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Wiener Germanistik: Schon früh Privatdozentinnen  
  Es ist erst 100 Jahre her, dass sich in Österreich die erste Frau habilitieren durfte. In den 1920er Jahren wurde am Institut für Germanistik der Uni Wien in kurzer Zeit gleich drei Frauen die venia legendi, die Lehrberechtigung, verliehen. Diese auch im internationalen Vergleich hohe Zahl an Privatdozentinnen hatte mit einigen Besonderheiten des Fachs und der Situation in Wien zu tun, meint die Germanistin Elisabeth Grabenweger anlässlich eines Vortrags.  
Danach dauerte es rund 30 Jahre, bis die nächste Frau an dem Institut unterrichten sollte.

Mit dem Verschwinden der Privatdozentinnen ist vorübergehend auch ein wichtiger Teil der Forschung verloren gegangen - die Beschäftigung mit der Populärkultur, wie Grabenweger im science.ORF.at-Interview betont.
science.ORF.at: Die erste Frau, die sich in Österreich habilitiert hat, war 1907 die Romanistin Elise Richter, danach kam die Germanistin Christine Touaillon. Warum waren Frauen gerade in den Literaturwissenschaften vergleichsweise früh erfolgreich?

Elisabeth Grabenweger: In der Romanistik waren sie das nach Richter gar nicht, sie blieb die Ausnahme. Nach ihr hat es 14 Jahre gedauert, bis sich Christine Touaillon als zweite Frau habilitiert hat.

Die Germanistik ist auf alle Fälle in Wien ein relativ gutes Feld gewesen, auch im Vergleich zu Berlin oder anderen Instituten. Hier haben sich die Habilitationen mit insgesamt drei geradezu gehäuft, in ganz Deutschland waren es im Vergleichszeitraum fünf.
Wie kam es zu dieser Ausnahmestellung der Wiener Germanistik?

Die Germanistik wurde in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zu einem Massenstudium, die Zahl der Studierenden verfünffachte sich, Ende der 1920er Jahre waren es bereits fast eintausend, davon 20 Prozent Frauen. Es gab bei ihnen ein ganz klares Berufsbild, die meisten wurden Lehrerinnen, der mit Abstand wichtigste akademische Beruf für Frauen.

An der Germanistik in Wien kam aber noch etwas dazu: Die Inklusion von Frauen war hier auch auf eine gewisse Schwäche der Institution zurückzuführen. In der Zeit ist es zu einem Bruch mit einer alten Schule der Germanistik gekommen. Nach dem Tod von Jakob Minor 1912 wurde die so genannte Scherer-Schule nicht mehr weitergeführt und der Geisteswissenschaftler Walter Brecht nach Wien berufen.

Brecht wirkte nicht mehr schulebildend in dem Sinn, dass er nur Menschen mit ähnlicher habitueller Verfasstheit um sich scharte. Es gingen ganz unterschiedliche Studierende aus seinem Seminar hervor, und das wirkte sich auch positiv auf die universitäre Position von Frauen aus.
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Vortrag am IFK in Wien
Elisabeth Grabenweger hält am Montag, den 4. Juni 2007 um 18.00 c.t. am IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften einen Vortrag mit dem Titel "Beruf Wissenschafterin. Die ersten Privatdozentinnen der Wiener Germanistik in der Ersten Republik".
Ort: IFK, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien
->   Mehr über die Veranstaltung
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Womit haben sich die ersten habilitierten Germanistinnen beschäftigt?

Christine Touaillon behandelte Literatur von Frauen, Marianne Thalmann beschäftigte sich mit Trivialliteratur - beides Bereiche, die danach wieder in akademische Vergessenheit gerieten. Erst in den 1960er Jahren wurden sie dank der Cultural Studies wieder in den wissenschaftlichen Diskurs aufgenommen.

Die dritte und letzte habilitierte Germanistin der Ersten Republik, Elisabeth Weiser, schrieb über "Altgermanische Jünglingsweihen und Männerbünde" - ein Thema, das im Nationalsozialismus noch populärer wurde.
Davor lag ein steiniger Weg, bis Frauen prinzipiell Hochschulen besuchen durften.

Es gab in Österreich aus dem Jahr 1878 einen Erlass, der Frauen die Immatrikulation an Universitäten untersagt. Das wird gerne als Ausdruck patriarchaler Machtdemonstration interpretiert, ich glaube aber, dass es etwas anderes bedeutet: Es gab zu dieser Zeit bereits konkrete Anträge von Frauen, die an den Unis studieren wollten. Und so wurden die Hochschulen und das Ministerium genötigt, den ohnehin seit Jahrhunderten praktizierten Ausschluss von Frauen erstmals zu formulieren.

