News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Leben .  Wissen und Bildung 
 
Genetik-Pioniere werden zu Forschungsobjekten  
  Rund 99,9 Prozent der Erbsubstanz aller Menschen sind gleich, der Rest kann etwa Risiken für bestimmte Krankheiten erklären. Die Kenntnis individueller Gene könnte in Zukunft maßgeschneiderte Medikamente ermöglichen. Um als "gutes Beispiel" voranzugehen, wollen Genetik-Pioniere wie James Watson und Craig Venter deshalb in Kürze die Daten ihres persönlichen Erbguts veröffentlichen.  
Kritiker nehmen ihnen den Altruismus allerdings nicht ganz ab. Sie halten ihr Vorhaben für einen Missbrauch der Genetik, die so zu einem fragwürdigen Hobby der "Reichen und Berühmten" werden könnte. Und auch die Fragen des Datenschutzes werden durch öffentlich zugängliche Gen-Datenbanken nicht gerade kleiner.

Zu einem Aufeinandertreffen der Meinungen kam es bei der Jahrestagung von Genomforschern Anfang Mai am Cold Spring Harbor Laboratory (CSHL) in New York.
...
Die Fachzeitschrift "Nature" widmet dem Thema in ihrer aktuellen Ausgabe das News-Feature "Celebrity genomes alarm researchers" (Bd. 447, S. 358; 24.5.07).
->   Nature
...
Wettlauf um Premiere: James Watson ...
Im April 1953 hatte James Watson gemeinsam mit Francis Crick einen Meilenstein der Naturwissenschaft gesetzt: Ihre Veröffentlichung zur Struktur der Erbsubstanz sollte das Zeitalter der Biotechnologie einläuten.

Über ein halbes Jahrhundert später ist Watson nun selbst zum Fall für die Wissenschaft geworden. Die Sequenzierung seiner eigenen DNA soll die erste sein, die von einem bestimmten Individuum publiziert wird.

Das kündigte zumindest Michael Egholm an, der Vizepräsident von "454 Life Sciences". Ende Mai will das Biotech-Unternehmen die Entzifferung von Watsons Erbsubstanz bei einer Tagung am Baylor College of Medicine in Houston vorstellen, später soll sie veröffentlicht werden.
... oder Craig Venter?
Die Ankündigung erregte den Widerspruch von Craig Venter, der an der 2001 veröffentlichten Entzifferung des menschlichen Erbguts federführend beteiligt war und als Biotech-Firmenchef gerne die Öffentlichkeit sucht.

Er reklamiert das Vorrecht des ersten DNA-sequenzierten Individuums für sich. Seine Erbsubstanz befinde sich bereits in der öffentlich zugänglichen "GenBank", die entsprechende Analyse soll in Kürze im Journal "PLoS Biology" erscheinen.
...
Vom Durchschnitt zum Individuum
Im Februar 2001 publizierten "Science" und "Nature" parallel Studien zur Entzifferung des Humangenoms: Craig Venters Unternehmen Celera lieferte die eine Version, die andere stammte vom steuerfinanzierten und weltweiten Human Genome Project (HGP). In beiden Fällen wurde Erbgut von verschiedenen Menschen analysiert und eine Art "Durchschnitts-Genom" veröffentlicht. Nun scheint es zu einem neuen Wettlauf um die erste individuelle DNA-Sequenzierung zu kommen.
->   Human Genome Project
...
Preis für schnelle und "berühmte" Entzifferung
Auch einige andere Projekte treiben die DNA-Entzifferung von Top-Wissenschaftlern und weiteren Berühmtheiten voran.

Der "Archon X Prize for Genomics" etwa verspricht jenen Forschern zehn Millionen US-Dollar, denen es erstmals gelingt, hundert Humangenome in zehn Tagen zu sequenzieren.

Ein Millionen-Bonus winkt, falls auch das Erbgut einer Reihe von Celebrities entziffert wird - darunter der Physiker Stephen Hawking, der CNN-Starjournalist Larry King und der Microsoft-Mitbegründer Paul Allen.
->   Archon X Prize for Genomics
Suche nach individuellen Medikamenten
Warum diese "Jagd nach berühmten Genen", die von manchen schon in der Tradition von spleenigem Weltraumtourismus gesehen wird? Die offizielle Antwort lautet: personalisierte Medizin.

Medikamente der Zukunft könnten auf das individuelle Erbgut von Patienten punktgenau abgestimmt werden. Dazu ist es freilich notwendig, die Daten so schnell und kostengünstig wie möglich zu erhalten - und eben deshalb wird heftig an der Geschwindigkeit und Genauigkeit der Sequenzierungsmethoden gearbeitet.
Genom-Datenbank für jedermann
Craig Venter hält die Veröffentlichung seines Genoms deshalb auch für altruistisch. Er sieht sich als Vorbild für andere und möchte Ängste über die mögliche missbräuchliche Verwendung der persönlichen Gendaten zerstreuen.

Er plant deshalb auch eine Datenbank, in die jeder sein "eigenes Erbgut" samt Krankheitsgeschichte und anderen individuellen Informationen einspeisen kann.
Datenrisiken auch für Verwandte
Bei Datenschützern, die sich heute über die gespeicherten Informationen der E-Card Sorgen machen, wird diese Aussicht wohl ein Stirnrunzeln hervorrufen. Doch schon jetzt regen sich auch in der Gemeinde der Biotechnologen Bedenken. Der Genetiker Michael Ashburner von der Universität Cambridge hält die DNA-Sequenzierung "von reichen und berühmten Personen für sehr geschmacklos".

Francis Collins, Chef des öffentlichen US-Instituts für die Erforschung des menschlichen Genoms (NGHRI), benannte eine der Gefahren: "Wenn man diese Information in wirklich offene Datenbanken stellt, ergeben sich nicht nur für einen selbst Risiken, sondern auch für die Verwandten", mit denen sie die DNA teilen.
Weitere Individual-Sequenzierungen geplant
Nichtsdestotrotz plant auch das NHGRI für die kommenden Jahre die Entzifferung von rund 100 individuellen Humangenomen. Prominente Wissenschaftler oder andere Celebrities sollen nicht darunter sein, sondern Menschen, die "maximale Information" versprechen.

Das können Personen mit seltenen Erbkrankheiten sein, aber auch andere - entscheiden soll die Frage ein extra dafür eingerichtetes Beraterteam.

Lukas Wieselberg science.ORF.at, 24.5.07
->   GenBank
->   NGHRI
->   454 Life Sciences
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   DNA-Vergleich: Jeder Mensch individueller als erwartet (23.11.06)
->   Weniger Menschen-Gene als bisher angenommen (21.10.04)
->   Genom-Entschlüsselung - Viele Fragen bleiben offen (11.2.01)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Leben .  Wissen und Bildung 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010