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Klonforschung: Eine Wissenschaft sucht ihre Grundlagen  
  Zehn Jahre ist es nun her, dass die Öffentlichkeit von der Existenz eines Klonschafs namens "Dolly" erfuhr. Seitdem wurden von 16 weiteren Säugetierarten künstliche genetische Kopien hergestellt. Dennoch tappt die Klonforschung nach Ansicht eines US-Forschers noch weitgehend im Dunklen. Sie sei eine Wissenschaft, die ihre experimentellen Erfolge nicht erklären könne.  
Glückstreffer oder Durchbruch?
"War Dolly ein Glückstreffer oder einer der größten Durchbrüche der modernen Wissenschaft? Vermutlich beides." Klonexperte Jose Cibelli von der Michigan State University zeichnet in einem aktuellen Überblicksartikel in der Zeitschrift "Science" (316, 990) ein durchaus ambivalentes Bild seiner Wissenschaft.

Dabei hatte es so glorreich begonnen: Am 27. Februar 1997 stellten Keith Campbell und Ian Wilmut vom Roslin Institute bei Edinburgh (Schottland) ein Schaf namens "Dolly" vor, das ihren Angaben zufolge aus einer entkernten Eizelle und dem Zellkern einer Euterzelle entstanden war - der erste künstliche Säugetierklon in der Geschichte der Biologie.
Alte Dogmen widerlegt
Von der Sache mit der Euterzelle leitet sich im Übrigen der politisch eher semikorrekte Name des Schafes ab. Es wurde nach der Country-Sängerin Dolly Parton benannt, wohl aufgrund gewisser körperlicher Charakteristika. Nun ja, die feine Klinge war das nicht gerade, aber egal: Schließlich wurden Campbell und Wilmut nicht fürs Witzemachen, sondern für die Forschung im Labor bezahlt.

Immerhin letztere erledigten sie exzellent, sie lösten mit ihrer Arbeit eine echte wissenschaftliche Revolution aus. Zuvor hatte es geheißen, das Klonen von Säugetieren sei nicht möglich. Und: Eine differenzierte Säugetierzelle (bzw. deren Kern) könne nicht wieder in den ursprünglichen Entwicklungszustand zurückversetzt werden, in dem sich beispielsweise eine Eizelle befindet.

Campbell und Wilmut zeigten, dass diese Dogmen falsch waren. Das Klonen von Säugern ist möglich, die Zeit kann entwicklungsbiologisch tatsächlich zurück gedreht werden. Seitdem hat man die Dolly-Technik bei 16 weiteren Spezies erfolgreich angewandt - die da sind: Wolf, Muflon, Wild- und Hauskatze, Hund, Maultier, Büffel, Maus, Ziege, Hase, Pferd, Rinder (2), Schwein, Ratte und Frettchen.
Mehr Fragen als Antworten
Einziger Schönheitsfehler daran: Man weiß nicht wirklich, warum man das alles kann. Daher vermutet Klonexperte Jose Cibelli auch, dass Dolly mit sehr viel Glück zu tun hatte. Er nennt die zehn Jahre seit der Vorstellung von Dolly eine "Dekade der Klon-Geheimnisse", in der sich offenbar ein eigenartiges Missverhältnis von experimentellen Erfolgen und theoretischem Verständnis derselben gebildet hat.

Dementsprechend enthält sein Resümee des Forschungsstandes mehr Fragen als Antworten: So weiß man etwa noch immer nicht genau, warum die Ausbeute der Klonversuche so gering ist. Weniger als zehn Prozent aller geklonten Embryonen entwickeln sich in der Gebärmutter zu einem gesunden Tier.

Der Rest hat Fehlbildungen oder stirbt im Lauf dieses Prozesses einfach ab. Ebenfalls unklar ist, ob man Zellkerne für die "Reprogrammierung" - quasi das Umstellen ihrer Entwicklungsuhr auf die Stunde Null - empfänglicher machen kann.

