-TV-Serie. Nur Harry Potter wird von beiden Geschlechtern gleich geschätzt.
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TV als wichtigste Quelle
Als wichtigste Quelle ihrer Lieblingsfiguren gaben die Kinder das Fernsehen an, gefolgt von Freunden und Mitschülern. Das Internet war 2003 im Vergleich zu Audio-Kassetten und Comics noch weniger wichtig, das dürfte sich mittlerweile aber geändert haben.

Auch bei der Frage nach ihrer Lieblings-TV-Sendung zeigten sich geschlechtsspezifische Unterschiede. Die Buben bevorzugten Bart Simpson und Fußballsendungen, als Mädchenfavoriten erwiesen sich Soap-Operas und Musiksendungen a la Starmania.

Nach ihrer Eigeneinschätzung handelt es sich bei Kindern im Übrigen um "treue Medienkonsumenten": Drei Viertel gaben an, ihre Lieblingssendung "schon lange Zeit" zu verfolgen.
Drei Phasen: Von der Weltaneignung ...
Neben dem Geschlecht ist laut den Forschern vor allem das Alter wichtig. Sie unterscheiden drei Phasen, denen drei verschiedene Strategien der Kinder zugrunde liegen.

In der ersten Phase - bei den Sechs- bis Siebenjährigen - gehe es um "Weltaneignung": Besonders Buben sammeln und tauschen Merchandising-Produkte verschiedener Medienmarken.

Sammelkarten oder Sticker seien so etwas wie eine soziale Währung, die für Aufbau und Pflege der Kontakte mit Gleichaltrigen ("Peer Group") wichtig ist.
... über die Positionierung in der Gruppe ...
In der zweiten Phase - von etwa acht bis elf Jahren - gehe es sehr stark um die Positionierung innerhalb der Bezugsgruppen. Auf der einen Seite identifizieren sie sich stark mit ihren Favoriten, lehnen aber auf der anderen Seite andere Medienmarken genauso stark ab.

Die Buben orientieren sich immer stärker an Action-orientierten Inhalten wie etwa von Dragonball Z, einer japanischen Zeichentrickserie.

Die Mädchen tendieren immer stärker zu "Real-TV-Vorbildern", wie der Hexe Sabrina aus der gleichnamigen Fernsehserie.
... bis zur Entwicklung von persönlichem Stil
Spätestens mit zwölf Jahren beginnt laut den Forschern die dritte Phase: Die Kinder befinden sich im Übergang zur Jugend, die Entwicklung eines "persönlichen Stils" setzt ein.

Mediale Helden werden oft durch Personen aus dem öffentlichen Leben wie Pop- oder Sportstars ersetzt. Die Sammelleidenschaft früherer Tage ist komplett out.
Entscheidend: Nutzen für eigene Zwecke
Zwischen den Produzenten und den Rezipienten der Medienmarken besteht prinzipiell ein großer Unterschied, betonen die Forscher. Nicht alles, was angeboten wird, trifft auch "den Nerv" der Kinder. Entscheidend sei es, ob sie die Angebote für ihre eigenen Zwecke nützen können.

Und zwar zum einen als "Ausgangsmaterial" und Beitrag für ihre eigene Identitätsbildung, zum anderen als Stoff für die Positionierung innerhalb ihrer Bezugsgruppen, den Gleichaltrigen in der Schule und im Freundeskreis.

Letzteres gilt für Buben stärker als für Mädchen, bei ihnen ist das Konkurrenzverhalten weniger stark ausgeprägt.
Eintrittskarten in die soziale Umwelt
Als Währung im sozialen Austausch eingesetzt werden das Wissen bzw. konkrete Produkte der Medienmarken. Aber selbst der Besitz beider reicht noch nicht für eine erfolgreiche Strategie innerhalb der Peer Group aus, meinen die Forscher.

Wichtig sei die "dominierende Lesart" - also die Art und Weise, wie mit den Medienmarken von den Gleichaltrigen mehrheitlich umgegangen wird. Nur wer sie kennt, kann auf Einlass in die Gruppe und ihre Anerkennung hoffen.

Medienmarken stellen sich so als zentrale Eintrittskarten in die soziale Umwelt heraus.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at, 8.4.07
->   Ingrid Paus-Hasebrink, Universität Salzburg
->   SWS-Rundschau
 
 
 
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01.01.2010