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US-Studie: Arzneitester meist arm und "Serientäter"  
  Ein einfacher Weg, Geld zu verdienen - das ist für einen Großteil der Teilnehmer an Medikamententests in den USA die zentrale Motivation. Nachdem sie die Tests als Einkommensquelle sehen, nehmen viele über lange Zeit ständig an einem teil, manche sogar an mehreren gleichzeitig. In Österreich gibt es strenge Regeln, die derartige Entwicklungen verhindern sollen.  
Eine aktuelle Studie von Forschern des Ethik-Instituts der Johns Hopkins Universitäten in Baltimore hat die sozialen Charakteristika jener Menschen, die als gesunde Freiwillige in so genannten "Phase 1"-Tests von Medikamenten teilnehmen, unter die Lupe genommen - und sie halten die Ergebnisse für höchst problematisch.

Nachdem zahlreiche Probanden mehrfach an Studien teilnehmen und damit sich selbst und die Aussagekraft der Studie gefährden, rufen sie nach strengeren Vorkehrungen.
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Die Studie "Balancing Justice and Autonomy in Clinical Research With Healthy Volunteers" von Nancy Kass und Kollegen ist als Advance Online Publication im Journal "Clinical Pharmacology & Therapeutics" erschienen (doi: 10.1038/sj.clpt.6100192).
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Zwei Untersuchungsgruppen
Wenn ein Medikament das erste Mal an Menschen getestet werden soll, wirft das eine Frage auf: Warum sollte ein Mensch seine Gesundheit aufs Spiel setzen, um die Tauglichkeit einer neuen Arznei zu testen, die er eigentlich gar nicht braucht?

Um dieser Frage auf den Grund zugehen, führte das Team um die Bioethikerin Nancy Kass eine Studie an zwei unterschiedlichen Gruppen durch: Zum einen befragten sie Teilnehmer, die gleichzeitig als Mitarbeiter bzw. Studierende an den Johns Hopkins Universitäten tätig waren, über ihre Motivation.

Als zweite Gruppe baten sie Probanden, die abseits ihrer Experimentteilnahme nichts mit Wissenschaft zu tun hatten und über keinen College-Abschluss verfügten, um Antworten.
Zentrales Register gefordert
Die Analyse zeigte, dass Menschen ohne höhere Ausbildung nicht nur in erster Linie wegen des Geldes an den Tests teilnehmen, sondern die "Arbeit" als Versuchsperson zumindest als "Nebenjob" betreiben: Bei ihnen war es laut Studie zwanzig Mal wahrscheinlicher, dass sie in den vergangenen fünf Jahren an mehr als zehn Tests teilgenommen haben als bei den Personen mit College-Abschluss.

Manche nahmen sogar an mehreren Versuchen gleichzeitig teil, was nicht nur die Menschen selbst, sondern auch die Testergebnisse gefährdet.

Die Forscher regen an, eine Art zentrales Register zu schaffen, in das alle Versuchspersonen eingetragen werden.
Strenge Regeln in Österreich
Auch in Österreich gibt es keine zentrale Datenbank, um die "Versuchskarriere" von Testpersonen zu verfolgen. Allerdings gibt es strenge Regeln, wie Phase-1-Tests ablaufen dürfen, erklärt Markus Müller, Leiter der Abteilung für klinische Pharmakologie der Medizinischen Universität Wien, im Gespräch mit science.ORF.at.

Seine Abteilung testet jährlich vier bis fünf Medikamente, die neu auf den Markt kommen und an gesunden Freiwilligen untersucht werden.
Arzt und Proband haben Pflichten
Grundsätzlich darf der Arzt gar nicht zulassen, dass eine Person an mehreren Tests teilnimmt, das ist seitens der Ethikkommission verboten, erklärt Müller. Der Freiwillige muss auch unterschreiben, dass er nur den einen Test macht.

Da es aber kein zentrales Verzeichnis aller Testpersonen gibt, könnte es - wenn es jemand wirklich darauf anlegt - schon gelingen, an mehreren Versuchen gleichzeitig teilzunehmen.
Risiko einer Studie darf nicht abgegolten werden
Die Versuchspersonen an seiner Abteilung sind zur Hälfte Studierende, schätzt Müller. Immer wieder komme es aber vor, dass sie zu wenige Testpersonen haben und in Zeitungen inserieren. Der Text des Inserats muss von der Ethikkommission freigegeben werden, ein Honorar darf nicht angekündigt werden, nur eine Aufwandsentschädigung ohne konkreten Betrag.

Für die Entschädigung wiederum gibt es genaue Sätze, aus denen sich die Endsumme zusammensetzt, etwa der Zeitaufwand oder wie oft Blut abgenommen wird. Nicht abgegolten werden darf das Risiko. "Es ist nicht möglich, bei einer besonders gefährlichen Studie ein sehr hohes Honorar zu zahlen", erklärt Müller.

Die Entschädigung wird wiederum von der Ethikkommission freigegeben und kann gegebenenfalls auch reduziert werden.
Information über Gefahren schreckt oft ab
Nicht zuletzt setzt man an der Medizinischen Uni Wien auf Aufklärung: Jede Versuchsperson bekommt eine Information über mögliche Nebenwirkungen und Gefahren. Der Text muss wiederum von der Ethikkommission freigegeben werden und ist oft jener Teil einer Versuchseinreihung, der erst nach Überarbeitungen freigegeben wird.

"Die Kommission legt großen Wert auf Verständlichkeit und Deutlichkeit, besonders was die Gefahren des Versuchs betrifft", schildert der Pharmakologe Müller - mit Erfolg: Denn es komme oft vor, dass Probanden sich nach der Lektüre entscheiden, an der Studie lieber nicht teilzunehmen.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 23.4.07
->   Abteilung für klinische Pharmakologie (Medizinische Uni Wien)
->   Ethik-Kommission der Medizinischen Uni Wien und des AKH Wien
->   Berman Institute of Bioethics
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01.01.2010