Weitere offene Fragen laut Cibelli: Sind auch Primaten-Zellen reprogrammierbar? Warum gibt es so große Unterschiede hinsichtlich der Klon-Erfolgsraten - und zwar selbst bei Zellen, die zum selben Zeitpunkt aus dem selben Gewebe desselben Individuums gewonnen wurden? Und schließlich: Welches sind die Gene, die für die Reprogrammierung des Zellkerns verantwortlich sind?
->   Reprogramming - Wikipedia
Die wechselhafte Telomer-Story
Freilich hat die Arbeit der letzten zehn Jahre auch ein paar Fragezeichen verschwinden lassen. Beispielsweise hatte es einige Zeit nach Dollys Vorstellung geheißen, sie sei mit dem biologischen Alter ihrer erwachsenen Mutter geboren worden (bzw. dem der Euterzelle) und leide daher an typischen Alterskrankheiten.

Später fand man tatsächlich Hinweise darauf, dass die Schutzkappen an Dollys Chromosomenenden, die so genannten Telomere, unnatürlich kurz sind (Nature 399, 316).

Letztere gelten als Spiegel des Alterungsprozesses, da sie in der Regel bei jeder Zellteilung ein kleines Stückchen kürzer werden. Dennoch stimmt der Satz "Klone kommen physisch als Erwachsene auf die Welt" so nicht.

Im Jahr 2000 fand ein Team um Teruhiko Wakayama von der University of Hawaii heraus, dass die Telomere von Klonmäusen keineswegs zwingend kürzer sind, als jene ihrer natürlich geborenen Artgenossen. Im Gegenteil: Klonmäuse können unter Umständen sogar verlängerte Schutzkappen auf ihren Chromsomen haben (Nature 407, 318) - ein Befund, der mittlerweile durch andere Studien bestätigt wurde.
->   Telomer - Wikipedia
Hoffnungsträger Epigenetik
Große Hoffnungen setzen Klonexperten indes in jenes Forschungsgebiet, das die Brücke zwischen den klassischen Kategorien von Anlage und Umwelt bildet: die Epigenetik. Seit den
1960ern weiß man, dass die Abfolge der DNA-Buchstaben eine Bauanleitung für Proteine darstellt, wobei diese Anleitung einem ganz einfachen Prinzip folgt: dem so genannten genetischen Code.

Seit einigen Jahren ist jedoch klar, dass das nicht alles ist. Es gibt noch eine Art Metacode in der lebenden Zelle. Gewisse chemische Gruppen auf der DNA bestimmen nämlich, ob ein vorhandenes Gen stillgelegt oder aktiv wird. Und genau dieses Muster chemischer Modifikationen an der DNA macht man dafür verantwortlich, dass sich aus dem Zellkern einer Euterzelle überhaupt ein Embryo entwickeln kann.

Allerdings tappt man auch hier weitgehend im Dunklen, wie Cibelli betont. Jene Enzyme, die im Normalfall für die Veränderung des Metacodes verantwortlich sind, funktionieren bei Klonexperimenten nicht wie geplant. Warum, weiß man nicht.
->   Epigenetik - Wikipedia
Suche nach den Mechanismen
"Sind wir nun dem Ziel herauszufinden, warum die Dolly-Methode funktioniert, näher gerückt?", fragt Cibelli in seinem Aufsatz. Die Antwort: "Ja, aber nicht sehr viel. Wir haben das letzte Jahrzehnt mit Experimenten verbracht, die sich auf das Klonen selbst konzentriert haben. Das Prozedere wurde bei vielen Tierarten angewandt - aber es wurde genug getan an dieser Front: Nun müssen wir uns auf die Mechanismen konzentrieren, die dahinter stehen."

[science.ORF.at, 18.5.07]
->   Jose Cibelli - Michigan State University
->   Dolly - Wikipedia
->   Mehr zu Dolly im science.ORF.at-Archiv
 
 
 
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01.01.2010