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Gegen den Strom - 100. Geburtstag von Franz Jägerstätter  
  Er ist eine Symbolfigur des Widerstands gegen den Nationalsozialismus: Franz Jägerstätter wurde 1943 wegen Kriegsdienstverweigerung von den Nazis zum Tode verurteilt. Am 20. Mai 2007 jährt sich sein Geburtstag zum 100. Mal.  
"Wer nichts liest, wird sich nie so richtig auf die eigenen Füße stellen können, wird nur zu leicht zum Spielball der Meinung anderer", lautete ein Credo des Bauern aus St. Radegund im oberösterreichischen Innviertel.
Noch immer aktuell
Jägerstätters Handeln besitzt bis heute politische Relevanz. So verfasste etwa der jüdische Autor Joshua Sobol im Jahr 2003 das Bühnenstück "Eye Witness - Augenzeuge".

Das Stück nimmt Bezug auf Franz Jägerstätter, als Sinnbild für jene, die der Stimme ihres Gewissens folgen. Joshua Sobol thematisierte damit die Weigerung israelischer Armeepiloten palästinensisches Gebiet zu überfliegen und zu beschießen.
Reibebaum einer allein gelassenen Generation
Bild: Erna Putz
Franz Jägerstätter
Franz Jägerstätters Leben und seine Handlungsweise regen immer noch auf. Besonders ehemalige Kriegsteilnehmer fühlen sich herausgefordert. Eine Gewissensberuhigung durch die Aussage, man habe ja nur seine "Pflicht" erfüllt, wird durch Jägerstätters Handlungsweise erschwert. Sein Gewissen ließ sich nicht durch die Befehle und Autorität der Obrigkeit aufheben.

Viele ehemalige Soldaten wollten über ihre Kriegserlebnisse sprechen, etwaige Scham und Erlebnisse ausdrücken. Aber damit wurden sie alleine gelassen. Ab 1986 boten ihnen die Jägerstätter-Gedenktage in Ostermiething und St. Radegund dafür ein Forum.

Einige fanden in Franz Jägerstätter ein neues Leitbild, für andere blieb sein Verhalten aber ein Reibebaum - ein "Reibebaum einer allein gelassenen Generation", so Jägerstätters Biographin Erna Putz.
Leben im bäuerlich geprägten Innviertel
Franz Jägerstätter wurde am 20. Mai 1907 als Sohn der ledigen Bauernmagd Rosalia Huber geboren und von seiner Großmutter aufgezogen. Als seine Mutter dann im Februar 1917 den Bauern Heinrich Jägerstätter heiratete, adoptierte dieser das Kind.

Sein Adoptiv-Großvater besaß anspruchsvolle Bücher und hatte eine Zeitung abonniert. Er machte aus dem jungen Franz einen begeisterten, wissbegierigen Leser. "Jägerstätters Ansicht war, dass er die Verantwortung für sein eigenes Tun nur selbst tragen könne und sich daher auch selbst informieren müsse", berichtet Erna Putz.
Lebensfroh und neugierig
 
Bild: Erna Putz

Bevor er 1933 den Bauernhof seines Stiefvaters übernahm, arbeitete Franz Jägerstätter auf einem Bauernhof in Bayern und drei Jahre als Bergarbeiter in Eisenerz. Nach seiner Rückkehr aus der Steiermark war er stolzer Besitzer des ersten Motorrades im Dorf (Bild oben).

1936 heiratete er Franziska Schwaninger, Bauerntochter aus dem Nachbarort Hochburg. Mit ihr verband ihn künftig ein sehr inniges Verhältnis, das sein Glaubensleben entscheidend vertiefte. Das junge Paar freute sich über die Geburt ihrer drei Töchter Maria, Aloisia und Rosalia. Franz Jägerstätter wird im Ort als umgänglicher und geselliger Mann beschrieben, der sich auch überdurchschnittlich um seine Töchter gekümmert hat.
Zug ins Verderben
Einen Traum von einem Zug, der viele Menschen ins Verderben führt, brachte er mit der deutschen NSDAP in Zusammenhang. Auch Nachrichten aus dem benachbarten Bayern über die Verfolgung von Priestern führten dazu, dass er bei der Volksabstimmung über den Anschluss Österreichs an Deutschland am 10. April 1938 mit "Nein" stimmte. Dies wurde allerdings bei der offiziellen Stimmenbekanntgabe unterschlagen.

