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Eine Ampel für Neuronen  
  Biologen haben im Nervensystem von Würmern eine "Neuronenampel" installiert. Wurden die Tiere mit Blaulicht bestrahlt, begannen sie ihre Muskeln zu kontrahieren. Gelblicht brach jede Bewegung abrupt ab.  
Das gelang mit Hilfe zweier lichtempfindlicher Proteine, die aus Algen bzw. Bakterien stammen, berichtet ein Team um Karl Deisseroth von der Stanford University.
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"Multimodal fast optical interrogation of neural circuitry" von Feng Zhang et al. erschien in "Nature" (Bd. 446, S. 633; doi:10.1038/nature05744).
->   Webfocus zum Thema (inkl. Videos)
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Das Gehirn kontrollieren
"Die direkte Kontrolle des Gehirns war seit langer Zeit ein Traum von Philosophen, Science-fiction-Autoren und Diktatoren." Der Satz, mit dem die beiden Neurowissenschaftler Michael Häuser und Specer L. Smith einen Kommentar in der Zeitschrift "Nature" beginnen, ist eher ungewöhnlich.

Die Studie, auf die er sich bezieht, ist jedoch so spektakulär, dass man in der Tat über Hoffnungen und mögliche Missbräuche der nun vorgestellten Technologie nachsinnen kann. Worum geht es?

Es geht um die Möglichkeit, Nervenzellen oder ganze Nervennetze durch Eingriff von außen zu steuern. Idealerweise sollte so eine Manipulation ungefährlich und reversibel sein, sie sollte schnell ein- und ausgeschaltet werden können, und sie sollte möglichst große Entfernungen überbrücken.
Die Elektroden-Methode
Der traditionelle Ansatz funktioniert folgendermaßen: Man steckt eine Elektrode in Nervengewebe und aktiviert die jeweils interessanten Neuronen durch kleine Stromstöße.

Damit kann man zwar in zeitlicher Hinsicht sehr präzise arbeiten, die Methode hat jedoch ihre Mängel. Räumlich ist sie zu ungenau, außerdem kann man auf diese Weise Neuronen nur stimulieren. Gezielte Hemmsignale sind nicht möglich.
Algenprotein für Nervenzellen
Eleganter als der physikalische Ansatz ist der genetische. Er nutzt die Fähigkeit von lebenden Zellen, auf eingeschleuste genetische Instruktionen zu reagieren und Moleküle herzustellen, die aus einem ganz anderen Lebewesen stammen. Die Schwierigkeit bei dieser Methode liegt vor allem darin, die geeigneten Moleküle zu finden.

Einem Team um den Stanford-Forscher Karl Deisseroth ist das eindrücklich gelungen. Sie liehen sich einen Ionenkanal namens "Channelrhodopsin-2" von Grünalgen, der diesen normalerweise zur Orientierung dient. Das ist deswegen möglich, weil der Kanal - ähnlich wie der Sehfarbstoff in unserer Netzhaut - lichtempfindlich ist. Kommt er in Kontakt mit blauem Licht, öffnet er sich und Ionen strömen in die Zelle ein.

Das Resultat: Die Membran der Zelle wird umgepolt. Bei Nervenzellen ruft eine Umpolung in der Regel so genannte Aktionspotenziale hervor - wenn man so will: die Elementarzeichen in der Sprache der Neuronen.
->   Aktionspotential - Wikipedia
Fernsteuerung funktioniert
Das ist natürlich die ideale Voraussetzung, um eine Fernsteuerung für Nervenzellen zu bauen. Im Jahr 2005 wiesen Deisseroth und seine Kollegen nach, dass das tatsächlich funktioniert. Nervenzellen von Säugetieren ließen sich durch Lichtsignale aktivieren, sofern ihnen zuvor das entsprechende Algenprotein eingebaut wurde (Nature Neuroscience 8, 1263).

Ein Start-Signal hatte man also, fehlte nur noch das Stopp-Signal. Letzteres fanden die Forscher nun im Molekül "Halorhodopsin", mit Hilfe dessen Bakterien Sonnenlicht in chemische Energie umwandeln.

Es unterscheidet sich vom Channelrhodopsin-2 in zwei wichtigen Punkten: Erstens reagiert es auf gelbes und nicht auf blaues Licht. Verpflanzt man es, zweitens, in Nervenzellen, wird dieselbe nicht aktiviert, sondern gehemmt.
Start- und Stoppsignale für Fadenwürmer
 
Bild: Feng Zhang, Steve Dixon, Karl Deisseroth

Deisseroth baute nun mit deutschen Kollegen beide Moleküle in Neuronen des Fadenwurms ein, die an Bewegungsabläufen beteiligt sind, und machte die Probe im ganzen Lebewesen. Sie gelang: Bestrahlten die Forscher den Wurm mit Blaulicht, begann er seine Muskeln zu kontrahieren. Gelblicht ließ ihn hingegen blitzartig erstarren.
Künstliche Nervensignale für Gelähmte?
Obwohl sich die blaugelbe Neuronenampel noch im Stadium reiner Grundlagenforschung befindet, spekulieren die Autoren bereits über mögliche Anwendungen. Die Ampel ließe sich beispielsweise bei Parkinson anwenden, meinen sie. Von Parkinson-Patienten ist bekannt, dass sie auf Tiefenstimulation des Gehirns sehr positiv reagieren, mit der neuen Methode könnte man herausfinden, warum das so ist.

Umgekehrt könnten Epilepsie-Patienten von gezielten Hemmsignalen profitieren - die Krankheit beruht bekanntlich auf einer Überaktivität in bestimmten Hirnbereichen.

Noch spektakulärer ist folgende Phantasie: Mit schnellen Folgen blaugelber Signale könnte man theoretisch auch Erregungsmuster in Nervenzellen auslösen, die ihrer natürlichen Sprache ähneln. Deisseroth hofft, dass diese künstlichen Signale einmal koordinierte Bewegungen auslösen und Lähmungen rückgängig machen. Lichttherapie quasi.

Robert Czepel, science.ORF.at, 4.4.07
->   Deisseroth Lab - Stanford University
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01.01.2010