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Sushi in Rom - und andere Objekte auf Kulturreise  
  Sushi in Rom, Telenovelas in Berlin, Pizza und Blue Jeans so gut wie überall: Viel mehr noch als Menschen wandern Waren um die Welt - und zwar nicht erst seit den Zeiten der Globalisierung. Diese Waren haben nicht nur einen ökonomischen Wert, sondern auch einen kulturellen. Wie sich ihre Bedeutung in der neuen Umgebung ändern und auch dem Herkunftsland neue Perspektiven abgewinnen kann, untersucht eine Tagung am IFK in Wien. Der Germanist Moritz Baßler geht diesen "reisenden Objekten" vorab in einem Gastbeitrag nach.  
On travelling objects to and from Europe since 1945

Von Moritz Baßler

Sushi in Rom, der VW Käfer in den USA, Punkplatten in Deutschland - was passiert eigentlich, wenn Dinge nationale und kulturelle Grenzen überschreiten? Sie kommen dort in neue Kontexte, die ihre Bedeutung verändern, ihren Gebrauch und am Ende gar die Dinge selbst.

Die materialen Objekte, mit denen wir uns heute umgeben, sind zwar überwiegend industriell gefertigte Massenprodukte, die international vertrieben werden. Ihre Produzenten überlegen sich also gut, wie sie die neuen Kunden auf die ungewohnten Waren vorbereiten - und doch geschieht es immer wieder, dass die Veränderungen ganz anders verlaufen als geplant.

Das liegt offenbar daran, dass die kulturellen Interaktionen und Austauschprozesse zwischen Objekten und den Kontexten ihrer Benutzung ungeheuer komplex sind.
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Vom 31.5. bis 2.6. findet die Tagung "Sushi in Rome. On travelling objects to and from Europe since 1945 in englischer Sprache statt.
Ort: IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften, Reichsratsstraße 17
1010 Wien
->   Programm und Abstract
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Geeignete Analysekategorien notwendig
Angesichts der anhaltenden Globalisierung besteht die Aufgabe der Kultur- und Geisteswissenschaften vorrangig darin, analytische Kategorien zur Beschreibung und Interpretation solcher komplexer Phänomene zu entwickeln.

Eine einzelne Disziplin hat dazu oft gar nicht die geeigneten Analyseinstrumente zur Verfügung.

Unsere Tagung versammelt deshalb Historiker, Literaturwissenschaftler, Kunstgeschichtlerinnen, Kulturwissenschaftler und Anthropologen, um einen transdisziplinären Zugriff zu ermöglichen.
Kulturelle Wirkungen und Wechselwirkungen
Schon bei der Analyse der Objekte selbst müssen ja die unterschiedlichsten Aspekte berücksichtigt werden, wie Rohstoffbeschaffung, Herstellungs- und Arbeitsbedingungen, Kosten und Distributionswege.

Betrachtet man diese Objekte dann in ihren Transferprozessen, als travelling objects, treten Aspekte der Bedeutung in den Vordergrund. Welche Assoziationen werden von den exportierenden Instanzen (z.B. Firmen, Werbestrategen, Ausstellern auf Industrie- und Weltausstellungen) mit dem Objekt (z.B. dem Markenartikel, dem Medien-Star) verknüpft?

Wie schätzen sie seine prospektiven Benutzer ein? Welche Umdeutungen nehmen die aneignenden Instanzen vor, welchen neuen Praktiken und Diskursen dienen die Objekte im veränderten Rahmen? Und wie wirkt das solcherart aufgenommene Objekt auf die jeweiligen kulturellen Rahmen zurück?
Authentisch vs. cool
Denn die Popmusik, der Italo-Western und die Sushi-Bars haben ja nicht nur das Bild europäischer Städte, die Lebensweise, den Geschmack und das Selbstverständnis der Europäer verändert, sondern auch ihre Auffassung von Amerika oder Japan und damit womöglich auch die Ursprungskulturen der jeweiligen Gegenstände.

Globalisierungsprozesse wirken immer nach beiden Seiten. Ein interessantes Feld sind auch die neuen globalen und lokalen Kategorien der Wertschätzung: So finden wir ein exotisches Gericht oder einen Orientteppich mehr oder weniger 'authentisch', eine Jeans oder einen Popsong mehr oder weniger 'cool', etc.
Material, Ökonomie und Bedeutung
Es geht also auf unserer Tagung sowohl um die materiale und ökonomische Seite der Dinge bei ihren globalen Grenzüberschreitungen als auch um ihre Bedeutungsseite. Anhand konkreter Fallstudien analysieren die Beiträge, welche Rolle spezifische Darstellungsweisen der überschreitenden Transfers spielen.

Welche Akteure sind mit welchem Reflexionsgrad an der Konstruktion kultureller Bedeutungen beteiligt - und mit welchem Erfolg?
Entscheidende Rolle der Medien
Ganz wichtig ist dabei die Rolle der Medien zwischen Produktion und Konsum. Kulturelle und wirtschaftliche Globalisierung beruht ja auf einer getrennten Zirkulation von Objekt (Ware) und Repräsentation (Markenname, Image).

Der Ort, an dem sich die westliche Konsumkultur zu einem Zeichensystem formiert, zur globalen lingua franca, sind primär die Massenmedien. Das gilt zunächst für Produktwerbung und Berichterstattung sowie die Übernahme fremdkultureller Produkte (z.B. Popmusik, TV-Serien) in die Radio- und Fernsehprogramme.

Aber auch die lokalen Aneignungen, Umdeutungen und Subversionen sind an mediale Praktiken und mediale Distribution gebunden. Kulturelle Objekte sind immer schon - vor und nach ihrem Transfer - medial codiert.
Künstlerische Aneignung: Camp, Pop und Postmoderne
Eine neue und eigens zu thematisierende Reflexionsstufe ist erreicht, wenn Objekte von Kulturtransfers (z.B. Fernsehgeräte, VW Käfer oder die McDonald's-Bögen) ihrerseits in Kunstwerken thematisiert oder verarbeitet werden - also etwa in der Bildenden Kunst oder in der Literatur.

Seit den frühen 1960ern ist diese Praxis vor allem mit dem Labeln Camp, Pop und Postmoderne verbunden.

Das Spektrum der künstlerischen Aneignung materieller Kultur und Markenkultur reicht dabei vom schnöden Product Placement in Fernsehserien über deutschsprachige Coverversionen englischer Musik und die Markenkataloge der Popliteratur bis hin zu den Installationen neuer Kunst.

[30.5.07]
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Über den Autor
Moritz Baßler, Prof. Dr., geb. 1962, Studium der Germanistik und Philosophie in Kiel, Tübingen und Berkeley, 1993 Promotion in Tübingen bei Gotthart Wunberg, bis 1998 Redaktor des Reallexikons der deutschen Literaturwissenschaft, bis 2003 Assistent bei Helmut Lethen in Rostock, bis 2005 Professor of Literature an der International University Bremen, seither Professor für Neuere deutsche Literatur an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Fellow am IFK (2001) und am ZfL Berlin (2007). Zahlreiche Publikationen mit Schwerpunkten zur der Literatur der Klassischen Moderne, Literaturtheorie und Gegenwartsliteratur.
->   Moritz Baßler, Uni Münster
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01.01.2010