Franz Jägerstätter nahm in der Folge keinerlei Vergünstigungen durch die NSDAP an. Genauso gab er für die Partei und deren Gliederungen keine Spenden. Kenntnisse über die Verfolgung von Priestern und die Euthanasieprogramme des NS-Regimes bestärkten ihn in seiner Ablehnung der politischen Machthaber.
Gewissensentscheidung
Nach seiner ersten Einberufung zum Militärdienst im Jahr 1940 kehrte er nach einer Intervention des Bürgermeisters bald nach St. Radegund zurück. Im Jahr darauf erfolgte auf Antrag der Gemeinde eine "Unabkömmlich-Stellung" in Folge seines Berufes. Erst nach der Einberufung Februar 1943 gab es keine Möglichkeit mehr dieser zu entkommen.

Die Entscheidung, den Kriegsdienst zu verweigern traf Franz Jägerstätter durch Befragung seines Gewissens. Seine Gattin Franziska gab ihm den nötigen Rückhalt. Kirchliche Würdenträger, die er um Rat gefragt hatte, rieten ihm davor von diesem Entschluss ab - so etwa der Linzer Bischof Joseph Fließer.

Seine Bereitschaft, Sanitätsdienst zu leisten, lehnte das Reichskriegsgericht ab. Es verurteilte Franz Jägerstätter im Juli 1943 wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode. Am 9. August wurde er enthauptet. Sein Grab befindet sich heute im Friedhof von St. Radegund. Eine Aufhebung des Todesurteils erfolgte auf Antrag der Familie erst 1997.
Stationen des Erinnerns nach 1945
 
Bild: Diözese Linz

Franziska Jägerstätter musste nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis 1950 um eine Witwenrente kämpfen, da ihr Gatte weder als Widerstandskämpfer noch als Soldat im Krieg umgekommen war. Sie zog die drei Töchter alleine auf und führte den Bauernhof selbständig.

Franz Jägerstätters Anerkennung begann in den 1960er Jahren in den USA. Der US-amerikanische Soziologe Gordon C. Zahn veröffentlichte 1964 erstmals eine Jägerstätter-Biographie unter dem Titel "In Solitary Witness. The Life an Death of Franz Jägerstätter".

1968 gedachte ein US-Amerikaner aus Missoula in Montana des 25. Jahrestages von Jägerstätters Hinrichtung durch das Anbringen einer bronze Gedenktafel beim Grab an der Dorfkirche von St. Radegund (Bild oben). Jägerstätters Tat beeinflusste auch das Denken der nordamerikanischen Anti-Vietnamkrieg-Bewegung.
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Rezeption in Stichworten
Der ORF-Film "Der Fall Jägerstätter" von Axel Corti erhitzte 1971 manche österreichische Gemüter, wurde aber wegen hoher Einschaltquoten mehrmals ausgestrahlt. Seit 1983 findet jährlich in Ostermiething und St. Radegund ein Jägerstätter-Gedenktag statt.

1985 erschien die erste Ausgabe der Jägerstätter-Biographie von Erna Putz. In der Folge wurde der ehemalige Bauernhof Jägerstätters zu einem Gedenk- und Begegnungsort gestaltet. Am 9. August 2007 findet im Rahmen eines Gedenktages das Symposion "Heiligkeit - Martyrium" statt.
->   Programm des Symposions
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Späte Ehrungen
Franziska Jägerstätter, die ihren Gatten immer unterstützte, erhielt 2007 das Goldene Verdienstzeichen des Landes Oberösterreich. Eine Auszeichung der Republik Österreich wird noch folgen. Das seit 1997 laufende Seligsprechungsverfahren für Franz Jägerstätter im Vatikan steht nun knapp vor seinem Abschluss.

Manfred W.K. Fischer, 18.5.07
->   Franz Jägerstätter - Wikipedia
->   Franz Jägerstätter - Diözese Linz
->   Aufsatz "Der Fall Franz Jägerstätter" - Andreas Maislinger
 
 
 
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01.01.2010