Der Erlass zeigt auch, dass die Macht des Ausschlusses bereits zu schwinden begann. Während sie vorher eine Selbstverständlichkeit war, die gar nicht ausgesprochen werden musste, hatte sie sich nun plötzlich zu rechtfertigen und verteidigen. Und sobald man sich verteidigen muss, wird man angreifbar.

Nachdem 1878 noch das Verbot ausgesprochen worden war, wurden Frauen 1897 an der Philosophischen Fakultät in Wien zugelassen, 1900 an der Medizinischen Fakultät.
Die Verfassung von 1920 brachte dann die formale Gleichberechtigung von Mann und Frau, dennoch änderte sich an den Universitäten nicht gleich komplett die Situation.

Die Machtfrage hat sich damit anders gestellt. Der damalige Staatsuntersekretär für Unterricht, der Sozialdemokrat Otto Glöckel, setzte sich z.B. sehr stark für die Gleichbehandlung bei der Habilitation von Frauen und Männern ein.

Die Universitäten aber pochten stark auf ihre Autonomie - was im Übrigen zeigt, dass dieses Konzept nicht nur positiv ist. Mit Autonomie wurde weniger die Unabhängigkeit der Forschung und Lehre gemeint, sondern das Recht, darüber zu bestimmen, wer Teil des Systems sein darf.

Die Grazer Uni etwa hat sich mit dem Argument geweigert, Christine Touaillon zu habilitieren, dass man politische Gleichheit nicht einfach auf akademische Verhältnisse übertragen könne, da "erfahrungsgemäß Unterschiede in den Begabungen der beiden Geschlechter bestehen".
Dass Frauen nicht so begabt sind, wurde auch versucht wissenschaftlich zu untermauern.

Das ist keine Besonderheit des deutschen Sprachraums. Körpervermessungen und Rückschlüsse daraus auf den Intellekt gab es auch in den USA. Der Münchner Anatom Bischof etwa hat weibliche und männliche Gehirne gewogen und festgestellt, dass die ersteren leichter sind, weshalb sich die "Untauglichkeit der Frau zur Pflege der Wissenschaft nach göttlicher und natürlicher Anordnung" ergebe.
Hundert Jahre später ist der Körper im Diskurs wieder stark verankert, physiologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen werden nicht zuletzt in den Neurowissenschaften wieder stark betont. Hat sich nichts geändert?

Doch, sehr viel. In der modernen Gesellschaft gibt es die Idee der Vollinklusion, einzelne Gesellschaftsgruppen kann man nicht mehr aus bestimmten Bereichen ausschließen. D.h. es ist nicht mehr möglich Frauen auszuschließen, weil sie Frauen sind, oder Chinesen, weil sie Chinesen sind. Das ist nicht mehr gesellschaftsfähig.

Ausschluss heutzutage funktioniert anders, man kann das "eingeschlossenen Ausschluss" nennen. Das bekannte Beispiel aus den Unis: In den Geisteswissenschaften sind mehr als die Hälfte der Studierenden Frauen, es gibt aber nur 14 Prozent Professorinnen und noch keine Rektorin in Österreich.
Was geschieht da auf der Karriereleiter?

Die Erbfolge an Universitäten setzt auf Gleichförmigkeit, d.h. Professoren stellen Leute an, die ihnen in ihrem Habitus und ihrem Denken ähnlich sind. Zumeist haben sie die gleiche Sozialisation hinter sich, akademisch wie auch gesamtgesellschaftlich.
Ein Plädoyer für Quoten?

Nein, nicht unbedingt. Bei Frauenforschung an eigenen Instituten handelt es sich manchmal nur um ein Trostpflaster. Aus der Sicht der etablierten Forschung kann das heißen: Wir machen so weiter wie bisher, zu uns gehört ihr nicht, aber ihr dürft auch ein bisschen forschen.

Ich finde die Abgrenzung von Gender- und anderer Forschung nicht sehr sinnvoll. Ich arbeite kulturwissenschaftlich und beschäftige mich mit Fragen der Genderforschung, disziplinär verorte ich mich in der Germanistik. Darin sehe ich keinen Widerspruch.

[1.6.07]
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Elisabeth Grabenweger hat Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft an den Universitäten Wien und Berlin studiert und ist derzeit IFK-Junior-Fellow.
->   IFK
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->   Christine Touaillon (ONB)
Mehr zu dem Thema in science.ORF.at:
->   Frauen an Unis weiter unterrepräsentiert (14.5.07)
->   Frauennetzwerke in Forschung wenig wirksam (8.3.07)
->   Höherer Frauenanteil verändert EDV-Kultur (26.5.06)
 
 
 
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01.01.2010