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Klimamodell: Weltweite Abholzung brächte Kühleffekt  
  Wälder werden in den Diskussionen um den Klimawandel gerne als Kohlendioxidspeicher bezeichnet. Klimaforscher haben nun berechnet, wie sich eine Rodung des weltweiten Waldbestandes auswirken würde. Die überraschende Antwort: Die Abholzung würde die globale Erwärmung ein wenig bremsen.  
Wie ein Team um Govindasamy Bala vom Lawrence Livermore National Laboratory herausgefunden hat, erwärmen nördliche Wälder die Atmosphäre - und zwar in Summe stärker, als etwa die Regenwälder für globale Abkühlung sorgen.

Rodungen im Dienste des Klimaschutzes sind dennoch keine Option.
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Die Studie "Combined climate and carbon-cycle effects of large-scale deforestation" von G. Bala e al. ist am 9.4. auf der Website der "Proceedings of the National Academy of Sciences" (doi: 10.1073/pnas.0608998104) erschienen.
->   Abstract der Studie
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Natürliche CO2-Speicher
Ist von Abholzung und Klimawandel die Rede, denkt man zunächst an zwei Dinge: die tropischen Regenwälder und Kohlendioxid.

Durchaus zu Recht, denn Abholzung befördert nicht nur kurzfristig zusätzliches Kohlendioxid in die Atmosphäre, sie reduziert auch die Fähigkeit der Pflanzenwelt, das Treibhausgas in Zukunft zu speichern. Das Ergebnis: Der Treibhauseffekt verstärkt sich.
Physikalische Effekte
Dennoch ist das nur die halbe Wahrheit. Neben den Änderungen im globalen Kohlenstoffkreislauf hat die Abholzung auch biophysikalische Effekte. Sie hemmt die Verdunstung von Wasser, was Wolkenbildung und Niederschlag reduziert. Auch das führt zu einer Erhöhung der Temperatur, zumindest in den Tropen.

Und dann gibt es noch einen vierten Effekt. Abholzung verändert auch die Reflexionseigenschaften der Erdoberfläche, die so genannte Albedo. Sie wird in Werten zwischen 0 und 1 angegeben. Eine Oberfläche, die hundert Prozent der einfallenden Strahlung reflektiert, hat eine Albedo von 1, eine, die sämtliche Strahlungsenergie aufnimmt, den Wert 0.

Wald beispielsweise weist eine Albedo von 0,05 bis 0,2 auf, Felder und Savannen liegen darüber, sie reflektieren bis zu 25 Prozent der Einstrahlung. Noch effektiver sind weiße Oberflächen - etwa Schnee und Wolken -, die einen Wert von 0,9 erreichen können.
Zwei Szenarien im Vergleich
Interessanterweise haben sich Klimaforscher bis dato kaum gefragt, welches Gewicht die vier Effekte der Abholzung haben. Intuitiv ging man wohl davon aus, dass die Kohlenstoff-bezogenen Faktoren überwiegen. Das ist offenbar nicht der Fall. Zumindest, wenn man einer Modellrechnung vom US-Physiker Govindasamy Bala folgt.

Bala und seine Kollegen berechneten die Entwicklung des Erdklimas für die nächsten hundert Jahre und verglichen dabei zwei Szenarien. Eines davon ist die so genannte SRES-A2-Situation, derzufolge weiterhin nationalstaatliche Egoismen dominieren und unvermindert Treibhausgase in die Atmosphäre entlassen werden. Wäre das der Fall, stiegen die Temperaturen bis 2100 nach Balas Berechnungen um knapp drei Grad.
Modell: Eine Welt ohne Bäume
Grafik: PNAS
Das zweite Szenario ging ebenfalls von den SRES-A2-Bedingungen aus, nur mit der zusätzlichen Annahme, dass plötzlich sämtliche Bäume auf der Erde gefällt und bis zum Jahr 2100 lediglich Sträucher, Gräser oder krautige Pflanzen existieren würden (Bild rechts: rot).

Überraschenderweise würde dieser radikale Kahlschlag keine zusätzliche Erwärmung bringen. Im Gegenteil, die Durchschnittstemperatur läge 2100 sogar um 0,3 Grad niedriger als beim Vergleichsmodell. Der Hauptgrund dafür ist, dass Wälder in kühleren Klimaten relativ viel Wärme speichern. Gäbe es in diesen Regionen keine Bäume, käme die hohe Albedo der Schneedecke stärker zu tragen. Kurz gefasst: Nördliche Wälder sind so etwas wie grüne Klimaheizungen.

Ganz im Gegensatz zu tropischen Wäldern, die - das bestätigt auch dieses Modell - maßgeblich für die Kühlung des Klimas verantwortlich sind. Radikale Abholzungen in diesem Bereich wären desaströs. Summa summarum überwiegt offenbar der nördliche Albedo-Effekt, der globale Kahlschlag würde das Temperaturplus des A2-Szenarios (Bild rechts: schwarz) tatsächlich etwas abfedern.
Warnung vor Fehlinterpretationen
Bala und Kollegen wollen dieses Ergebnis freilich nicht als Freibrief für ungehinderte Rodungen verstanden wissen - auch nicht im hohen Norden. "Uns ist bewusst, dass die Erhaltung von Ökosystemen eines der ersten Ziele des Kampfes gegen die Klimaerwärmung ist. Daher wäre die gezielte Zerstörung von Wäldern eine kontraproduktive und perverse Strategie", schreiben sie in ihrer Arbeit. Das sind klare Worte.

Für diejenigen, die sich auch davon nicht überzeugen lassen, führen die US-Forscher noch ein paar andere Gründe an, warum Wälder für uns wichtig sind: Sie sind Inseln der Biodiversität, verhindern Bodenerosion sowie die Ansäuerung der Meere und haben schließlich großen ökonomischen Wert.

Davon abgesehen: Die Zerstörung von Ökosystemen um Ökosysteme zu retten - das klänge doch ein wenig widersprüchlich.

Robert Czepel, science.ORF.at, 10.4.07
->   Lawrence Livermore National Laboratory
->   SRES - Wikipedia
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01.01.2010