News
Neues aus der Welt der Wissenschaft
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 
Fremdenverkehr: Wenn Touristen auf Asylwerber treffen  
  Es gibt zwei Seiten menschlicher Mobilität: eine "positive", die Menschen als Touristen angenehme Tage in fremder Umgebung verbringen lässt; und eine "dunkle" Seite, die Menschen auf der Flucht zeigt. Wenn beide Aspekte zusammenkommen, sind nicht selten Konflikte die Folge. Der Innsbrucker Politikwissenschaftler Raimund Pehm hat Vertreter von Tiroler Tourismusverbänden befragt, wie sie zur Unterbringung von Flüchtlingen in für Gäste attraktiven Gemeinden stehen.  
Dabei wurde für ihn klar: Die Angst, dass Asylwerber Touristen "abschrecken" könnten, resultiert zu einem Gutteil aus der Furcht, selbst unter die "Verlierer" zu geraten. Das "prekäre" Leben der Asylwerber werde als ein zu starker Einbruch der Realität in die heile Urlaubswelt wahrgenommen - zumindest, wenn man die Einschätzung der Tourismus-Verantwortlichen interpretiert.
...
Die Studie "Der andere Fremdenverkehr - die Unterbringung Asylsuchender in Tirol" von Raimund Pehm ist in der "Rundschau der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft" ("SWS-Rundschau", Heft 2/2007, S. 186-208) erschienen.
->   Abstract in der "SWS-Rundschau"
...
Unerwünschte Fremde vertreiben erwünschte Fremde
Man kennt die Berichte aus den Medien: Im Dorf XY sollen Asylwerber untergebracht werden. Die Aufregung ist groß, Dorfbewohner demonstrieren, der Bürgermeister zeigt sich besorgt, dass die einen (unerwünschten) Fremden im Ort die anderen (erwünschten) Fremden vertreiben würden.
Befragung von Tourismusverbänden
Negative Auswirkungen auf den Tourismus werden fast immer angeführt, wenn es in Fremdenverkehrsgebieten darum geht, die Unterbringung von Flüchtlingen zu verhindern.

Der Politikwissenschaftler Raimund Pehm wollte den Vorbehalten auf den Grund gehen. Er befragte Vertreter von Tiroler Tourismusverbänden, was sie über das Zusammentreffen von erwünschtem mit unerwünschtem Fremdenverkehr denken - Tourismusverbände deshalb, weil die relativ nah am lokalen Geschehen operieren, dabei aber nicht nur Einzelinteressen vertreten.
Unterbringung "Ausnahme" oder "eher Ausnahme"
Die Sichtbarkeit von Asylwerbern müsste doch längst zum Alltag geworden sein, schließlich wurde das 20. Jahrhundert nicht von ungefähr immer wieder als "Jahrhundert der Flüchtlinge" bezeichnet, meint Pehm.

Dass die Anwesenheit von Fremden, die keine Erholung, sondern Schutz suchen, aber dennoch keine Normalität ist, zeigt die Befragung: Drei Viertel der befragten Tiroler Tourismusverbände sehen die Unterbringung als "Ausnahme" oder "eher Ausnahme", kein einziger Verband sieht es als Normalfall.
Großteil für Wohngemeinschaften und Wohnungen
Befragt nach Unterkunftsort- und -art, plädieren 70 Prozent für Städte und größere Gemeinden - von denen es in Tirol aber nicht viele gibt. 55 Prozent möchten Asylwerber "dezentral in kleinen Gruppen in Wohngemeinschaften oder Wohnungen" untergebracht sehen. 35 Prozent sprechen sich für nicht näher definierte "Heime" aus.

Nur sechs Prozent befürworten laut Pehms Untersuchung die Unterbringung in "touristischen Beherbergungsbetrieben" - und obwohl seit den frühen 1980er Jahren zwischen 70 und 95 Prozent der Flüchtlinge in Gasthöfen, Hotels und Pensionen leben.
...
Asylwerber in Gasthöfen, Hotels und Pensionen
Die öffentliche Hand, meist eine Behörde des jeweiligen Bundeslandes, schließt einen Vertrag mit einem einzelnen Gastwirten oder Hotelier. Die Wirte verpflichten sich, Asylsuchende unterzubringen und zu verpflegen. Pro Person und Tag wird den Betrieben in Tirol zwischen 16,35 und 17 Euro ausgezahlt.
...
Befürchtungen in Tourismus-Gemeinden
Dass die Unterbringung in eigentlich für Touristen gedachten Einrichtungen dezidiert abgelehnt wird, ist scheinbar so klar, dass die Begründung über ein "Geht nicht" nicht hinauskommt.

Werden Flüchtlinge dennoch in Gemeinden einquartiert, die mit dem Tourismus Geschäft machen wollen, werden überwiegend negative Auswirkungen befürchtet: Der Ort würde unsicherer werden, die Präsenz von Asylwerbern im öffentlichen Raum würde verstören und Lärm und Schmutz würden zunehmen.
"Erzwungene Ungleichzeitigkeit"
Dass allein die Anwesenheit von anders aussehenden Menschen stören würde, zumal in Zeiten der Globalisierung und im Kontext touristischen Reisens, scheint dem Politikwissenschaftler "wenig wahrscheinlich".

Entscheidend seien Zeitpunkt und Art der öffentlichen Präsenz von Asylwerbern. Meist sind sie dann als beschäftigungslos sichtbar, wenn die Einheimischen ihren Aufgaben nachgehen. Und es sei genau "diese erzwungene Ungleichzeitigkeit der Lebensrhythmen", die die Probleme erzeuge.

Für die Touristen stellen die kleinen Orte eine "Welt, die noch in Ordnung ist", dar, die Flüchtlingsunterbringung würde dem zuwiderlaufen, so eine Erklärung der Tourismus-Verantwortlichen.
Spaltung postmoderner Gesellschaften
Ob Asylwerber tatsächlich so störend wahrgenommen werden, dem müsste man laut Studie von Raimund Pehm genauer auf den Grund gehen. Oft würde, wie es ein Verantwortlicher eines Tourismus-Verbandes formuliert hat, der "Tourismus als Titel hergenommen, unter dem alle Ressentiments" summiert werden.

Letztlich werde in dieser Diskussion eine zentrale Spaltung postmoderner Gesellschaften sichtbar, so Pehm: "Menschen, die in der Lage sind, etwas freiwillig zu tun (in diesem Fall: mobil zu sein), werden konfrontiert mit Menschen, deren Wahlfreiheit extrem eingeschränkt oder deren Mobilität erzwungen ist."

Der "andere Fremdenverkehr" könnte nur die andere Seite der "Mobilitäts-Medaille" sein - und das verstört.

Elke Ziegler, science.ORF.at, 13.6.07
->   Institut für Politikwissenschaft (Uni Innsbruck)
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   NS-Flüchtlingskinder: Erfolg trotz Traumas (19.3.07)
->   Vom Mediziner zum Taxifahrer - Forscher als Flüchtlinge (2.6.06)
->   UNO erwartet Millionen Umwelt-Flüchtlinge (11.10.05)
 
 
 
ORF ON Science :  News :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick
01.01.2010