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Imagewechsel für Fettzellen  
  Übergewichtige Menschen haben zu zu voluminöse Fettzellen im Körper. Studien zeigen, dass diese keineswegs passive Lagerstätten sind, sondern als aktive Spieler in den Stoffwechsel eingreifen. Und: Es gibt offenbar "gute" und "böse" Fettzellen.  
Generation Adipositas
Es ist schon fast eine Volksweisheit: Zu viel Fett in der Nahrung ist ungesund und zu viel davon auf Bauch oder Hüften ebenfalls. Das Thema rückt mit gutem Grund zusehends in das öffentliche Bewusstsein. Einer Untersuchung der Rand Corporation zufolge ist etwa in den USA die Zahl der krankhaft Fettleibigen zwischen 2000 und 2005 um 50 Prozent gestiegen.

Drei Prozent der US-Bevölkerung - das sind 6,8 Mio. Personen - bringen mindestens 45 Kilogramm mehr auf die Waage als Normalgewichtige gleicher Größe. In Europa sind die Zahlen noch nicht ganz so dramatisch, der Trend weist jedoch in die gleiche Richtung.

Wenn sich die gegenwärtige Entwicklung fortsetzte, rechnen Mediziner vor, werde es in Europa bis zum Jahr 2050 bis zu 150 Mio. fettsüchtige Erwachsene und 15 Mio. adipöse Kinder und Jugendliche geben. Für Männer werde sich deshalb die Lebenserwartung bis dahin um durchschnittlich fünf Jahre verringern. Dementsprechend spricht man mittlerweile von einer "Fettsucht-Epidemie" in den reichen Industrieländern.
Fettgewebe als Hormondrüse
Soweit die statistische Perspektive. In Bezug auf die eigentlichen Fettspeicher, die Fettzellen, hat sich das Bild in den letzten zehn Jahren ebenfalls stark gewandelt. Galten sie früher als mehr oder weniger passive Lager von Energie in Form von Triglyceriden (der chemische Begriff für Nahrungs- bzw. Depotfett), zeigt sich nun, dass sie offenbar Dreh- und Angelpunkt des Stoffwechsels sind - und ein hoch aktiver dazu.

Anlass für diesen Perspektivenwechsel war eine Entdeckung des Genetikers Gökhan Hotamisligil. In den 90er Jahren - damals noch als Student an der Harvard Medical School - fand Hotamisligil heraus, dass die Fettzellen von Mäusen offenbar den Stoff TNF-Alpha produzieren (Science 295, 87). Das Molekül ist einer der Schlüsselspieler bei Entzündungen und etwa an Arthritis und anderen Autoimmunerkrankungen beteiligt.

1995 entdeckte man, dass Fettgewebe auch in anderer Hinsicht quasi als Hormondrüse wirkt. Es stellt beispielsweise das Sättigungshormon Leptin her. Hat der Körper genug Depotfett angelegt, produziert er das Signal "Ich bin satt".

Das Problem dabei: Das Signal ist ein vergleichsweise leiser Ton im Vergleich zum Fortissimo der Sinnesreize unter Wohlstandbedingungen, weswegen es nur zu häufig ignoriert wird. Mit den bekannten Folgen: Diabetes, Bluthochdruck, Krebs.
Verbunden: Diabetes und Entzündungen
Mittlerweile hat sich nicht nur die Liste jener Signalstoffe, die von Fettzellen entlassen werden, stark erweitert, man weiß auch, dass es zwei Sorten davon gibt. Die "schlechten" Fettzellen blockieren die Wirkung von Insulin und rufen Entzündungen hervor.

Beide Prozesse hängen mit großer Wahrscheinlichkeit zusammen, meint Hotamisligils früherer Doktorvater, Bruce Spiegelman. Diabetes wird vermutlich von leichten, aber chronischen Entzündungen im Fettgewebe begleitet.
Fettzellen mit zwei Gesichtern
Der Unterschied zwischen den beiden Fettzelltypen lässt sich mittlerweile auch auf der Molekülebene festmachen. Etwa an zwei Stoffen namens RBP4 und Adiponectin: Ersterer macht, da von schädlichen Fettzellen im Übermaß hergestellt, Muskeln und Leber für Insulin unempfänglich, erhöht somit den Zuckergehalt im Blut.

Letzterer hat genau die gegenteilige Wirkung und wird vornehmlich vom zweiten, ungefährlichen Fettzelltyp in den Körper entlassen. "Fettzellen sind tatsächlich so etwas wie Dirigenten im Orchester - sie sagen dem Zucker, wohin er sich bewegen soll", resümiert Harvard-Forscher Evan Rosen im letzten "Nature" (447, 525).
Zellstress stört die Eiweißproduktion
Was macht nun eine vormals normale Fettzelle zu einer schädlichen? Hotamisligil und seine Mitarbeiter vermuten, dass der Wandel vom Fettpaulus zum -saulus mit einer bestimmten Zellstruktur zu tun hat, dem so genannten Endoplasmatischen Reticulum (ER).

Das ER ist quasi die Proteinbaustelle in der lebenden Zelle, in ihm werden jene Eiweißstoffe hergestellt, die später in den Zellinnenraum und die Membran wandern, sowie auch solche, die für den Export bestimmt sind. Hotamisligil geht davon aus, dass das ER infolge des Übermaßes an Nährstoffen schlichtweg überlastet ist und daher seinen Dienst nicht mehr einwandfrei versehen kann.

Die Folge: Die Produktion der Eiweiße gerät aus dem Lot, es werden vornehmlich schädliche Moleküle hergestellt - etwa TNF-Alpha und RBP4 (Science 306, 457).
Therapien: Helfen Entzündungshemmer?
Für etwaige Therapien bieten sich daher Methoden an, die das Missverhältnis molekularer Gegenspieler korrigieren. Im Fall von RBP4 und Adiponectin ist das allerdings noch reine Zukunftsmusik, da man über die genaue Wirkungsweise der beiden Proteine noch zu wenig weiß.

Daher setzt man momentan auf andere Strategien. Steven Shoelson vom Joslin Diabetes Center möchte etwa die chronischen Entzündungen, an denen viele Fettleibige leiden, wieder rückgängig machen. Und zwar mit dem Entzündungshemmer Salsalat, der dem Wirkstoff von Aspirin sehr ähnlich ist.

Die Idee ist nicht neu: Schon im Jahr 1876 wurde in der Berliner Klinischen Wochenschrift vorgeschlagen, Salsalat könne womöglich gegen Diabetes helfen. Mehr als 130 Jahre später wird die Hypothese nun überprüft - die Studie soll noch heuer beginnen.

Robert Czepel, science.ORF.at, 11.6.07
->   Gökhan Hotamisligil
->   Steven Shoelson
->   Adipositas - Wikipedia
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01.01.2010