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Gender Mainstreaming: Feigenblatt für Ungleichheiten?  
  Seit den Amsterdamer Verträgen von 1997 ist Gender Mainstreaming offizielles Ziel der EU-Politik. Damit verpflichten sich alle Mitgliedsländer, soziale Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen in allen Bereichen und bei allen Planungs- und Entscheidungsschritten bewusst wahrzunehmen und zu berücksichtigen.  
Befürworter und Befürworterinnen dieses Instruments sehen darin den entscheidenden Schritt zur Gleichstellung der Geschlechter. Kritische Stimmen befürchten jedoch, dass Gender Mainstreaming vielfach als Feigenblatt dient, um strukturelle Ungleichheiten zu verdecken. Nicht Chancengleichheit stehe im Vordergrund, sondern die bestmögliche Erschließung der "Humanressource Frau" für den Markt.
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"Gender" & "Mainstreaming"
Mit dem englischen Begriff "Gender" ("soziales Geschlecht") werden die sozial und kulturell geprägten Geschlechterrollen von Männern und Frauen bezeichnet. "Mainstreaming" bedeutet so viel wie "in den Hauptstrom bringen". Es geht also darum, ein bestimmtes Denken und Handeln zu einem selbstverständlichen Handlungsmuster in Politik und Verwaltung zu machen. "Gender" und "Mainstreaming" zusammen bedeutet, alle Vorhaben - von der Budgetpolitik bis hin zu neuen Gesetzen - auf ihre möglichen geschlechtsspezifischen Auswirkungen zu überprüfen und so zu gestalten, dass sie auch einen Beitrag zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern leisten.
->   GeM - Gender Mainstreaming im Europäischen Sozialfonds
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Ursprung in der Frauenbewegung
Gender Mainstreaming hat seine Wurzeln in der Frauenbewegung und der Entwicklungszusammenarbeit. Als neue Strategie der Gleichstellungspolitik wurde es erstmals auf der 3. UN-Weltfrauenkonferenz in Nairobi 1985 vorgestellt.

"Damals stellte man fest, dass die Gelder, die für Entwicklungshilfeprojekte zur Verfügung gestellt werden, eigentlich nicht bei den Frauen ankommen", erklärt die Wiener Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlerin Regine Bendl gegenüber science.ORF.at. "Die Forderung nach der Implementierung von Gender Mainstreaming in der Entwicklungshilfe war eine Forderung danach, bei allen Entwicklungshilfe-Initiativen auf den Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit zu achten."
Wichtiger Ansatz in der Gleichstellungspolitik
Auf der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 wurde Gender Mainstreaming auch als verpflichtendes Konzept für Europa gefordert und in der Folge zu einem wichtigen Ansatz der europäischen Gleichstellungspolitik. Aufbauend auf den Amsterdamer Verträgen von 1997 sind seit 2000 auch öffentliche Einrichtungen in Österreich dazu verpflichtet, Gender Mainstreaming-Maßnahmen umzusetzen.
Wird klassische Frauenförderung verdrängt?
Ob Gender Mainstreaming wirklich das neue Erfolgskonzept auf dem Weg zur Gleichstellung der Geschlechter ist, wird in der scientific community allerdings kontrovers diskutiert.

"Eine Kritik von Seiten der Frauenbewegung ist, dass mit Gender Mainstreaming vielfach der Gedanke der Frauengleichstellung und der gezielten Frauenförderung verloren geht", sagt die Wiener Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer.
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Kein Ersatz, sondern Ergänzung
Von der Grundidee her soll Gender Mainstreaming zwar alte Frauenförderungsmaßnahmen nicht ersetzen, sondern ergänzen. In der Praxis lässt sich jedoch, wie Barbara Stiegler von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Deutschland festgestellt hat, beobachten, dass mit dem Verweis auf Gender Mainstreaming verstärkt Frauenbeauftragte abgeschafft oder Frauenfördermittel gekürzt werden.
->   Barbara Stiegler: Wie Gender in den Mainstream kommt (Digitale Buchversion)
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Gender Mainstreaming nicht einklagbar
Einen zweiten Kritikpunkt sieht Birgit Sauer darin, dass Gender Mainstreaming ein so genanntes "Soft Law" ist, das - im Gegensatz etwa zur Antidiskriminierungsrichtlinie - nicht einklagbar ist. Wie genau Gender Mainstreaming-Maßnahmen auszusehen haben, ist weich formuliert; viele Institutionen würden ihre Pflicht mit gelegentlichen Weiterbildungskursen als erledigt betrachten.

