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Philosoph Liessmann: "Naturmensch immer schon Fiktion"  
  In der Idee der Menschenverbesserung sieht der Philosoph Konrad Paul Liessmann eine lange Tradition: "Der Naturmensch war schon immer eine Fiktion." Mit zunehmender Technisierung galt er zunehmend als Ausgangsmaterial, das zu gestalten sei.  
Über die Konstruktionen des Menschen im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit sprach der "Wissenschaftler des Jahres 2006" bei einem Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe zum 20. Geburtstag der Wiener Vorlesungen am Dienstagabend in Wien.
Immer mehr "Schöpfer seiner selbst"
Auch wenn seit der Antike die Frage existiert, was der Mensch ist - "das wissen wir anthropologisch gesehen weniger denn je", meint Liessmann.

Es dränge sich vielmehr die Frage auf, welches Bild wir uns über den Menschen machen - nach welchen Motiven und Bedürfnissen er konstruiert wird. Denn "der Schöpfergott hat abgedankt, der Mensch kokettiert immer mehr mit dem Gedanken, Schöpfer seiner selbst zu werden."
Behebung von Störungen
Die Idee der Menschenerneuerung sieht Liessmann bereits im Christentum verankert. Doch sie habe sich im Zuge der Säkularisierung "zu voller Sprengkraft" entfaltet. Spätestens seit der Moderne ist der Mensch ständig darauf aus, "Störungen" zu beheben.

Der Mensch wird prinzipiell als misslungen und fehl entwickelt gesehen. Der "Mensch im Komparativ" - beispielsweise härter oder weicher, egoistischer oder solidarischer - gelte spätestens seit dem 18. Jahrhundert.
Maschinen als Vorbild
Bereits der Philosoph und Pionier der Technikkritik Günther Anders hatte im vergangenen Jahrhundert darauf hingewiesen, dass der Mensch sich nach dem Bild der Maschinen schafft, die er selbst erschaffen hat.

Langlebigkeit, Reproduzierbarkeit, Haltbarkeit spielen dabei eine große Rolle. Im Zeitalter serieller Produktion gelten die Einmaligkeit des Daseins und die Zufälligkeit der Geburt als Makel.

Liessmann verweist auf die Formulierung "menschliches Versagen", was so viel bedeute wie: "Der Mensch hat sich selbst als brüchiges und fehlerhaftes Wesen erwiesen, das man am besten ersetzt."
Genetik und Künstliche Intelligenz
Mit der Genetik sei das Bild des Menschen "als Maschine zur Steuerung der Gene" aufgekommen. Auch das Science-Fiction-Genre beziehe häufig Bilder ein, die von der Ablösung des Menschen als Maschine handelten. Es gebe die Tendenz, dass der Mensch eigentlich verschwinden soll.

"Ich erkenne heute zwei Denkschulen", so Liessmann. Zum einen gebe es die Bioingenieure, die auf die Verbesserung der Selbststeuerung der Gene aus sind - auf genetisch optimierte Intelligenz und Gesundheit.

Zum anderen gebe es die Tendenz zur Ablösung der biologischen Evolution durch die computergesteuerte Evolution und Künstliche Intelligenz. "Doch die nahe Zukunft liegt wohl in der Gentechnik und nicht in der Transformation von Bewusstsein auf die Festplatte."
Replik des Biologen Penninger
"Die Menschen sind nicht unfertig. Das Leben ist gut gelungen", erlaubte sich der Wissenschaftler und geladene Kommentator Josef Penninger, Chef des Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), "als Genetiker eine philosophische Gegenrede".

In Anlehnung an Kaiser Joseph II. und Mozart ("Zuviel Noten, lieber Mozart") würde er sagen: "Keine genetische Note des Lebens ist zu viel."
Natur braucht Zufall
Auch wenn mit der Genforschung neues Leben konstruiert werden kann, so geht es dem Penninger darum, "der Natur zuzuhören", um etwa Krankheiten verstehen zu können.

"Intelligentere und schnellere Organismen klingen für mich absurd, aus der Geschichte heraus wissen wir: Die Natur braucht Zufälligkeiten, sie muss divers bleiben." Die Gentechnik dürfe und solle nicht missbraucht werden.

[science.ORF.at, 9.5.07]
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01.01.2010