News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 
Tücken und Missverständnisse im Alltagsenglisch  
  Wer einen Engländer auffordert, mit einem "Handy" zu telefonieren, wird ungläubige Blicke ernten. Auch andere Worte - wie Smoking und Pudding - klingen für deutschsprachige Menschen vertraut und bedeuten doch etwas ganz anderes. Vor den Tücken der Pseudoanglizismen warnt der Literaturwissenschaftler Manfred Draudt im Rahmen der Vortragsreihe "University meets Public" und vorab in einem Gastbeitrag.  
"False friends" und Pseudoanglizismen
von Manfred Draudt

Am gefährlichsten ist es, wenn man sich sicher fühlt - auch auf sprachlichem Terrain. Man meint, ein englisches Wort zu verwenden, doch das gibt es im Englischen gar nicht, oder zumindest nicht mit dieser Bedeutung.

Auch übernehmen wir unreflektiert aus dem Englischen Wörter mit demselben Wortstamm ins Deutsche wie storm - "Sturm", dome - "Dom", obwohl sie nicht das Gleiche bedeuten. So gibt es zahlreiche Situationen, in denen wir - ohne es zu ahnen - mit unserem Alltagsenglisch scheitern.

Dass "Handy" und "Smoking" im Englischen etwas ganz anderes heißen, mögen etliche bereits wissen; dass aber auch "Whirlpool", "Oldtimer", "Chips" und "Chef" in diese Kategorie fallen, ist wahrscheinlich nur mehr wenigen bewusst; und dass "Hometrainer", "Talkmaster" und "Dressman" Scheinanglizismen sind, d.h. im Englischen gar nicht existieren, ahnt wohl kaum einer.
...
Im Rahmen der Reihe "University Meets Public" wird Manfred Draudt am 15.5.07 zu diesem Thema einen Vortrag in der VHS Zweigstelle Wien-Hernals halten.
Zeit: 18.00-19.30
->   University meets Public
...
Falsche Freunde enttäuschen Vertrauen
Noch tückischer als diese Umdeutungen und Neukreationen sind die so genannten "falschen Freunde", d.h. Wörter gleichen etymologischen Ursprungs aber mit unterschiedlicher Bedeutung in den beiden Sprachen.

Dass es davon zahlreiche gibt, verdanken wir der nahen Verwandtschaft der beiden Sprachen, die beide germanischen Ursprungs sind und zudem zahlreiche Lehnwörter aus dem Lateinischen übernommen haben, wie etwa "domus" (=Haus [Gottes]), das sich allerdings im Laufe der Jahrhunderte unterschiedlich entwickelte: im Deutschen zu "Dom" = "Bischofskirche", im Englischen aber zu dome = "Kuppel" (wobei das Wort im Englischen bis zum 18. Jahrhundert auch noch die Bedeutung "Kathedrale" hatte).

Um das Problem auf den Punkt zu bringen: Schwierigkeiten schaffen uns nicht die Fremden, die das Deutsche nicht kennt, wie das englische Wort ridiculous (vom Lateinischen "ridiculus"), sondern die engen Verwandten.
Das Problem mit den Verwandten
Preservative bedeutet im Englischen "Konservierungsmittel" und ist daher kein Hygieneartikel; dieser hingegen wurde in den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts in England beschönigend mit French letter umschrieben, was bei Ausländern wohl zu komischen Missverständnissen geführt haben wird.

Abgeleitet von preservative ist preserve, ein gehobener englischer Ausdruck für "Marmelade", wobei die englische marmalade ausschließlich eine aus Zitrusfrüchten hergestellte bezeichnet.

Dass pudding und biscuit nichts mit "Pudding und "Biskuit" zu tun haben, kann ebenso verwirren, wie die Tatsache, dass man, wenn man ein menu verlangt, eine Speisekarte bekommt. Auch ist das (altertümliche) englische closet kein Klosett, sondern ein kleines Privatzimmer oder Kabinett, ein cabinet hingegen ein (kleinerer) Kasten mit Laden oder Fächern (in beiden Sprachen ein Lehnwort aus dem Französischen).
Betriftt Haupt- und Zeitwörter
Auch bei Verben kann es signifikante Bedeutungsunterschiede geben, deren sich Autoren und Vortragende, die sich auf englische naturwissenschaftliche Arbeiten beziehen, meist nicht bewusst sind:

Sie übersetzen das englische control stets mit "kontrollieren", obwohl es wesentlich stärker ist und "steuern" bedeutet; ebenso wird regulate immer mit "regulieren" wiedergegeben, obwohl es "bestimmen" und "regeln" bedeutet; auch dass wonder nichts mit "wundern" zu tun hat, sondern "sich fragen" heißt, wird regelmäßig übersehen (wobei das englische oversee nicht "übersehen", sondern "beaufsichtigen" bedeutet).
Lingua franca ohne verbindliche Normen?
Englisch ist die lingua franca, d.h. die generell verwendete und weithin akzeptierte Sprache der Kommunikation, nicht nur in den Naturwissenschaften, wo bereits über 95 Prozent aller Publikationen weltweit auf Englisch abgefasst werden.

Wenn nun einige Sprachwissenschaftler, auch aus ideologischen Gründen, erklären, eine Anpassung an muttersprachliche (d.h. z.B. britische oder amerikanische) Standards sei nicht notwendig und deutsche, französische oder spanische Sprecher des Englischen sollten ihre eigenen Varianten pflegen, so zeigen die "falschen Freunde", die es natürlich auch im Französischen und Spanischen gibt, die Notwendigkeit einer gemeinsam verbindlichen Norm auf, da es sonst unter jenen, die Englisch als Zweitsprache sprechen, zu einer zweiten babylonischen Sprachverwirrung kommt.
Unterscheidung durch ihre gemeinsamen Wurzeln
Wer sein Sprachbewusstsein in Bezug auf Bedeutungsunterschiede schärft, wird bemerken, dass fast überall "falsche Freunde" lauern, so auch im Theater. Im Peymanns Neuinszenierung von Der Sturm war Ariel ein "delikater", d.h. "wohlschmeckender" Geist, obwohl das englische delicate "zart", "fragil", "sensibel" bedeutet.

Aber schließlich haben schon Generationen von Shakespeare-Forschern bei Problemen dieser Art Schiffbruch erlitten, wenn sie hartnäckig The Tempest mit "Der Sturm" übersetzten, obwohl tempest ebenso wie das englische storm "Gewitter" oder "Unwetter" bedeutet, was auch einigen ORF-Journalisten bis heute entgangen zu sein scheint.

In Analogie zu dem von Bernard Shaw geprägten Satz, "England and America are two countries divided by a common language" könnte man die Problematik der "falschen Freunde" mit dem folgenden Aphorismus auf den Punkt bringen: "Englisch und Deutsch sind zwei Sprachen, die sich durch ihre gemeinsamen Wurzeln unterscheiden".

[14.5.07]
...
Über den Autor
Manfred Draudt war ao. Professor am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Wien und hat kürzlich einen Vortrag zu dieser Thematik an der Universität Bologna / Forli gehalten. Er ist primär Literaturwissenschaftler und ein international anerkannter Shakespeare-Forscher.
->   Manfred Draudt, Uni Wien
...
->   Index zu Anglizismen
->   Übersetzungsfallen
Mehr zu University Meets Public:
->   Muskelsteuerung: Ohne Strom keine Bewegung (11.5.07)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010