Ebenso weich wie die gesetzlichen Richtlinien sind bislang auch die Anforderungsprofile von Gender Mainstreaming-Beauftragten formuliert. Viele Mainstreaming-Beauftragte erhalten oft nur Kürzestschulungen von ein paar Stunden, in denen die Basics der Geschlechtertheorie und vielleicht ein wenig Verhaltenstraining vermittelt werde. Hier wären umfassendere Ausbildungen und ein begleitendes Monitoring von Nöten, meint Birgit Sauer.
Verfestigung alter Geschlechterrollen?
Zudem gäbe es Indizien, dass ein falsch verstandenes und praktiziertes Gender Mainstreaming auch dazu führen kann, dass klassische weibliche und männliche Geschlechterrollen reproduziert werden. Wenn Gender Mainstreaming z.B. heißt, dass die spezifischen Bedürfnisse von Frauen erst wieder als spezifische Bedürfnisse potenzieller Mütter betrachtet werden, kommen die alten Geschlechterrollen durch die Hintertüre zurück.

Wie falsch verstandenes Gender Mainstreaming aussehen kann, zeigt, so Birgit Sauer, auch die Rede davon, dass Gender Mainstreaming "die empathischen, die Teamfähigkeiten von Frauen einbringen soll in die Organisation. Damit schreibt man Frauen zugleich wieder auf ganz bestimmte Rollen innerhalb der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung fest."
Frauenpolitik als Unterkapitel von Wirtschaftspolitik?
Ursprünglich als neue Form der Gleichstellungspolitik im öffentlichen Bereich gedacht, findet das Konzept des Gender Mainstreaming auch zunehmend Eingang in Managementkonzepte der Privatwirtschaft - und hier vor allem in Konzepte des Diversity Managements.

Birgit Sauer betrachtet diese Tendenz gespalten. Denn in der allgemeinen Rede von der Förderung von Vielfalt werde der Gedanke der Gleichstellung der Geschlechter oft an den Rand gedrängt. In der Praxis des Managements ginge es dann oft auch weniger um Fragen der Chancengleichheit als um die Verbesserung von Arbeitsabläufen, die Vermeidung von Reibungsverlusten und die Erzeugung eines positiven Images.
->   Diversity Management - Wikipedia
Trotz aller Fallstricke Chancen
Trotz aller Fallstricke biete die Verrechtlichung des Instrument Gender Mainstreamings jedoch durchaus Chancen, meint Birgit Sauer. Wenn man von Anfang auch NGOs in den Prozess der Etablierung von Gender Mainstreaming einbezieht, kann dieses Instrument auch emanzipatorische Effekte haben.

Allerdings, so ist Birgit Sauer überzeugt: "Ohne eine rechtlich festgelegte Quotierung ist Frauenförderung und Gleichstellung nicht ernsthaft machbar. Erst wenn diese Quote erfüllt ist, kann man darüber diskutieren, ob es auch ohne dieses Instrument geht."

Martina Nußbaumer, science.ORF.at, 2.5.07
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Der Artikel ist im Rahmen der Aktionstage Politische Bildung erschienen, die noch bis 9. Mai 2007 dauern und sich dem Schwerpunkt Geschlechtergerechtigkeit widmen.
->   Aktionstage Politische Bildung haben begonnen (23.4.07)
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->   Alle Beiträge von Birgit Sauer in science.ORF.at
->   Webportal Gender Mainstreaming
->   Artikel: Gender Mainstreaming und Gleichstellungspolitik (pdf-File)
->   Kritik am Gender Mainstreaming - CEWS Newsletter
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Soziologin: Globalisierung bringt "Frauenfrühling" (9.2.07)
->   Traditionelle Geschlechterrollen im Aufwind (6.9.05)
->   Wissenschafts-Sponsoring und Geschlechterhierarchien (9.7.04)
 
 
 
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01.01.2010