News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 
Körner des wilden Weizens bohren sich in die Erde  
  Ein wildes Weizenkorn hat alles, was der Pflanzennachwuchs braucht - sogar ein Werkzeug, um sich quasi in die Erde zu bohren. Indem es die wechselnde Luftfeuchtigkeit bei Tag und bei Nacht nutzt, bewegt sich das Korn mit froschartigen Schwimmbewegungen in die Erde.  
Wie es das Getreide schafft, nicht nur beim Fall die Balance zu halten, sondern seinen Weg in den Boden zu steuern, haben Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung jetzt herausgefunden.
...
Die Studie "The Role of Wheat Awns in the Seed Dispersal Unit" von Rivka Elbaum et al. ist in der aktuellen Ausgabe von "Science" (Bd.316, 11.Mai 2007, S. 884-886, DOI: 10.1126/science.1140097) erschienen
->   Zum Abstract
...
Steuer und Motor in einem
Auf den Schalen oder Spelzen der meisten Getreidesorten befinden sich sogenannte Grannen - borstenförmige Fortsätze. Genau diese Grannen sind beim wilden Weizen Steuer und Motor in einem: Sie steuern ein reifes Korn mit der Spitze abwärts zu Boden, in dem sie die Saat richtig ausbalancieren.

Ist das Korn dann in der Erde, verwandeln es die beiden Borsten in einen Bohrer und treiben das Korn in die Krume. Interessanterweise beherrscht kultivierter Weizen diesen Trick nicht mehr.
->   Granne (Wikipedia)
Kraft durch Luftfeuchtigkeit
Die Kraft für dieses Manöver holt sich das Korn ausschließlich aus der Luft, die an den natürlichen Standorten des wilden Weizens tagsüber trocken und nachts feucht ist. Während des trockenen Tags krümmen sich die beiden Grannen nach außen, in der feuchten Nacht biegen sie sich dagegen zueinander.

Laut den Forschern rund um Peter Fratzl vom Potsdamer Max-Planck-Institut reagieren die äußere und die innere Seite der Grannen unterschiedlich auf Feuchtigkeit. Das liegt an der Konstruktion ihrer Zellulosefasern, den sogenannten Fibrillen.
->   Fibrillen (Wikipedia)
So wird die Granne zur Bohrmaschine
 
Bild: Max-Planck-Gesellschaft

Diese Fibrillen sind in der Kappe ausschließlich parallel zur Granne angeordnet. Im unteren Teil des Grannenrückens sind sie dagegen beliebig orientiert. Das macht die Kappe nicht nur zehnmal steifer als den Rücken. Die Anordnung macht die Granne auch zu einer einfachen Bohrmaschine.

Wird es nämlich feucht, schwellen alle Fibrillen nur in ihrer Breite an. Daher quillt die Grannenkappe nur seitlich auf, da dort alle Fasern in Längsrichtung verlaufen. Der Grannenrücken streckt sich dagegen, da einige seiner Fasern auch senkrecht zu der Borste liegen. Und mit ihm richtet sich die ganze Granne auf.

Das heißt, in der trockenen Luft des Tages biegen sich die Borsten nach außen. Nachts, vom Tau angefeuchtet, strecken sie sich dagegen. "Der mittlere Bereich des Grannenrückens funktioniert wie ein Muskel, der die Grannen beugt und streckt," so die Mitautorin Rivka Elbaum.
Feine Glashärchen halten das Korn in der Erde fest
Bild: Max-Planck-Gesellschaft
Der Muskel alleine reicht aber noch nicht, damit sich die Körner in die Erde bohren können. Das geht nur dank der feinen Silica-, also Glashärchen, auf ihrer Außenseite. Die Härchen wirken wie Widerhaken.

Das ist auch zu spüren, wenn man die Grannen durch die Hände gleiten lässt: Vom Korn weg gestrichen laufen sie geschmeidig über die Haut, zum Korn hin ist der Widerstand der Härchen deutlich zu spüren.

Diese Silicahärchen verhindern, dass sich die Grannen aus der Erde schieben, wenn sich die Borsten nachts strecken. Sie können sich nur in die Erde bewegen und schieben das Korn so Nacht für Nacht ein bisschen tiefer in die Erde.

Das fanden die Wissenschaftler heraus, indem sie ein Weizenkorn und den unteren Teil seiner Grannen in ein Tuch einschlugen. Die Silicahärchen verhakten sich im Stoff. Nun erhöhten und senkten die Forscher die Luftfeuchtigkeit abwechselnd. Tatsächlich rutschte das Korn mit jedem Feuchtigkeitszyklus ein bisschen tiefer in das Tuch.
Vorbild für Mikromaschinen
Offensichtlich nutzt der wilde Weizen diesen Mechanismus, um sich zu verbreiten, so Peter Fratzl. Denn die Grannen treiben den Samen mit ihren Schwimmbewegungen nicht nur in die Erde, sondern bewegen ihn auch über die Erde.

Die Forscher haben bereits versucht nach dem Vorbild der Grannen, einfache Maschinen und Muskeln zu bauen, die Veränderungen der Luftfeuchtigkeit in Bewegung umsetzen. Derartige Anwendungen wären auch ein möglicher Beitrag, erneuerbare Energien zu nutzen.

[science.ORF.at/MPG, 11.5.07]
->   Peter Fratzl
->   Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung
Mehr dazu in science.ORF.at:
->   Kultivierung von Weizen dauerte Jahrtausende (31.3.06)
->   Die Natur als Vorbild (25.4.01)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010