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Wissenschaftskommunikation: "Rahmen" statt Fakten  
  Egal ob in der Klimadebatte, der Stammzelldiskussion oder Gesprächen über die Evolutionstheorie - Forscher werfen oft nach wenigen Versuchen das Handtuch, frustriert darüber, dass sie mit ihren Argumenten in der Öffentlichkeit nicht durchkommen. Dabei müssten sie doch nur ihre Botschaften "framen", also im Werterahmen ihres Publikums verankern, meinen nun zwei Experten in einem aktuellen "Science"-Beitrag.  
Der Kommunikationswissenschaftler Matthew Nisbet und der Journalist Chris Mooney räumen zwar ein, dass es für Forscher oft schwierig ist, sich von den Fakten zu entfernen und ihre Inhalte mit einer gesellschaftspolitischen oder ökonomischen "Message" zu verschränken. Letztlich sei das aber der einzige Weg, Debatten in eine für die Wissenschaft positive Richtung zu lenken.

Der Politikwissenschaftler und science.ORF.at-Host Peter Filzmaier rät Forschern zu einer Gratwanderung zwischen breitenwirksamer Vermittlung und wissenschaftlicher Seriosität - und räumt ein, dass man dabei auch vor Abstürzen nicht gefeit ist.
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Der Artikel "Framing Science" ist am 6. April 2008 in der Rubrik "Policy Forum" in "Science" erschienen (Band 316, DOI:10.1126/science.1142030).
->   Science
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Interpretationsmuster, um Botschaften zu verorten
Der Begriff "Framing" tauchte das erste Mal in der Soziologie auf, konkret im 1974 von Erving Goffman publizierten Buch "Frame analysis: An essay on the organization of experience". Er bezeichnete damit "Interpretationsmuster", die es Menschen erlauben, Ereignisse und Botschaften zu verorten, zu verstehen und zu bewerten.

Persönliche Erfahrung und kulturelle bzw. gesellschaftliche Prägung bilden in jedem Menschen einen Filter, auf dessen Basis er oder sie die Umwelt wahrnimmt.

Assoziationen helfen, etwas Neues als grundsätzlich positiv oder negativ, gut oder schlecht einzuordnen und darüber zu entscheiden, ob eine genauere Beschäftigung notwendig ist und sich auszahlt.
->   Mehr über "Framing" in Wikipedia
Den Filter persönlicher Werte nützen
Genau diese Voraussetzungen sollten Forscher benützen, um mit ihren Botschaften durchzukommen, meinen die beiden "Science"-Autoren. Es sei unter Wissenschaftlern noch immer ein weit verbreiteter Irrtum, dass Laien die Anliegen der Wissenschaft vertreten würden, wenn sie nur ausreichend Einblick in die Komplexität des Themas hätten.

Die Sozialwissenschaften hätten aber bereits ausreichend bewiesen, dass objektives Faktenabwägen schlicht nicht stattfindet, sondern Informationen durch einen Filter persönlicher Werte (wie etwa der politischen und religiösen Einstellung) gehen und jene aufgenommen werden, die am besten in den eigenen "Rahmen" passen.
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Beide Autoren können auf hinreichend Erfahrung im Umgang mit Öffentlichkeit hinweisen: Chris Mooney schreibt in "Seed", einem populären Wissenschaftsmagazin, über die "Schnittpunkte zwischen Politik und Wissenschaft" (dazu führt er auch einen Blog: "The Intersection".

Matthew Nisbet ist Kommunikationswissenschaftler und ebenfalls Autor eines Blogs zum Thema "Framing Science".
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Zwei Beispiele: Klimawandel ...
Forscher sollten nun dazu übergehen, ihre Botschaften so zu trimmen, dass sie eben diese persönlichen Werte ansprechen. An zwei Beispielen verdeutlichen Mooney und Nisbet, was sie meinen: Beim Klimawandel haben es die Republikaner geschafft, die Debatte mit den Schlagworten "wissenschaftlich ungesichert" und "unfaire Bürde für die Wirtschaft" zu "framen".

Damit waren sie so lange erfolgreich, bis die Demokraten der Diskussion den Stempel einer "Pandora's box" mit katastrophalen Implikationen und der Gefährdung des Lebensraums der Eisbären (vor allem durch den Film von Al Gore "Eine unbequeme Wahrheit") aufdrückten.
... und Evolutionstheorie
Ähnlich lief es bei der Diskussion über die Evolutionstheorie: Die Vertreter des "Intelligent Design" brachten ihre Botschaft mit "wissenschaftlicher Unsicherheit" und "Kontroversen sind gut"-Parolen an den Mann und die Frau.

Rationale Argumente fruchteten kaum, erst als die "Evolutionisten" auf Botschaften wie "Wissenschaftsfeindlichkeit ist schlecht für den wirtschaftlichen Standort" und "Medizinischer Fortschritt braucht eine naturwissenschaftliche Basis" setzten, verschob sich die öffentliche Meinung.
Aus strategischen Gründen: Weniger
Zwar räumen Mooney und Nisbet ein, dass diese Strategie auf Widerstand stößt und viele Forscher sich lieber an die reinen Fakten halten möchten. Sie müssten sich aber bewusst sein, dass diese Fakten in der politischen Debatte falsch oder sogar gegen die ursprüngliche Absicht verwendet werden.

Kurz gesagt: Sie rufen dazu auf, manchmal aus strategischen Gründen die Wissenschaftlichkeit beiseite zu lassen, gerade um die Wissenschaft zu verteidigen.
Filzmaier: Seriosität trotz Medienlogik bewahren
Der Politikwissenschaftler und science.ORF.at-Host Peter Filzmaier sieht die Strategie des "Framing" durchaus kritisch. Zwar müsse man als Forscher anerkennen, dass Menschen zu 90 Prozent aus Massenmedien beziehen, was sie über Wissenschaft wissen oder zu wissen glauben. Das könne man zwar nicht ignorieren, aber gerade als Wissenschaftler sehr kritisch sehen, meint Filzmaier.

Er sieht zwei Möglichkeiten für Wissenschaftler, egal welcher Disziplin, darauf zu reagieren. Erstens sich den Medien möglichst vollkommen zu verweigern. Das wäre durchaus konsequent und ehrenwert. Was jedoch, wenn - wie im Fall von Filzmaier - politische Bildung über Massenmedien vermittelt wird und Teil der Arbeit ist? Die zweite Strategie wäre es, sich den Medien anzupassen und trotz "Framing" ein Mindestmaß an Seriosität zu wahren.

Und Filzmaier abschließend: "Das ist stets eine Gratwanderung, bei der man mehrheitlich auf der richtigen Seite landet, jedoch kein Wissenschaftler vor Abstürzen gefeit ist."

Elke Ziegler, science.ORF.at, 6.4.07
->   Alle Beiträge von Peter Filzmaier in science.ORF.at
->   Seed Magazine
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01.01.2010