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Feministische Perspektiven als Wissenschaftskritik  
  Ohne einen gewissen Anspruch an Wahrheit und Objektivität gibt es keine Wissenschaft. Dass das derart erzeugte Wissen aber immer mit Interessen verknüpft und gar nicht so wertneutral ist, weiß die Wissenssoziologie seit langem. Über den Beitrag, den die feministische Kritik für eine emanzipatorische Wissenschaft leisten kann, schreibt die Soziologin Iris Mendel vom IFK in Wien in einem Gastbeitrag  
Die Tyrannei der Wahrheit
Von Iris Mendel

Braucht Wissenschaft Wahrheit? Sind Wahrheitsansprüche die Bedingung für politische Forderungen? Oder ist Wahrheit eine Tyrannei, wie Nietzsche meint?

Und ist es möglich, das absolute Wahrheitsideal zu verabschieden und trotzdem an einem Konzept von Objektivität als Basis kritischer Wissenschaften festzuhalten?

Viele feministische Theoretikerinnen gehen davon aus, dass Wissen sozial situiert ist und sehen darin keinen notwendigen Widerspruch zu einem - neu gefassten - Verständnis von Objektivität. Sie kritisieren also absolutistische und relativistische Wahrheitskonzepte.
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Vortrag am IFK
Iris Mendel hält am Montag, den 21. Mai 2007 um 18.00 c.t. am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften einen Vortrag mit dem Titel "Wider Stand Punkt: Feministische Perspektiven als Wissenschafts- und Gesellschaftskritik".
Ort: IFK, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien
->   Mehr zu der Veranstaltung (IFK)
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"Die Werkzeuge des Herrschenden werden das Haus des Herrschenden nicht niederreißen." (Audre Lorde)
Wahrheit, Unparteilichkeit, Wertfreiheit - all diese Konzepte können als traditionelle "Werkzeuge" verstanden werden, die unter dem Schein des neutralen Blicks von Außen oftmals herrschende Machtverhältnisse legitimieren und reproduzieren.

Welche brauchbaren Alternativen gibt es zu dem "göttlichen Trick, alles von nirgendwo aus sehen zu können" (Donna Haraway), die dennoch die Formulierung verbindlicher Erkenntnisansprüche zulassen?

Stellt die feministische Epistemologie "neue Werkzeuge" zur Verfügung, die wegweisend für das Projekt einer kritischen Sozial- und Kulturwissenschaft sein können?
Vom Standort zum Standpunkt
Vor allem von der feministischen Standpunkttheorie hat die feministische Wissenschaftskritik wichtige Impulse erhalten. Im Unterschied zur male stream Wissenschaft gilt die soziale Verortung des Wissens (der Standort) hier als potenzieller Erkenntnisvorteil.

Insbesondere in der "weiblichen" Erfahrung gesellschaftlicher Unterdrückung und dem damit verbundenen "Blick von unten" wird die Möglichkeit der Herausbildung eines feministischen Standpunktes gesehen, der einen objektiveren Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse ermöglichen soll.
Difference Trouble
Wie allerdings vor allem Schwarze Feministinnen und postmoderne Feministinnen erkannten, ist die "weibliche" Erfahrung, die den Ausgangspunkt der feministischen Standpunkttheorie darstellt, keine einheitliche, sondern eine nach ethnischer Zugehörigkeit, ökonomischer Position und anderen Faktoren differenzierte.

Die Krise des "weiblichen" Kollektivsubjekts konfrontierte die feministische Theorie und Praxis mit grundsätzlichen Fragen: Wie ist feministische Theorienproduktion möglich, wenn sich "Frau" in Differenzen aufzulösen droht? Wie soll feministische Interessenspolitik funktionieren, wenn sich die Bezugsgruppe politischer Forderungen zunehmend der Repräsentation entzieht?

Da an einem einheitlichen feministischen Standpunkt nicht festgehalten werden konnte, wurde dieser durch eine Vielzahl marginaler Standpunkte ersetzt, die Gemeinsamkeiten durch einen Dialog erst herstellen müssen. Doch wie lässt sich Marginalität definieren, wenn die Möglichkeit kontextübergreifender Gesellschaftstheorie verabschiedet wurde?
Erkenntnistheorie als Gesellschaftstheorie?
Ein zentrales Problem ist dabei, dass die Betonung von Differenz in einer unüberschaubaren Menge von Marginalitäten mündet, die als Einheiten sozial- und kulturwissenschaftlicher Untersuchungen und politischer Forderungen unbrauchbar werden.

Um Kategorien der Unterdrückung und die sich daraus ergebenden Handlungsmöglichkeiten zu identifizieren, braucht eine Erkenntnistheorie, die auf der sozialen Situiertheit der Erkenntnissubjekte begründet ist, eine Theorie der herrschenden Machtbeziehungen und des (widerständigen) Subjekts.

Wie Donna Haraway schreibt: "Einige Differenzen sind spielerisch, andere bilden eher die Pole eines weltweiten historischen Herrschaftssystems. 'Epistemologie' heißt, die Differenz zu erkennen." In diesem Verständnis ist Epistemologie auch kritische Gesellschaftstheorie.
Wissen/Macht/Ermächtigung
Für Haraway gibt es daher nicht die eine "reine" Position, von der aus Objektivität möglich ist. Vielmehr bedeutet Objektivität für sie situiertes Wissen.

Kritische Wissenschaft muss an einem Konzept der Objektivität festhalten, um etwa strukturelle Ungleichheiten sichtbar zu machen. Für Haraway und andere feministische Theoretikerinnen geht es in der Wissenschaftskritik nicht nur darum, die Koppelung von Wissen und Macht aufzuzeigen.

Es gilt auch, das potenziell ermächtigende Moment von Wissenschaft anzuerkennen, das ohne ein Konzept von Objektivität nicht auskommt.

[18.5.07]
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Über die Autorin
Mag. Iris Mendel: Studium der Soziologie und Germanistik an den Universitäten Graz und Waterloo, Kanada, Postgraduales Studium in Social and Political Thought an der University of Sussex, England, derzeit IFK-Junior Fellow. Forschungsprojekt: Der Blick der Marginalisierten. Von der feministischen Wissenschaftskritik zu einer emanzipatorischen Epistemologie der Sozial- und Kulturwissenschaften.
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IFK-Junior Fellowships
Mit der Vergabe von Junior Fellowships fördert das IFK Dissertanten (bis zum 35. Lebensjahr) mit kulturwissenschaftlichen Projekten. IFK_Junior Fellowships werden für ein Jahr vergeben, beinhalten ein monatliches Stipendium und einen Arbeitsplatz am Institut, der den Austausch mit den Senior und Research Fellows des Instituts befördert. Junior Fellowships werden vorzugsweise an österreichische Studierende vergeben.
->   IFK
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01.01.2010